Schwuler Jesus? War Christus homosexuell? Oder eine Frau? Oder queer? Historiker und Theologen werfen einen neuen Blick in die Geschichte
Bereits zu Beginn des Jahres sorgte ein Bild des Künstlers Salustiano García Cruz in Spanien für große Empörung, in dem Jesus Christus als erotischer junger Mann porträtriert wurde. Einige Theologen und Kirchenhistoriker werfen nun die These auf, die geschichtliche Figur des Jesus könnte schwul, queer oder weiblich gewesen sein.
Der norwegische Theologe Halvor Moxnes stützt seine Erkenntnis darauf, dass Jesus im Matthäus-Evangelium Eunuchen preist und vermutlich selbst einer gewesen sei, da er unverheiratet blieb. Eunuchen wurden dabei in der Antike als Menschen angesehen, die zwischen den Geschlechtern stehen, neudeutsch also queer sind beziehungsweise aufgrund ihrer Homosexualität so definiert wurden.
Wer war die reale Person hinter dem Mythos?
Auch der Kirchenhistoriker Anselm Schubert von der Universität Erlangen-Nürnberg widmet sich den Beschreibungen von Gottes Sohn und hat darüber auch ein Buch mit dem Titel „Christus (m/w/d)“ geschrieben. Im Interview mit der Zeitschrift Die Zeit betonte er dabei, dass man unterscheiden müsse zwischen der christlichen Erlösergestalt der Bibel und dem historischen Menschen, der zu Beginn unserer Zeitrechnung in Palästina lebte und lehrte – Wissenschaftlern wie ihm geht es dabei vor allem um die reale Person Jesus, weniger um den christlichen Glaubensmythos.
Spannend dabei ist, dass im Laufe der Jahrhunderte auch der Blick auf die Geschlechtlichkeit von Jesus Christus variierte. „In der Antike dachte man anders darüber, was die Männlichkeit Christi sein könnte, als im Mittelalter, der frühen Neuzeit oder der Moderne (…) Vor allem weibliche Orden stellten sich Christus mit androgynen oder weiblichen Zügen vor, sogar mit einem Frauenkörper. Seine Seitenwunde wurde als Geburtskanal interpretiert.“ In der Menschheitsgeschichte gibt es zudem auch immer wieder Fälle, in denen Männern weibliche Attribute zugeschrieben worden sind, um damit ihrer Homosexualität Ausdruck zu verleihen.
Gefangen in traditionellen Geschlechterrollen
Die Tatsache, dass viele treue Christen allein mit der Annahme, Jesus könne weiblich oder eben queer gewesen seien, ein so großes Problem haben, liegt nach Einschätzung des Experten in Klischees und traditionellen Geschlechterrollen, die sich seit dem 19. Jahrhundert stark ausgeprägt haben. In der Antike indes war der Blick darauf ein anderer.
„Geschlecht galt eher als moralische und intellektuelle Eigenschaft, nicht als körperliche. Man ging von einer einzigen menschlichen Geschlechtlichkeit aus, die sich auf einer Skala bewegte zwischen weiblich und männlich, wobei das Männliche als höherwertig galt. ´Geschlecht´ war damals also nicht eindeutig, man war Mann oder Frau je nach den Eigenschaften, die man hatte – doch das konnte sich ändern (…) Die Grenze zwischen den Geschlechtern war fließend. Wenn davon gesprochen wurde, ob Christus ein Mann war, meinte man eigentlich seine Vollkommenheit.“
Am Ende sei es dabei vielleicht auch gar nicht wichtig, ob Jesus nun tatsächlich schwul, queer, männlich oder weiblich gewesen sei. Schubert betont weiter: „Allen Theologen von damals bis heute ist klar, dass Gott ein geistiges Wesen ist, also keinen Körper und kein Geschlecht hat. Warum also sucht es sich ausgerechnet einen männlichen Körper aus, um sich zu inkarnieren?“