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Leserumfrage Mister Leather

vvg - 27.03.2016 - 07:00 Uhr

Mit zwölf habe ich gemerkt, was ich gut und später geil fand. Ich wuchs auf einem Bauernhof auf und trug schon als Kind Gummistiefel. Heute lebe ich dort immer noch als Farmer mit ca. 350 Rindern. Vier Jahre war ich mit einer Frau verheiratet, fand Männer aber immer gut. Für die reine Optik finde ich Motorradkombis geil; am liebsten Einteiler. Ich bin Biker und habe unzählige Kombis. Für Sex allerdings finde ich Rubber wesentlich geiler. Ich liebe den Geruch und das enganliegende Material, das den Schweiß laufen lässt.

In der Öffentlichkeit habe ich keine negativen Erfahrungen gemacht, obwohl mein Freund und ich uns ausgehfertig anziehen und präsentieren. Wenn wir nach Zürich düsen, zeigen sich die Grenzer immer sehr interessiert. Noch interessierter sind Frauen, die fragen immer, ob sie mal anfassen dürfen. Ich lebe in einer ländlich geprägten Region ohne Szene-Lokale, allerdings mit einem Motorradstammtisch. Außerdem bin ich Vorsitzender der Gay-Farmer, wo ich die schwule Szene von einer anderen Seite erlebe. Freie Zeit habe ich kaum, da ich wirklich 350 Tage des Jahres auf dem Hof zu tun habe. Wenn wir zu Events nach Zürich, München, Karlsruhe, Berlin oder Paris fahren, muss ich das genau planen und organisieren.

Zur Wahl bin ich gekommen, weil mir der Vorsitzende des Clubs Infos darüber schickte. Da habe ich mich kurzfristig entschlossen, mitzumachen. Ich glaube, öffentlich seinen Fetisch auszuleben ist immer noch ein Tabu und man redet immer gerne über Leute, die „anders“ sind. Früher musste man als Fetisch-Fan in Vereine eintreten, heute geht vieles privat ab, wodurch die Gemeinschaft verloren geht. Wünschenswert wäre, mehr Events aufzubauen, bei denen die Kommunikation im Vordergrund steht; gemischt mit Tanzen und eventueller Möglichkeit zum Sex. Viele wollen in Fetischsachen ausgehen und sich zeigen. Wenn es NUR um Sex geht, finde ich das eher abturnend.

Andreas Deyer, Mühlingen, Mr. RubClub 2013

Andreas // © vvg

Ich habe mich aus zwei Gründen für die Teilnahme an der Wahl entschieden: Zum einen habe ich die Mister-Wahlen lange Zeit beobachtet und natürlich auch die Typen, die gewonnen haben und sich Mister nennen durften. Zum anderen wollte ich beweisen, dass auch ein reiferer, älterer Mann aus dem „normalen Leben“ gewinnen kann. Bis dahin waren die Sieger meistens sehr jung und ich war ja schließlich schon über 40.

Meine erste Lederhose bekam ich mit sechs Jahren. Meine Eltern waren Motorradfans und trugen selbst immer Leder. Dadurch war ich schon von klein auf darauf „programmiert“. Wann ich Leder trage, hängt natürlich vom Ort und der Tageszeit ab. Wenn ich in ein Restaurant gehe, trage ich natürlich keine Chaps; ich will ja nicht provozieren oder einen Skandal verursachen. Ich versuche aber, zu beweisen, dass man auch in der Society Leder tragen kann. Ob es nun komplett Leder, nur eine Hose, ein Hemd oder ein Sakko aus diesem Material ist, hängt von der Situation ab. Mein Fetisch ist, dass ich mindestens ein Teil aus Leder trage, und das nicht nur, um Spaß oder Sex zu haben. 

