Gefährliche Preisspiele? Warum kommen manche HIV-Medikamente gar nicht erst in Deutschland auf den Markt?
Ein neues HIV-Medikament speziell für Menschen mit mehrfach resistenten HI-Viren kommt in Deutschland nicht auf den Markt. Der Grund: Durch die deutsche Gesundheitspolitik ist der zu erwartende Preis so gering, dass sich die Einführung des Medikaments für die Pharmafirma offenbar nicht mehr lohnt.
Gibt es einen Zusatznutzen?
Diesen Vorwurf erhebt jetzt der Mikrobiologe und HIV-Experte Siegfried Schwarze, Vorstand des HIV-Vereins „Projekt Information“. Konkret geht es dabei um das HIV-Medikament Ibalizumab (Ibalizumab/Trogarzo®). Das Preisregulierungssystem im deutschen Gesundheitswesen gibt vor, dass neue Medikamente nach sechs Monaten einer sogenannten Zusatznutzenbewertung unterzogen werden.
Die Hersteller-Firma ist dabei dazu verpflichtet, nachzuweisen, dass im Vergleich zu den bereits gängigen Medikamenten mit dem neuen Präparat ein Zusatznutzen für Patienten vorhanden ist. Entscheidet das Institut für Wirtschaftlichkeit und Qualität im Gesundheitswesen (IQWIG), dass dies aus ihrer Sicht nicht der Fall ist, wird der Preis automatisch an den einer „zweckmäßigen Vergleichstherapie“ abzüglich zehn Prozent angepasst, so Schwarze. Für das Pharmaunternehmen Theratechnologies sei die Einführung so nicht mehr rentabel gewesen.
Die grundsätzliche Idee dahinter erscheint sinnvoll, denn das Ziel der Bundesregierung ist es damit, dass Deutschland nicht mit neuen Medikamenten überschwemmt wird, die keinerlei Mehrwert für die Bevölkerung haben. In diesem Fall nun aber versage laut Schwarze das System, denn das neue Präparat Ibalizumab wäre bei all jenen HIV-Patienten durchaus wirksam und anwendbar, bei denen andere HIV-Medikamente nicht mehr greifen. Das neue Präparat wäre laut dem HIV-Experten auch sowieso erst dann verpflichtend zum Einsatz gekommen, wenn andere Medikamente versagen und die Viruslast eines Patienten nicht mehr anderweitig unter die Nachweisgrenze gebracht werden kann.
Wenige potenzielle „Kunden“
Dazu gesellt sich ein weiteres Problem: Geschätzt geht man aktuell von maximal einhundert HIV-Patienten in Deutschland aus, bei denen alle anderen HIV-Präparate versagen. Die zu erwartende „Kundenliste“ ist also überschaubar. Damit können aber dann auch keine aussagekräftigen Studien erstellt werden, die einen „Zusatznutzen“ tatsächlich belegen könnten. „Wer auf Ibalizumab angewiesen war, kann dieses Medikament inzwischen nur noch über internationale Apotheken importieren – mit erhöhten Kosten und bürokratischem Aufwand“, so Schwarze, der fordert, dass die Krankenkassen in diesem Fall grundsätzlich die Kosten übernehmen sollten.
Weitere Problemfälle
Laut dem Fachmann ist die Situation kein Einzelfall – aktuell davon sei auch das Mittel Lenacapavir betroffen. Das Medikament ist in Kombination mit anderen Präparaten zugelassen, wenn keine andere Therapie greift. Das Besondere dabei ist allerdings, dass das Präparat nach einer Einleitungsphase mit Tabletten nur noch alle sechs Monate als Spritze neu verabreicht werden muss – für Schwarze ein klarer Zusatznutzen für Patienten wie Ärzte.
Die Pharmafirma Gilead indes geht offenbar laut dem HIV-Experten davon aus, dass die IQWIG dies nicht als Zusatznutzen anerkennen wird und damit den Preis automatisch absenkt. „Das alles führt zu der für Deutschland noch recht ungewohnten Situation, dass ein Arzneimittel in der EU zwar zugelassen ist, auf dem deutschen Markt aber nicht erhältlich sein wird. Menschen, die auf dieses Medikament angewiesen sind, können es zwar über den Importweg bekommen, aber die bürokratischen Hürden schrecken auch manche Ärzte ab, da vor jeder Verordnung die Krankenkasse gefragt werden will. Letztendlich läuft es auf die Frage hinaus, was ein Menschenleben kosten darf“, so Schwarze.