Welttag der Menschenrechte Wie steht es um die Rechte der Community?
Heute feiern wir den Welttag der Menschenrechte, einst im Jahr 1948 von den Vereinten Nationen ins Leben gerufen, um die universelle Bedeutung von Menschenrechten hervorzuheben und auf die weltweiten Missstände aufmerksam zu machen. Doch wie ist es aktuell bestellt um unsere grundsätzlichen Rechte wie Freiheit, Gleichheit und Würde, insbesondere mit Blick auf die LGBTIQ+-Community? SCHWULISSIMO fragte nach bei Rupert Haag, LGBTIQ+-Experte bei Amnesty International in Deutschland.
Was sind für Sie am Ende des Jahres 2025 die zentralen und wichtigsten Menschenrechte, die allumfassend von Bedeutung sind, auch für LGBTIQ+-Menschen?
Für uns von Amnesty International gilt: Die Menschenrechte sind unteilbar! Das klingt banal, ist aber eine ungemein wichtige Grundvoraussetzung im Kampf für die Menschenrechte, auch die von queeren Personen. Die Feinde von Freiheit, Demokratie und Gleichstellung versuchen, uns auseinander zu dividieren, zu spalten und angebliche „Neutralität“ für diskriminierende Gruppierungen einzufordern. Ohne uns! Wir müssen zusammenhalten, und deswegen sind alle Menschenrechte gleich wichtig: Ohne Meinungsfreiheit keine Versammlungsfreiheit, ohne Religionsfreiheit keine politischen Rechte und so weiter.
Gibt es im Bereich LGBTIQ+ weltweit überhaupt einen Grund zum Feiern?
Wenn wir die allgemeine Weltlage anschauen, werden die Sorgen leider immer größer. In den USA werden die Rechte von trans Menschen massiv eingeschränkt. Im Iran werden täglich Menschen hingerichtet und immer mehr queere Menschen versuchen, das Land zu verlassen. In China nehmen Hass und Hetze gegen LGBTIQ+-Personen in den landeseigenen sozialen Medien rasant zu. Deswegen ist jeder noch so kleine Erfolg im Kampf für queere Menschenrechte ein Lichtblick. So war es zum Beispiel ein grandioser Erfolg der europäischen Zivilgesellschaft, dass die Pride in Budapest zusammen mit der ungarischen LGBTIQ+-Gemeinschaft und Tausenden Besucher*innen aus dem Ausland trotz der Hasskampagne der Orban-Regierung stattfinden konnte. Auch die Freilassung des türkischen LGBTIQ+-Menschenrechtsverteidigers Enes Hocaoğulları, für den sich Tausende Menschen in einer weltweiten Eilaktion von Amnesty International einsetzten, war ein solcher Lichtblick.
Lassen Sie uns noch ein wenig auf das Positive blicken. Was hat sich Ihrer Meinung nach in den letzten Jahren zum Positiven entwickelt mit Blick auf Homosexuelle und queere Menschen in Deutschland, aber auch weltweit?
In Deutschland war die Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes ein großer Erfolg, auch wenn es nicht in jedem Bereich zufriedenstellende Lösungen für die betroffenen Menschen gebracht hat. Nun muss die Gemeinschaft dafür kämpfen, dass es nicht wieder aufgeweicht oder gar abgeschafft wird. Und so ist es auch weltweit: Was in den 2000er- und 2010er-Jahren erreicht wurde – die Abschaffung der Kriminalisierung homosexueller Handlungen in Staaten wie Indien oder Namibia, die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe in vielen Ländern sowie die Anerkennung der Rechte von trans Personen – soll jetzt auf Drängen von erzkonservativen Kräften und Menschenrechtsfeinden wieder zurückgedrängt oder aufgehoben werden. Und teilweise ist es schon so weit gekommen – deswegen dürfen wir uns nicht auf den Erfolgen ausruhen, sondern müssen täglich gegen den Rückschritt ankämpfen.
Welche negativen Entwicklungen machen Ihnen im Bereich LGBTIQ+ derzeit am meisten Sorgen?
Die Lügen und der Hass, die die Menschen aufwiegeln und in die Irre führen. Wir sehen es in den USA, wo die Existenz von trans Menschen zerstört wird, weil die Trump-Regierung und ihre Organe Falschinformationen verbreiten. Wir sehen es leider auch hier in Deutschland, wo die AfD und andere Gruppierungen die sozialen Medien mit Hass und Lügen über LGBTIQ+-Menschen fluten, queere Politiker*innen diffamieren und schon Teenager*innen mit gezielten Falschinformationen über Geschlecht und sexuelle Orientierung in eine gefährliche Richtung dirigieren. Dem müssen wir entschieden entgegentreten, um die Zukunft der demokratischen Gesellschaft zu schützen. Dafür braucht es vor allem Bildung. Die Gelder für kleine NGOs und Organisationen, die über Vielfalt, Geschlecht und sexuelle Orientierung aufklären, dürfen nicht weiter gekürzt werden. Und diese Themen müssen in den Schulen besprochen werden, um die absurden Behauptungen über eine angebliche Frühsexualisierung zu stoppen!