Mittlerweile finden auch die Jüngeren Zugang zu ihrem Fetisch. Das kommt sicherlich daher, weil immer mehr Läden und Boutiquen Mode anbieten, die in den Bereich Fetisch fällt. Sei es nun Leder, Gummi oder Sportswear, und es wird immer beliebter, solche Sachen auch zu tragen.

Eric Gutierrez, 2010: Mr. Leather Paris Ile de France, Mr. Leather France, Mr. Leather Europe und 2011: International Mr. Leather

Eric // © vvg

Ich habe mich beworben, weil ich ein Teil der italienischen Fetisch-Community bin. Von Freunden und ehemaligen Mistern bekam ich positiven Zuspruch zur Wahlbeteiligung und so fühlte ich mich beim Wettbewerb sehr wohl. Als ich gewann, war ich sehr glücklich. Ich wusste, dass ich von vielen Leuten bei dem, was auf mich zukommen sollte, Unterstützung bekommen würde. Ich bin in der Zeit viel gereist und habe für ständigen Kontakt zur Szene gesorgt. Dadurch konnte ich eine Menge für die Community tun, habe viel angeregt und in die Wege geleitet, sodass die Mister, die nach mir kamen, sich ganz schön anstrengen mussten, um das Level zu halten. Spaß hat es gemacht, gerade Jüngeren in der Szene Ratschläge zu geben und Fragen rund um das Thema „Fetisch“ zu beantworten. Auch heute noch besuche ich immer wieder mal das eine oder andere Fetisch-Event in Berlin, Hamburg, Zürich, Paris, London oder Madrid.

Dass ich Leder mag, bemerkte ich schon als Kind. Mit 30 habe ich angefangen, in Leder und Uniform auszugehen. Die Szene in Italien war lange Zeit klein; es war wie in einer Familie. In den letzten Jahren ist die Szene gewachsen. Mittlerweile gibt es landesweit drei Clubs: den ältesten in Rom, einen relativ neuen in Mailand und den großen Club für die ständig wachsende „Leather Group Italia“. Meine Mutter weiß zwar, dass ich schwul bin und einen Partner habe, aber ich habe keine Ahnung, wie sie auf den Titel reagieren würde. In Italien spricht man nicht viel über sexuelle Sachen. (Es sei denn, man ist Berlusconi! ☺) Wenn man aufgebrezelt ausgeht, wird man zwar angeglotzt, aber die Leute verhalten sich distanziert, zurückhaltend und skeptisch. Ich arbeite in der Modebranche – leider nicht im Bereich Leder – trage Leder aber so oft wie möglich. Was ich mir  für die Zukunft wünsche? Dass man in Italien auf schwules Leben nicht so einen engstirnigen Blickwinkel hat.

Fabio, Mr Leather Italy 2012

Fabio // © vvg

Anfangs hatte ich keinerlei Ambitionen, bei der Wahl mitzumachen. Erst als ein Freund schelmisch fragte, ob ich mich schon beworben hätte, bewarb ich mich aus Spaß und holte den Titel. Die Lederszene ist schon seit dem Coming-out mein Zuhause. Als Titelträger habe ich viele Einsichten und Freunde gewonnen, war deutschlandweit unterwegs und habe meine „Familie“ gefunden. Im Amtsjahr nutzte ich viele Kommunikationskanäle auf Facebook und habe versucht, meine Gedanken und Ansichten einzubringen. Ich habe mir Gedanken gemacht, mit welchen Konzepten man junge Menschen ansprechen kann, um Nachwuchs zu rekrutieren. 

Zu meinem Fetisch gibt es kein Schlüsselerlebnis. Ich liebe das Material, die Optik und den Geruch. Vielleicht hat das auch mit Verbotenem zu tun, dass man sich gedanklich eine eigene Spielwiese schafft, die im alltäglichen Leben nicht da ist.

