Ende von Konversionstherapien! Religionen darf keine Sonderrolle eingeräumt werden
Mit klaren und eindringlichen Worten hat sich jetzt die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatovic, an die Europäische Union gewandt und fordert ein komplettes Verbot von Konversionstherapien in allen EU-Mitgliedsstaaten. Bis heute würden in der EU in vielen Ländern noch immer solche menschenverachtenden Praktiken Anwendung finden, deren Ziel es zumeist ist, Homosexualität zu “heilen“.
Mijatovic dazu: „Eine solche Vorstellung ist gefährlich und hat in einer auf Menschenrechten basierenden Gesellschaft keinen Platz. Dennoch finden diese Eingriffe in ganz Europa weiterhin statt, oft rechtmäßig und häufig unter dem Deckmantel medizinischer oder religiöser Grundsätze. Trotz der tiefgreifenden und langanhaltenden schädlichen Auswirkungen, die diese Praktiken haben können, erhalten viele Opfer weder eine Anerkennung der erlittenen Schäden noch eine Wiedergutmachung. Dies muss ein Ende haben.“
Kein Platz für “Homo-Heilungen“ in der EU!
Die Konversionstherapien würden dabei oftmals auch im Geheimen stattfinden. Schätzungen zufolge haben sich zwei Prozent aller LGBTI*-Personen in der EU solchen Praktiken bereits unterzogen, weiteren fünf Prozent wurden solche Praktiken angeboten, so Mijatovic, die davon ausgeht, dass die tatsächlichen Zahlen noch einmal viel höher sein könnten. Es bedarf daher jetzt einer klaren Botschaft der EU, dass alle Mitglieder willens sind, die internationalen Menschenrechtsstandards einzuhalten und zu verdeutlichen, dass in Europa kein Platz für Konversionstherapien ist.
Verheerende Folgen für die Opfer
Diese Praktiken stehen auch im Widerspruch zu einem überwältigenden Konsens der internationalen Menschenrechts- und Wissenschaftsgremien, so die Kommissarin weiter, die zudem bekräftigt: „Die Auswirkungen dieser Praktiken können verheerend sein. Die Betroffenen können erhebliche psychische Schäden erleiden, darunter Depressionen und Angstzustände, Scham oder Selbsthass, Selbstmordgedanken oder Selbstmordversuche, posttraumatische Belastungsstörungen sowie körperliche Gesundheitsschäden wie Magengeschwüre, Sexual- und Essstörungen und Migräne. Die Eingriffe selbst können auch zu dauerhaften körperlichen Schäden führen.“
Derartige Behandlungen seien mit mehreren Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention schlicht unvereinbar. Menschen, die bereits Opfer von Konversionstherapien geworden sind, sollten durch öffentliche Mittel, psychosoziale Unterstützung und Rehabilitationsmaßnahmen unterstützt werden – zudem solle ihnen leichter die Möglichkeit gegeben werden, auch juristisch eine Widergutmachung einzufordern.
Staaten müssen Freiheiten der Menschen schützen
In einigen Ländern wurde zuletzt immer wieder auch gegenargumentiert, die Heilungspraktiken würden zumeist im privaten Bereich stattfinden, weswegen es schwierig wäre, von staatlicher Seite dagegen vorzugehen. Dem widerspricht Mijatovic vehement: „Auch wenn Konversionspraktiken häufig von privaten Akteuren durchgeführt werden, entbindet dies die Mitgliedstaaten nicht von ihren positiven Verpflichtungen, die Rechte und Freiheiten aller Menschen in ihrem Hoheitsgebiet zu gewährleisten. Unter anderem sind die Staaten verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ein angemessener rechtlicher Rahmen vorhanden ist, dass Klagen über Verstöße wirksam untersucht werden und dass Rechtsmittel wirksam und zugänglich sind.“
Keine Sonderrolle für Religionen
Auch die oftmals vorgebrachte Erklärung, Konversionstherapien würden unter die Religionsfreiheit fallen, da sie in Europa zumeist von christlichen Organisationen angeboten und durchgeführt werden, hält die Menschenrechtskommissarin für falsch: „Es ist wichtig zu betonen, dass ordnungsgemäß formulierte Verbote von Konversionspraktiken nicht in das Recht eingreifen sollten, einen Glauben zu haben oder eine Meinung zu LGBTI*-Themen zu äußern. Im Gegensatz zur Freiheit, eine Religion zu haben und eine Überzeugung zu vertreten oder nicht, kann das Recht, seine Religion oder Überzeugung zu bekunden, Einschränkungen unterworfen werden, um die Grundrechte anderer zu schützen, wenn diese Einschränkungen gesetzlich vorgeschrieben, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig und verhältnismäßig sind.“
Medizinische Diagnosen müssen möglich bleiben
Allerdings räumt Mijatovic auch ein, dass auch mit einem Verbot von Konversionstherapien medizinische und therapeutische Untersuchungen beispielsweise bei Jugendlichen mit der Selbstdiagnose trans weiterhin möglich sein müssen: „Gleichzeitig sollten die Verbote klarstellen, dass sie sich nicht auf Beratungen beziehen, die tatsächlich darauf abzielen, eine Person bei der Erforschung ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität zu unterstützen.“
Verbot europaweit angedacht
Malta war das erste europäische Land, das 2016 ein Verbot von Konvertierungspraktiken verabschiedete. In Deutschland gibt es seit 2020 ein Verbot von Konversionstherapien, allerdings nur für Minderjährige. Andere Länder wie beispielsweise Frankreich sprachen sich für ein generelles Verbot zum Schutz für alle Menschen aus. Mehrere weitere Verbote werden derzeit von Regierungen in Belgien, Zypern, Finnland, Irland, den Niederlanden, Norwegen, Spanien, der Schweiz und dem Vereinigten Königreich geprüft.