Selbstbestimmungsgesetz Queer-Beauftragter Lehmann antwortet auf CDU-Anfrage
Ende Dezember stellte die Union eine Anfrage mit 92 konkreten Fragen zum geplanten und bis heute umstrittenen Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) an die Ampel-Koalition – der schwerwiegendste Aspekt dabei ist der Vorwurf von fehlenden Schutzmaßnahmen für Minderjährige. Kommt das Gesetz wie derzeit geplant, können Eltern das juristische Geschlecht ihres Kindes jederzeit ohne fachkundige Überprüfung oder Beratung ändern lassen, ab dem 14. Lebensjahr kann der Jugendliche dies dann eigenständig tun – entweder mit Zustimmung der Eltern oder ansonsten über das Familiengericht.
Keine Nachjustierung geplant
Zu den Fragen der Union äußerte sich jetzt der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne). Die Antworten wurden nicht offiziell veröffentlicht, liegen der Zeitung Die Welt aber exklusiv vor. Lehmann sieht demnach keinen Bedarf zur Nachjustierung des Gesetzesvorhabens, das sich nach wie vor in Beratungen befindet.
Konkret geht es dabei um eine verpflichtende Beratung von Jugendlichen vor einer Änderung des Geschlechtseintrags – die Forderung dazu kam zuletzt vom Bundesrat und wurde zuvor aber auch von Fachärzten, Frauenverbänden sowie auch von einigen schwul-lesbischen Vereinen gefordert. Lehmanns Antwort darauf: „Die Bundesregierung hat bei der Erstellung des Gesetzentwurfs eine Beratungspflicht gerade auch im Hinblick auf Minderjährige geprüft und diese nicht für erforderlich gehalten. Es wird davon ausgegangen, dass die Kinder und Jugendlichen, die eine Änderung des Geschlechtseintrags beabsichtigen, und ihre sorgeberechtigten Personen eine so weitreichende Entscheidung im Regelfall nicht ohne Unterstützung treffen wollen und werden.“
Zudem betonte Lehmann laut der Welt, dass das SBGG auch deswegen keine verpflichtenden Kontrollen vorsieht, da dies dem primären Ziel des Gesetzes widersprechen würde, den „betroffenen Personen eine autonome Entscheidung in Bezug auf ihre geschlechtliche Selbstbestimmung zu ermöglichen. Der Fokus der Bundesregierung liegt daher auf der Stärkung von Beratungsangeboten statt der Etablierung einer starren Pflichtberatung.“
Der Ausbau solcher Beratungsstrukturen soll im Rahmen des Aktionsplan „Queer Leben“ erfolgen, der allerdings frühestens 2025 mit ersten Projekten starten kann. Laut Lehmann herrsche „weitgehend Konsens“ bei den fachmedizinischen Stellungnahmen zu der Diskussion um eine verpflichtende Beratung. Tatsächlich stimmten im Mai letzten Jahres rund fünfzig Verbände den grundsätzlichen Plänen des SBGG zu, dreißig weitere Organisationen übten allerdings indes scharfe Kritik.
Ausweichende Antworten?
Auf die Frage, ob es durch eine stark vereinfachte Möglichkeit eines Wechsel des Geschlechtseintrages nicht auch zu verfrühten Entscheidungen bei Jugendlichen kommen könne, sagte Lehmann weiter: „Der Entscheidungsprozess für geschlechtsangleichende Maßnahmen bei minderjährigen trans* Personen ist hochkomplex und muss bei jeder betroffenen minderjährigen Person individuell erfolgen. Die Entscheidung liegt dabei im Ermessen der behandelnden Ärztin beziehungsweise des behandelnden Arztes und muss nach Abwägung von Nutzen und Risiken einer gewünschten und verfügbaren Behandlung sowie der Herstellung einer bestmöglichen Informiertheit der Patientinnen und Patienten und ihrer Sorgeberechtigten getroffen werden.“ Laut Einschätzung der Welt antwortete Lehmann hier ausweichend.
Eltern sind sich uneins – und dann?
Ein weiterer Aspekt war die Frage, wie zu verfahren ist, wenn ein Elternteil einen Geschlechtswechsel ihres minderjährigen Kindes ablehne – in diesem Fall ist im Gesetzesvorhaben geplant, dass das Familiengericht daraufhin final entscheidet, welches Elternteil allein die Entscheidungsgewalt darüber erhält – das Familiengericht müsse dabei berücksichtigen, welcher „Elternteil am besten eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu treffen vermag. Das ist insbesondere dann wichtig, wenn ein Elternteil möglicherweise Gründe hat, die seiner persönlichen Einstellung entspringen und nicht mit dem Kindeswohl verbunden sind.“
Scharfe Kritik von CDU/CSU
Politiker der Union zeigten sich in ersten Statements sehr unzufrieden über die Antworten von Lehmann. Die CDU-Abgeordnete Mareike Wulf aus dem Familienausschuss der Union erklärte: „Die Ampel scheint weder willens noch in der Lage zu sein, auf berechtigte Zweifel und Sorgen angemessen einzugehen. Das zeigt sich insbesondere bei den Regelungen für Kinder und Jugendliche. Die Antworten deuten klar darauf hin, dass die Ampel hier nicht umsteuern möchte. Statt beim Geschlechtswechsel wenigstens ein Mindestmaß an Jugendschutz zu gewährleisten, sollen Familien in solch schwierigen Situationen komplett sich selbst überlassen werden.“
Kein Verständnis beim Großteil der Gesellschaft?
Und die stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Andrea Lindholz betonte, dass das Gesetz in dieser Form „massive Probleme auslösen wird, die die gesamte Gesellschaft betreffen.“ Einmal mehr erwähnte sie dabei auch die Bedenken, die zuletzt auch vom Bundesinnenministerium geäußert worden waren, demnach Kriminelle den einfachen Geschlechtswechsel missbrauchen könnten, um sich der polizeilichen Fahndung zu entziehen oder die Identität zu verheimlichen.
„Die Ampel verschließt vor diesen hochproblematischen Folgen einfach ihre Augen und versucht, eine Ideologie durchzudrücken, für die der Großteil der Gesellschaft kein Verständnis hat“, so Lindholz weiter gegenüber der Welt. Nach internen Diskussionen wurde die 2./.3.Lesung und damit die Abstimmung zum SBGG Ende Dezember letzten Jahres auf unbestimmte Zeit verschoben.