Mein Wunsch an die Szene ist, dass es wieder abebbt, Mainstream zu sein. Die Szene ist so fürchterlich bestrebt, im Lebensmittelpunkt der Gesellschaft anzukommen, dass sie gar nicht bemerkt, dass wir unsere Alleinstellungsmerkmale und Besonderheiten preisgegeben und opfern. Wir sind zwar angekommen, aber fühlen wir uns da wohl? Da sitzen wir im Café Gnosa und wenn eine Mutter mit einem schreiendem Baby reinkommt, ist uns das auch nicht recht. Die Bestrebung zur gesetzlichen Gleichstellung, um in der gleichen Liga mitspielen zu können, ist sicherlich eine Sache. Aber es ist unser gutes Recht, dass wir uns dafür nicht „verkaufen“ müssen.

Henning Schmidt, ML Hamburg 2013

Henning // © vvg

Ich finde, die Institution der Schärpenträger grundsätzlich gut. Allerdings wurden in letzter Zeit zu viele Titel aus dem Boden gestampft. Manchmal hat man den Eindruck, dass jemand, der unbedingt einen Titel haben möchte, nur eine Misterwahl ins Leben rufen muss. Als ich in den Bereich gekommen bin, habe ich auch einmal darüber nachgedacht und bin angefragt worden, mich einer Misterwahl zu stellen. Inzwischen habe ich zu vielen Schärpenträgern persönlichen Kontakt und weiß, was an Ernsthaftigkeit und Engagement dahintersteckt. Allein das ist momentan ein Grund, mich keiner Misterwahl zu stellen, weil ich einfach die Zeit nicht dafür hätte.

Ich würde mich nicht als typischen Fetischisten bezeichnen. Fetisch ist ein schönes Beiwerk, für mich spielt immer eine größere Rolle, wer dahinter steckt. Ich bevorzuge die Fetische Leder, Gummi, Worker und Uniform. Wenn ich im Ruhrgebiet ausgehe, gibt es nicht so viele Optionen. Meist gehe ich ins Drexx in Essen. Früher bin ich mehr durch Deutschland gefahren, um die verschiedensten Events zu besuchen. Heute fehlt mir die Zeit dazu. Gern würde ich mir mal den Münchner Bereich näher ansehen, Starkbierfest und was alles so drum herum ist.

Früher wurden Fetischkerle als pervers und extrem eingestuft, das hat sich glücklicherweise geändert. In letzter Zeit ist es sogar in geworden, „kinky“ zu sein, also ein bisschen Fetisch zu haben. Auch gehören heute Sachen dazu, die man früher nicht zu Fetisch zugeordnet hätte, wie etwa Sportswear. Das trägt wesentlich zur Akzeptanz von Fetisch bei.

Für die Szene wünsche ich mir, dass die Akzeptanz innerhalb der Szene wächst. Man kann nicht als schwule Szene Toleranz und Akzeptanz einfordern, wenn man diese nicht mal in den eigenen Reihen lebt. Es ist einfach viel zu viel Gegeneinander, als dass man an einem Strick zieht.

Kevin O., Bochum

Kevin // © vvg

Ich bin Schotte, stamme aus der Nähe vom Glasgow, wohne seit 1969 in Deutschland und seit 2009 in Berlin. Zwischenzeitlich war ich von 1999 bis 2009 in Frankreich. Nach meinem Uni-Abschluss arbeitete ich in London als Lehrer und traf dort meine erste große Liebe, einen Deutschen. Als die Beziehung abkühlte, begegnete ich der Liebe meines Lebens, mit der ich über 35 Jahre glücklich aber ziemlich zurückgezogen vom „Ledertreiben der Szene“ bis zu seinem Unfalltod 2008 zusammenlebte. 

