Neue Vorwürfe in England Verhinderte Homophobie die Aufklärung von Angriffen auf Schwule?
Die Vorwürfe gegen die britische Polizei reißen nicht ab – letzte Woche erst wurde deutlich, dass es noch immer ein gravierendes Problem mit Homophobie und Sexismus unter den Londoner Beamten gibt, nun sorgt ein neuer Skandal für Schlagzeilen. Mehrere Todesfälle im Umfeld mutmaßlicher Erpressungen über die Dating-App Grindr bringen die britischen Polizeibehörden unter erheblichen Druck. Recherchen der BBC zeigen, dass mindestens fünf Männer ins Visier einer kriminellen Gruppe geraten sein sollen – doch Ermittlungen blieben aus oder wurden nur halbherzig geführt.
Stoppte Homophobie die Ermittlungen?
In einem besonders schweren Fall suchten die mutmaßlichen Täter einen 56-Jährigen zu Hause auf und verlangten, er solle seinen Range Rover herausgeben. Nur einen Tag später nahm sich der Mann das Leben. Die Aufsichtsbehörde IOPC hat den zuständigen Beamten der Hertfordshire Police gravierende Versäumnisse attestiert. Sie prüft nun auch, ob „homophobe Annahmen“ die Arbeit der Ermittler beeinträchtigt haben könnten. Der Partner des Verstorbenen, Cameron Tewson, berichtete der BBC, dass die Stimmung der Beamten spürbar kippte, als er erwähnte, dass sein Partner Grindr genutzt habe: „Es fühlte sich so an, als ob es danach einfach ignoriert wurde“, so Tewson.
Brisant ist zudem ein Schreiben, das die Täter zurückgelassen hatten: Darin standen das Kennzeichen des Range Rovers sowie eine Telefonnummer, die laut internen Unterlagen bereits in einem früheren Erpressungsfall eine Rolle gespielt hatte. Dennoch wurden keine Fingerabdrücke genommen, keine DNA-Spuren analysiert und niemand festgenommen. Die IOPC kritisierte in ihrem Bericht, der Fall sei weder gründlich untersucht noch Beschwerden angemessen behandelt worden.
Innerhalb von zehn Tagen nach dem Todesfall gingen zwei weitere Anzeigen ein, in denen dieselbe Telefonnummer auftauchte. Die Tätergruppe trat gegenüber ihren Opfern als angebliche „Pädophilen-Jäger“ auf, präsentierte jedoch keinerlei Beweise. Statt sie als Verdächtige zu behandeln, stufte die Polizei die Gruppe als „schutzbedürftige Personen“ ein – auch hier ohne Festnahmen. Die IOPC forderte Hertfordshire Police auf, sowohl den Todesfall als auch das Beschwerdemanagement erneut zu überprüfen.
Ein weiterer Todesfall verstärkt den Druck
Neun Wochen später wurde der 24-jährige Modestudent Liam McHale tot in seiner Wohnung gefunden. Am Vorabend hatte er Freunden erzählt, dass er auf Grindr erpresst werde – ein Date habe ihn unter dem Vorwand, minderjährig zu sein, bedroht. McHale meldete dies der Polizei, erhielt jedoch die Aufforderung, seine Aussage am nächsten Tag einzureichen. Am Morgen darauf wurde er leblos aufgefunden; ob er sich das Leben nahm, blieb ungeklärt.
Seine Mutter Julie Rice spricht von unerträglicher Ungewissheit. Die Auswertung von Handy und Laptop ihres Sohnes habe über 18 Monate gedauert: „Es fühlt sich an, als ob das Ganze unter den Teppich gekehrt wurde“, sagte sie der BBC. Auch in diesem Fall kam es zu keiner Festnahme. Ob beide Männer von derselben Gruppe bedroht wurden, ist unklar; die Thames Valley Police verweist auf laufende Ermittlungen, äußert sich aber nicht zu einzelnen Fällen.
Debatte über Verantwortung
Juristinnen und Juristen fordern inzwischen strengere Schutzmechanismen durch Dating-Apps. Natalie Sherborn von der Kanzlei Withers plädiert dafür, mehr Nutzerdaten zu erfassen, um Kriminelle schneller identifizieren zu können – unter Beachtung der Datenschutzregeln. Die schwule Dating-App Grindr betonte, umfassende Identitätsprüfungen seien für viele Nutzer riskant. Ein Unternehmenssprecher erklärte, man arbeite mit Behörden zusammen und wolle „eng mit der Community zusammenarbeiten, um ein sicheres Umfeld zu schaffen“.
Owen Pyle, Superintendent und Ansprechpartner für die LGBTIQ+-Community bei der Hertfordshire Police, versicherte, man wolle Diskriminierung entgegenwirken und die Arbeit mit queeren Menschen stärken: „Opfer werden ernst genommen und mit Sensibilität behandelt.“ Auch die IOPC erklärte, sie stehe in engem Austausch mit queeren Organisationen, um deren Perspektiven besser zu berücksichtigen. Ihre Anteilnahme gelte den betroffenen Familien und allen, die unter den Vorfällen leiden.