Deutschland und Europa Aus für Konversionstherapie
Akzeptanz statt „Behandlung“: Rund 100 Jahre nach der Gründung des Berliner Instituts für Sexualwissenschaft durch den schwulen Wissenschaftler Magnus Hirschfeld ist Homosexualität oder Queerness in all ihren Facetten in Teilen der Gesellschaft noch immer nicht voll anerkannt, aber in Deutschland wird ein wichtiger Schritt gemacht.
Homosexuelle Jugendliche sollen künftig vor sogenannten Konversionstherapien geschützt werden, und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will auch Volljährige bis zu 26 Jahren vor der „Behandlung“ schützen, wenn sie durch Zwang, Drohung oder Täuschung dazu gebracht wurden, sich umpolen zu lassen. Rund 2000 Konversionstherapien wurden bisher im Schnitt pro Jahr in Deutschland durchgeführt.
Auch in anderen Ländern wächst der Widerstand gegen die zumeist aus evangelikalen Richtungen kommende „Behandlung“, die das als psychische Störung eingestufte Schwulsein austreiben soll. Sogar in den USA, wo „Pray the Gay away“, das Schwulsein wegbeten, weit verbreitet ist, sind Konversionstherapien mittlerweile in etlichen hochreligiösen Bundesstaaten verboten. Darunter fällt sogar die Mormonenhochburg Utah, obwohl die Religion Schwulsein an sich ablehnt, aber für Toleranz eintritt.
Die Debatte, ob Queerness normal oder eine psychische Störung ist, schien in Deutschland zu Hirschfelds Zeiten fast vorüber. Der Mediziner, der bereits seit den Anfangstagen des 1897 gegründeten „Wissenschaftlich-humanitären Komitees“ für die Akzeptanz von Andersartigkeit eintrat, veröffentlichte mehrere Bücher über das sogenannte Dritte Geschlecht und die diversen Varianten von Sexualität. Sein Berliner Institut bot Beratung, aber auch konkrete Hilfe an. Hier fand 1930 die weltweit erste chirurgische Geschlechtsumwandlung statt. Die Geschichte von Lili Elbe, die ursprünglich in Kopenhagen als Einar Wegener geboren worden war, wurde von Hollywood mit Eddie Redmayne in der Titelrolle als „The Danish Girl“ verfilmt. Der Film beruhte auf Lilis Tagebüchern.
Für die dänische Malerin, die lange Zeit Selbstmordgedanken gehegt hatte, gab es trotz der glücklich überstandenen Operation und ihrer behördlichen Anerkennung als Frau dennoch kein Happy End. Lili Elbe, die endlich den Körper hatte, der ihrer Identität entsprach, wollte auf natürliche Art Mutter werden und überredete Ärzte in Dresden, ihren Widerstand aufzugeben und ihr eine Gebärmutter zu transplantieren. Sie starb wenige Monate später an den Komplikationen.
Selbstmordgedanken hegte nicht nur Lili Elbe. Für Hirschfeld waren die Suizidgefahr und der seelische Druck für all diejenigen, die nicht den allgemeinen Normen entsprachen, der Hauptantrieb, um für Anerkennung einzutreten. Das gelang ihm zu einem heute fast vergessenen Ausmaß. Obwohl Homosexualität illegal war, bewegte er die Berliner Polizei in den 20er Jahren dazu, Schwule und Transvestiten nicht als geisteskrank oder kriminell anzusehen, sondern zu tolerieren. Das „Lila Lied“ aus dem Film „Anders als die Andern“ wurde zur ersten schwulen Hymne. Die darin gestellte Frage, „Wozu die Qual, uns die Moral der andern aufzudrängen?“ verstummte erst, als die Stiefel der Nazis die anfangs tolerierte schwule Szene zertrampelten und Andersartigkeit nur noch im Untergrund stattfinden konnte.
Die von Magnus Hirschfeld angefangene Forschung erlebte mit der Zerstörung seines Instituts 1933 einen Rückschlag, der auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht wieder aufgeholt wurde.
Statt Toleranz und Anerkennung hieß es für Schwule weiterhin, sich zu verstecken, um Haftstrafen zu entgehen, oder durch Konversion zum Hetero umerziehen zu lassen. Erst 1969 wurde Homosexualität in der Bundesrepublik entkriminalisiert, ohne den Schwulenparagraphen abzuschaffen.
Das Ergebnis von Diskriminierung waren Anstiege an Depressionen und Suizidgefahr. Laut einer US-Studie aus dem Jahr 2018 ist die Selbstmordgefahr unter LGBT+-Teenagern, deren Eltern sie nicht in ihrer Identität akzeptieren, doppelt so hoch wie bei anderen Teenagern. Wird den Jugendlichen zudem eine Konversion zugemutet, die in erster Linie darauf ausgerichtet ist, sie durch dauernde Demütigung und Selbsthass umzupolen, verdreifacht sich die Selbstmordgefahr.
Kalifornien war 2002 der erste US-Bundesstaat, der die Konversionstherapie für Minderjährige verbot und lag damit noch vor den für ihre Toleranz gerühmten westeuropäischen Ländern. Das Europäische Parlament befürwortete im März 2018 mit einer großen Mehrheit, Konversionstherapien zu verbieten.
Selbst der Vatikan erklärte wenige Monate danach, das Homosexualität keine Krankheit ist und sprach sich gegen Konversionstherapien aus.
Spahns Entwurf sieht unter anderem Haftstrafen von bis zu einem Jahr bei Verstößen gegen das demnächst in Kraft tretende Gesetz ein. Sich offen zur LGBT+-Gemeinschaft zu bekennen, feit dennoch nicht gegen Diskriminierung. Aber es ist ein Schritt vorwärts auf einem langen Weg, der anfangs so kurz schien. Rosa von Praunheims umstrittener Film von 1971, „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt“ mag vom Inhalt her ausgedient haben, aber der Titel trifft allzu häufig immer noch zu.
Wie schlimm Konversionstherapie, die den Menschen psychisch brechen, sein können, hat Hollywood jüngst in „Boy Erased – Der verlorene Sohn“ mit Russell Crowe und Nicole Kidman als Eltern, die ihren Sohn umpolen lassen, verarbeitet. Von dem Motto von Hirschfelds altem „Wissenschaftlich-Humanitären Komitees“ ist das Welten entfernt. Das lautet nämlich, Gerechtigkeit durch Wissenschaft. Und die erkennt nun einmal alle möglichen Geschlechtervarianten an.