Facharzt fordert Umdenken Facharzt für Jugendpsychiatrie fordert Umdenken im trans-Streit
Im Interview mit der taz hat der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Leitender Oberarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Ludwig-Maximilian-Universität München, Alexander Korte, die Pläne der Ampel-Koalition mit Blick auf das geplante neue Selbstbestimmungsgesetz gerade bezüglich von trans-Jugendlichen stark kritisiert.
Korte ist kein Unbekannter und hat sich bereits mehrfach kritisch zu den Plänen geäußert, die unter anderem vorsehen, dass künftig Jugendliche ab 14 Jahren notfalls auch ohne Einwilligung der Eltern oder Abklärung eines Therapeuten eine geschlechtsangleichende Behandlung inklusive Medikamenteneinnahme beginnen werden dürfen. Grundsätzlich befürwortet er zwar eine Reform des Transsexuellengesetzes, nur nicht in der aktuellen Form – dies würde zu “Zerwürfnissen“ in Familien führen.
Die Kritik an Korte reißt dabei seit den ersten Äußerungen seinerseits nicht ab, als er im November 2020 als Fachmann im Bundestag zum aktuell noch gültigen Transsexuellengesetz befragt wurde – seit über 20 Jahren arbeitet er im Themenspektrum Transsexualität unter Jugendlichen. Zudem ist Korte ein Stammwähler der Grünen und somit ein Kritiker “aus den eigenen Reihen“.
Auch im aktuellen Buch der Feministin Alice Schwarzer kam Korte zu Wort, die mit Blick auf die massive Zunahme der trans-Selbstdiagnosen (ein Anstieg von bis zu 4.000 Prozent) von einem “Trend“ unter Jugendlichen spricht. Trans-Aktivisten widersprechen dem energisch und erklären die gestiegenen Fallzahlen mit einer liberaleren Gesinnung in der Bevölkerung, die es jungen Menschen heute leichter ermöglichen würde, zu ihrer Transsexualität zu stehen. Facharzt Korte dazu gegenüber der taz: „Ich würde eher von einem Zeitgeistphänomen sprechen.
Trans ist offensichtlich eine neuartige Identifikationsschablone, für die es einen gesellschaftlichen Empfangsraum gibt. Und das spricht in erster Linie eine vulnerable Gruppe von weiblichen Jugendlichen an. 85 Prozent der trans-Identifizierten sind ja biologische Mädchen. Das ist ein internationales Phänomen.“
Dabei bestreitet Korte im weiteren Gespräch nicht, dass durchaus auch eine größere Sichtbarkeit von Transsexualität zu einer Zunahme der Fallzahlen führen könne – aber mitnichten eine so exponentielle Zunahme sowie auch nicht das veränderte Geschlechterverhältnis, also die massive Zunahme von Mädchen, die sich selbst als trans definieren. Trans-Aktivisten führen dann weiter ins Feld, dass die Geschlechtsidentität angeboren sei.
Facharzt Korte sieht dafür keine Belege: „Das ist abstrus. Die neurobiologische Forschung ist definitiv den Beleg schuldig, dass Geschlechtsidentität genetisch bedingt sein könnte. Auch aus der Sicht der Entwicklungspsychologie ist es abwegig, davon auszugehen, dass Identität etwas ist, mit dem man zur Welt kommt. Aus meiner Sicht ist Identität stets das Resultat einer individuellen Bindungs- und Beziehungs- und auch Körpergeschichte.“
Korte verweist im Gespräch auch mehrfach auf Studien und Untersuchungen, die seine Aussagen untermauern. Auch aus den USA sei laut Korte das Phänomen bekannt, dass an der Schwelle der Pubertät gerade derzeit viele junge Mädchen irrtümlich zu der Überzeugung gelangen würden, transsexuell zu sein – und das in einer Phase, in der sie sich mit ihrer Geschlechtsrolle und mit ihrem reifungsbedingt verändernden Körper auseinandersetzen müssen. In der Fachsprache wird von “Rapid Onset Gender Dysphoria“ gesprochen. „Es ist in bestimmten Szenen hip, trans zu sein. Und davon fühlen sich in allererster Linie weibliche Jugendliche angesprochen, die einen sexualitätsbezogenen inneren Konflikt haben oder unter den gesellschaftlichen Rollenklischees oder Schönheitsidealen leiden – oder solche, die sexuell traumatisiert sind“, so Korte weiter.
Ein Problem sieht der Facharzt auch in der medialen Darstellung, in der oft einseitig und euphorisierend positiv über eine Geschlechtsangleichung berichtet wird, anstatt auch aufzuzeigen, dass ein solcher medizinischer Schritt zu einer lebenslangen Einnahme von Hormonen und Medikamenten führt und oftmals auch laut Korte begleitet ist mit chronischen Depressionen.
