Entschädigungen §175 Insgesamt bisher rund 870.000 Euro ausgezahlt
Das Bundesministerium für Justiz hat jetzt auf schriftliche Anfrage des ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der Linken, Jan Korte, Details zu den Entschädigungszahlungen für Homosexuelle bekanntgegeben, die nach dem ehemaligen § 175 StGB (Verbot von Homosexualität) verurteilt worden waren. Homosexuelle Menschen haben seit knapp fünf Jahren (§ 1 Absatz 1 StrRehaHomG) Anrecht auf Entschädigungszahlungen.
Seit 2017 sind beim Bundesjustizministerium insgesamt 188 Anträge (nach StrRehaHomG) eingegangen, im laufenden Jahr 2022 bisher nur ein einziger Antrag. 146 Anträge wurden bewilligt, bei den restlichen 32 Fällen erfolgte eine Rücknahme des Antrags. Insgesamt wurden 678.000 Euro an Entschädigungszahlungen aufgrund von Verurteilungen oder erlittener Freiheitsentziehungen geleistet. Darüber hinaus erhalten auch jene Homosexuellen eine Entschädigung, die nicht verurteilt wurden, aber aufgrund eines laufenden Ermittlungsverfahrens zwischenzeitlich inhaftiert worden waren oder/und deswegen Probleme im Beruf sowie in wirtschaftlicher oder gesundheitlicher Art erlitten haben. Von den 137 hier gestellten Anträgen wurden 107 bewilligt und insgesamt rund 190.000 Euro Entschädigungszahlungen geleistet.
Der Parlamentarische Geschäftsführer Jan Korte (DIE LINKE) zu den ernüchternden Zahlen: "Die Homosexuellenverfolgung in der Nachkriegszeit ist ein schlimmes Menschenrechtsverbrechen in beiden deutschen Staaten. Die geringe Anzahl von sieben bisher gestellten Anträgen auf Entschädigung in diesem und letztem Jahr legt nahe, dass viele Antragsberechtigte noch gar keinen Antrag gestellt haben. Wenn das Gesetz in wenigen Monaten ausläuft, werden ihre Ansprüche verfallen.“
Das Recht auf Entschädigungszahlungen wurde im Juli 2017 beschlossen und läuft nach fünf Jahren ab, sodass betroffene Homosexuelle nur noch gut drei Monate Zeit haben, überhaupt einen Antrag zu stellen. Das Gesetz sieht dabei Zahlungen von 3.000 Euro (je aufgehobenes Urteil) und 1.500 Euro (je angefangenes Jahr erlittener Freiheitsentzug) vor. Warum bisher so wenige Homosexuelle von ihrem Recht auf Entschädigung überhaupt Gebrauch gemacht haben, lässt sich indes nur spekulieren. Wahrscheinlich ist, dass viele Betroffene bis heute eine tiefe Scham verspüren oder inzwischen in einer heterosexuellen Ehe leben und sich nicht im hohen Alter vor der Ehepartnerin durch Einreichung des Antrags outen wollen.
Jan Korte dazu weiter: „Ich fordere die Bundesregierung auf, das Gesetz so zu ändern, dass auch noch in den nächsten zehn Jahren Anträge gestellt werden können und dass in einer öffentlichkeitswirksamen Kampagne auf die Entschädigungsmöglichkeiten hingewiesen wird. Zwar wurde das Entschädigungsgesetz in den Community-Medien und kurz in allgemeinen Medien bekannt, aber viele Antragsberechtigte sind in einem hohen Alter und haben davon womöglich noch nichts gehört. Mit einer Verlängerung der Antragstellungsmöglichkeiten und einer öffentlichen Kampagne können alle Antragsberechtigten erreicht werden und es würde ein starkes Zeichen für die Gegenwart gesetzt, dass der Staat diese Menschenrechtsverletzung tatsächlich aufarbeitet, die Entschädigung als Schuldeingeständnis ernst meint und heute aktiv gegen Queerfeindlichkeit eintritt. Es tut niemandem weh, die Entschädigungsregelung zu verlängern, aber es wäre sehr schmerzhaft für alle Beteiligten, berechtigte Anträge wegen Verfristung ablehnen zu müssen."
Der Paragrafen 175 wurde im Deutschen Kaiserreich 1871 eingeführt und stellte „widernatürliche Unzucht“ zwischen Männern unter Strafe. Die Verschärfung des Gesetzes erfolgte unter dem Nazi-Regime 1935: Allein ein Verdacht war künftig ausreichend, um für zehn Jahre ins Gefängnis zu kommen. Nach Ende des Krieges wurde der Paragraf in der Bundesrepublik abgeschwächt und in der ehemaligen DDR schlussendlich aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Erst 1994 beschloss der Bundestag allerdings die endgültige Streichung des Paragrafen. Genaue Zahlen über die Anzahl der Verurteilten liegen nicht vor. Im Dritten Reich wurden aufgrund des Paragrafen 175 bis zu 50.000 homosexuelle Männer inhaftiert und etwa 15.000 kamen in Konzentrationslager. Zudem wurden in der Bundesrepublik weitere rund 53.000 schwule Männer bis zur Streichung des Gesetzes verurteilt, vor allem in den ersten Jahrzehnten bis 1969.