Mein erstes Leder war eine kurze Lederhose, die ich im Sommer 1958 beim ersten Besuch im Deutschland kaufte. Eine komplette schwarze Lederausrüstung mit Stiefel, Jeans, Jacke und Handschuhen folgte fünf Jahre später, als ich mein erstes Motorrad erwarb. Im Sommer 2010 wurde ich gefragt, ob ich nicht bei der Wahl zum „MLB“ teilnehmen wolle. Obwohl ich mir keine Chance einräumte, packte mich der Ehrgeiz – und ich gewann! Als „MLB“ war ich verpflichtet, an der nachfolgenden „German ML Wahl 2011“ teilzunehmen. Diese gewann ich ebenfalls. Ich war sehr stolz, im Alter von 67 Jahren zu gewinnen. Ich glaube, ich bin überhaupt der älteste Gewinner! Leider haben sich die Mitglieder der BLF e.V. entschieden, die Wahlen vorerst nicht mehr auszutragen. Meine Rolle als Schärpen-Träger war, mich zu zeigen und die Deutsche sowie Berliner Leder- und Fetish-Community auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene zu repräsentieren. Und ich wollte anderen Mut machen und aufzeigen, dass das Leben auch mit 50 Jahren nicht zu Ende ist. Mein größtes Ereignis war die Teilnahme beim „IML 2011“ in Chicago und das Erreichen der Top 20. Ich glaube, selbst hier war ich der älteste Teilnehmer. Heute gehe ich weniger in die Szene, trotzdem stehen 2016 u.a. „Leatherpride Belgium“, „Ostern in Berlin“, „IML Chicago“, „Stadtfest & CSD Berlin“ sowie „Folsom Europe in Berlin“ als feste Termine in meinem Kalender.

Peter Browning , 72 Jahre, Mr.Leather Berlin 2010; German Mr.Leather 2011

Peter // © vvg

Ich habe an der Wahl teilgenommen, weil ich der Community als Person etwas zurückgeben wollte. Als ich 1998 nach München kam, gab es eine funktionierende Community, die ein Stück Heimat für mich wurde. Wenn man vom Lande in die Großstadt kommt, findet man eine Infrastruktur von Menschen vor, die man liebgewinnt und die einem Rückhalt geben.

Ehemalige Titelträger sind wichtige Teile und Bindeglieder in der Community. Nichts ist schlimmer, als die Jungs am Wahlabend und im Amtsjahr hochzujubeln und sie danach nach dem Motto „Krönchen weg – nur noch Dreck!“ wegzuschieben. Als Titelträger haben sie in der Regel viel gemacht, viel Zeit, Ideen und Geld investiert. Sicher, nicht jeder kommt mit dem Ruhm, der Präsenz und der Öffentlichkeit klar, aber das sollte kein Grund sein, sie anschließend despektierlich zu behandeln.

Ich bin kein Freund des umfassenden Titels „Mr. Fetisch“, das ist weder Fisch noch Fleisch. Mein Ding ist einfach Leder und ich verbinde mit dem Fetisch mehr als nur Kleidung. Für mich ist damit eine Haltung verbunden, die in der Kleidung zusätzlichen Ausdruck gewinnt. Wenn man auf einer großen Party in Jockstraps und Harness rumläuft, ist das für mich kein Fetisch, sondern nur Party mit Verkleidung. 

Kleinere Treffen finde ich angenehmer; die Leute sind offener, netter, kontaktfreudiger, dankbarer und drücken für mich mehr den Community-Gedanken der Lederszene aus. Die schwul-lesbische Community ist wie ein Querschnitt durch die Gesellschaft. Auch da gibt es Feindschaften untereinander. Auseinandersetzung darf sein, aber letztendlich macht der Ton die Musik und man muss nicht alles öffentlich austragen. Nur weil uns die sexuelle Orientierung verbindet, heißt es nicht, dass wir alle best friends sind. Wir „schwarze Jungs“ sind Teil einer sexuellen Subkultur, die den Anspruch hat, sichtbar zu sein. Ich glaube, das Deutschland offen und bunt genug ist und dass jeder so rumlaufen kann, wie er mag.

Thomas Rappel, Bavarian Mr. Leather 2013

Thomas // © vvg

Dieses Interview hat SCHWULISSIMO im März 2016 geführt.

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