Die aktuelle, sehr hitzig geführte Debatte auf beiden Seiten schade dabei in erster Linie tatsächlichen trans-Menschen. Korte: „Die unselige Entpathologisierungsdebatte führt ins Nichts – sie schadet den Betroffenen, was ein Großteil von ihnen mittlerweile auch begriffen hat. Allein den Transaktivisten ist die Einsicht verwehrt, dass diese Diskussion nicht mehr im Sinne der unter Geschlechtsdysphorie Leidenden ist.“
Wie extrem auch in anderen Ländern inzwischen die Fronten verhärtet sind, zeigen auch Fälle beispielsweise von der Londoner Tavistock-Klinik, die derzeit einzige in Großbritannien, die sich auf trans-Jugendliche spezialisiert hat. Bereits Eltern von siebenjährigen Kindern kommen zu den Ärzten und verlangen Medikamente und eine baldige operative Angleichung ihrer Kinder.
Ein Punkt dabei sind auch die Pubertätsblocker. Während trans-Aktivisten aber auch Verbände wie beispielsweise der LSVD die Einnahme dieser Tabletten als ungefährlich definieren, die ähnlich wie eine Stopp-Taste bei der Entwicklung der Pubertät funktioniere, sehen Ärzte wie Korte die Vergabe deutlich kritischer: „Die Blockade der Pubertät mit Medikamenten ist meines Erachtens medizinethisch fragwürdig. Wir wissen aus Studien, dass sich die meisten Kinder später mit ihrem Geburtsgeschlecht aussöhnen.
Geschlechtsatypisches Verhalten und Geschlechtsidentitätsunsicherheit im Kindesalter deuten häufig auf Homosexualität im Erwachsenenalter hin. Nur sehr selten führt dies zu einer transsexuellen Identität. Anders ist es bei Patienten, deren Pubertät angehalten wurde. Die setzen in der Regel die Transition fort, zunächst durch Hormone und gegebenenfalls durch Operationen. Also sind Pubertätsblocker frühe Weichensteller. Man kann auch sagen, ein Homosexualitätsverhinderer.
Aus diesem Grund und wegen der unklaren Risiken und möglichen Langzeitfolgen hat Schweden diese Behandlung gerade ausgesetzt.“ Der Münchner Arzt verweist dabei auf Studien der Abteilung für Psychiatrie der Universität von Toronto.
Korte bekräftigt im Gespräch auch, dass die Mehrheit seiner Berufskollegen ähnlich denkt. Trans-Aktivisten hingehen werfen dem Facharzt vor, er stehe mit seiner Meinung alleine dar. In der Münchner Fachklinik werden Pubertätsblocker nur in einzelnen Fällen und nur nach einer mindestens einjährigen psychotherapeutisch begleiteten Alltagserprobung verabreicht. Korte liefert dazu eine mögliche These, warum aktuell gerade vor allem mehrheitlich junge Mädchen eine Transition wollen: „Da gibt es Unterschiede zwischen Jungs und Mädchen. Bei Mädchen ist der Eintritt der Geschlechtsreife durch die erste Menstruation, die Menarche, markiert. Etwa ein Drittel der Mädchen erlebt die eindeutig als aversiv. Bei Jungen ist das Pendant dazu der erste Samenerguss. Den empfinden die fast alle angenehm (…) Wenn ein Mädchen ihren Körper als Quelle angenehmer Gefühle entdeckt und ihn aus diesem Grund positiv besetzt, ist es höchst unwahrscheinlich, dass sie eine transsexuelle Geschlechtsdysphorie entwickelt. Mädchen, die einen Transwunsch formulieren, haben meistens keine Erfahrung mit Masturbation.“
Je nach Studie masturbieren so nur 20 bis 50 Prozent der Mädchen, während bei den Jungen annährend 100 Prozent Selbstbefriedigung ausüben würden, so Korte weiter.
Trans-Aktivisten berufen sich oft auch auf Studien, die aufzeigen sollen, dass die Rate derer, die im späteren Leben eine Geschlechtsangleichung erneut ändern wollen würden, sehr niedrig sei und im Gegenzug die Transition bei Jugendlichen zu einer psychisch besseren Gesundheit führen würde.
Korte verweist in diesem Zusammenhang auf andere Studien wie der Katamnese-Untersuchung, die zu gegenteiligen Ergebnissen kommt. Zudem sei ebenso inzwischen nachgewiesen, dass es zu einer erhöhten Suizidrate unter operierten trans-Menschen kommt.
Klar ist, dass die neusten Aussagen des Facharztes bereits schon jetzt abermals zu hitzigen Debatten in der LGBTI*-Community geführt haben.
Korte selbst sieht in den emotionalen Diskussionen eine Zeitgeist-Entwicklung: „Wird heutzutage nicht beinahe jede Debatte höchst emotional und nicht selten ohne Berücksichtigung der Fakten geführt? In besonderer Weise gilt das im Zusammenhang mit Identitätspolitik – und die ganze Transdiskussion fällt darunter.“