Angst in der Community Werden LGBTI*-Jugendliche in Australien mit dem Verbot von Social-Media im Stich gelassen?
Die Angst in der australischen Community wird seit dieser Woche immer größer - werden LGBTI*-Jugendliche in Australien mit dem jetzt beschlossenen Verbot von Social-Media-Plattformen für unter 16-Jährige im Stich gelassen? Verstärken sich Gefühle von Isolation und Hilflosigkeit für homosexuelle und queere Jugendliche gerade im ländlichen Australien?
Verbot ohne Ausnahmen
Als erstes Land der Welt hat Australien in dieser Woche Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren den Zugang zu sozialen Netzwerken im Internet komplett verboten – in einem Jahr wird das Gesetz in Kraft treten, nach jüngsten Umfragen unterstützen offenbar 77 Prozent der Australier die neuen Richtlinien der Regierung unter Premierminister Anthony Albanese. Auch eine Erlaubnis der Eltern ändert dann nichts am Verbot. Explizit betroffen sind davon alle Meta-Dienste wie Facebook oder Instagram aber auch X, TikTok, Snapchat oder Reddit. Weigern sich die Online-Dienste, drohen Geldstrafen von bis zu 31 Millionen Euro.
Albanese bezeichnete die sozialen Medien als „Geißel“, die Kinder von „echten Freunden und echten Erfahrungen fernhalten“ würde. Und Kommunikationsministerin Michelle Rowland ergänzte, dass etwa zwei Drittel der 14- bis 17-Jährigen in Australien sich online bereits sehr schädliche Inhalte angesehen hätten, beispielsweise Drogenkonsum, Selbstmord, Selbstverletzung und gewalttätiges Material. In einer ersten Versuchsphase soll mittels Systemen zur Altersverifizierung wie beispielsweise durch biometrische Daten (Gesichtserkennung) oder Ausweisdokumente die zeitnahe Umsetzung erprobt werden, Mitte 2025 erfolgt dann die finale Auswertung.
Hintertür zur Internetkontrolle?
Kritiker des Gesetzes betonen massive Datenschutzbedenken und viel zu schwammige Vorgaben. Die Social-Media-Anbieter selbst forderten mehr Zeit, X-Chef Elon Musk erklärte außerdem, das Vorgehen der australischen Regierung sehe nach einer Hintertür aus, um so schrittweise den Zugang aller Menschen zum Internet kontrollieren zu können. Das Gesetz lässt offen, wie genau die Alterskontrolle tatsächlich umgesetzt werden soll – denkbar wäre, dass alle Australier dann verpflichtend eine Alterskontrolle oder eine staatliche Identifikation durchlaufen müssen. Bleibt die Kontrolle alleinige Aufgabe der Plattformen, stellt sich die Frage, was mit den hoch sensiblen persönlichen Daten zur Verifizierung dann tatsächlich bei den Unternehmen passiert.
Isolation von LGBTI*-Jugendlichen
Die Kernkritik konzentriert sich dabei allerdings vielerorts auf die Isolation von jungen Australiern, die von den positiven Aspekten sozialer Medien ausgeschlossen werden. Besonders dramatisch könne dies künftig für LGBTI*-Jugendliche ausfallen, wenn ihnen die Kommunikation mit Gleichgesinnten, Ratgeber oder auch Kontakte zu queeren Jugendeinrichtungen weitestgehend künftig verwehrt bleiben. Die australische Menschenrechtskommission bekräftigte ebenso, dass das Gesetz damit die Menschenrechte junger Menschen verletzen könne, beispielsweise auch mit Blick auf ihrer Teilhabe an der Gesellschaft.
Der Guardian Australia befragte junge LGBTI*-Menschen, die Mehrheit von ihnen lehnt das neue Gesetz ab. Die heute 23-jährige lesbische Amelia erklärte so stellvertretend für viele: „Ich lebte als Jugendliche in den Außenbezirken des Großraums Melbourne, der nicht sehr bekannt dafür ist, dass es Community-Räume, Community-Veranstaltungen und soziale Unterstützung für LGBTI*-Jugendliche gibt. Ich habe die sozialen Medien wirklich genutzt, um etwas über die verschiedenen Identitäten zu erfahren und auch, um die Unterstützung der Community zu suchen... und um zu sehen, was andere Autoren von Inhalten aus der ganzen Welt teilen, tun, erleben und darüber sprechen. Dort konnte ich die Repräsentation der queeren Community sehen.“
Gängelung junger Menschen
Und Enie Lam, eine Schülerin aus Sydney, die vor kurzem 16 Jahre alt wurde, betont: „Das Gesetz wird nur eine Generation junger Menschen hervorbringen, die technologisch versierter ist, um diese Mauern zu umgehen. Es wird nicht die gewünschten Effekte erzielen. Wir alle wissen, dass soziale Medien nicht immer gut für uns sind, aber das Verbot sozialer Medien stößt bei vielen jungen Menschen auf starke Ablehnung.“
Ähnlich sieht das Grünen-Senatorin Sarah Hanson-Young: „Das ist der Versuch der Bohème, jungen Menschen vorzuschreiben, wie das Internet zu funktionieren hat, damit sie sich besser fühlen.“
Gesundheitliche Schäden
Die Zensur von Social-Media für LGBTI*-Jugendliche könne nebst der Isolation auch zu gesundheitlichen Problemen führen, beispielsweise eine Zunahme von Depressionen bis hin zu suizidalen Gedanken. Die australische Aufsichtsbehörde für Online-Sicherheit befragte in diesem Jahr LGBTI*-Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren: Mehr als die Hälfte der Befragten (51 %) gaben an, online mehr sie selbst sein zu können als in der Öffentlichkeit.
Professor Patrick McGorry, Direktor der Organisation Orygen, die sich für die psychische Gesundheit von Jugendlichen einsetzt, sagte: „Niemand scheint die Jugendlichen selbst zu diesem Thema befragt zu haben (…) Im Grunde genommen reden ältere Erwachsene und Politiker über das Thema, ohne wirklich viel davon zu verstehen.“