Noch immer ist Homosexualität in 64 UN-Mitgliedsstaaten illegal, in sieben davon droht derzeit die Todesstrafe. In 61 Ländern gibt es außerdem Gesetze, die die freie Meinungsäußerung mit Blick auf die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt einschränken. Ebenso 61 UN-Länder versuchen, Pride-Demonstrationen zu unterbinden. Warum hasst uns scheinbar rund ein Drittel aller Länder und Menschen noch immer so sehr?
Das ist natürlich ein sehr vielschichtiges Problem. Eine sehr große Rolle dabei spielen leider wieder einmal die konservativen Kräfte aus den USA. Um nur ein Beispiel zu nennen: Das sogenannte Anti-Homosexualitätsgesetz in Uganda wurde erst dadurch ermöglicht, dass evangelikale Gruppen die ugandischen Parlamentarier*innen jahrelang lobbyiert haben und in vielen Gesprächen darauf gedrängt haben, die Todesstrafe für „erschwerte“ Homosexualität durchzusetzen. Genau deswegen muss die deutsche Außenpolitik weiterhin queere Projekte im Ausland durch die deutschen Botschaften unterstützen – immerhin hat die damalige Bundesregierung im Jahr 2021 ein LSBTI-Inklusionskonzept für die Außen- und Entwicklungspolitik in Deutschland verabschiedet. Wie weit die jetzige Bundesregierung an diesem Vorhaben festhalten will und wird, wird sich zeigen. Amnesty International ist Mitglied der Yogyakarta-Allianz, die dazu in Gesprächen mit den jeweiligen Ministerien ist.
In Deutschland gibt es seit Jahren Reformvorhaben in der römisch-katholischen Kirche im Bereich LGBTIQ+, die Glaubensvertreter wirken so, als würden Sie uns die Hand reichen. Im Vatikan sieht die Sachlage indes anders aus, auch Papst Leo XIV. sprach sich mehrfach zuletzt gegen Reformen aus. Noch schlimmer sind christliche Bischöfe beispielsweise in Afrika, die ganz offen und direkt Homophobie befeuern und zu Hass und Gewalt aufrufen. Welchen Einfluss hat das Christentum auf die Lage der queeren Menschen weltweit heute noch?
Das ist seit Jahrzehnten ein Hin und Her, wobei die Ausrichtung der deutschen Kirchen im weltweiten Zusammenhang eher eine untergeordnete Rolle spielt. Deswegen ist die Unterstützung von kleinen reformorientierten Gemeinden umso wichtiger. Es gibt auf allen Kontinenten, je nach Landeskirche mal mehr, mal weniger, lokale christliche Gemeinden, in denen charismatische, mutige Menschen, meist liberale Priester oder Ordensleute, einen Zufluchtsort bieten für queere Personen, die von den Behörden verfolgt, von ihren Familien verstoßen wurden oder arbeitslos geworden sind, aufgrund ihrer (vermeintlichen) sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität. Dennoch sind sie in ihrem Glauben fest verwurzelt, dort finden sie Sicherheit und Schutz. Diese Gemeinden müssen von uns unbedingt unterstützt und gefördert werden, denn sie sind ein Lichtblick für viele Verfolgte und Alleingelassene.
Noch weniger scheinen die Menschenrechte von LGBTIQ+-Personen in Ländern zu gelten, in denen der Islam mehrheitlich vertreten ist. Gibt es hier aus Ihrer Sicht Chancen oder Anzeichen, dass sich die Lage spürbar verbessert?
Leider nur minimal, auch hier gehen die positiven Entwicklungen wieder zurück. So war etwa die libanesische NGO Helem die einzige ernstzunehmende LGBTIQ+-Organisation im Nahen Osten (abgesehen von der aktiven Zivilgesellschaft in Israel), die positive Entwicklungen für die queeren Menschen dort bewirken konnte. Im Zuge des Bürgerkriegs und des wirtschaftlichen Niedergangs im Libanon ist die Arbeit von Helem jedoch massiv beschränkt worden. Und die – im Vergleich zu liberalen Kräften in christlichen Gemeinden – sehr wenigen muslimischen Reformkräfte wurden erschüttert durch den grausamen queerfeindlichen Mord an dem offen schwulen Imam Muhsin Hendricks in Südafrika, der die vorsichtige Öffnung für liberale Muslim*innen im Keim erstickte.
In immer mehr Ländern müssen LGBTIQ+-Menschen derzeit als Sündenböcke herhalten, wenn die Machthaber anderweitig politisch Fehler gemacht haben. Warum scheint es immer wieder offenbar so leicht zu sein, queere Personen als die Schuldigen zu definieren?
Wie der Name „Sündenbock“ nahelegt, ist dieses menschliche Verhalten schon so alt wie die Menschheit. Leider ist diese Verhaltensweise sogar in der queeren Community zu beobachten, wo mehrfach diskriminierte Personen von weniger stark diskriminierten Personen ausgegrenzt und benachteiligt werden. Deswegen hilft nur eines: Wir müssen uns Verbündete suchen – Gewerkschaften, Frauenverbände, Friedensgruppen etc. – und zusammen gegen menschenfeindliche Kräfte, die die Rechte der LGBTIQ+-Gemeinschaft bedrohen, ankämpfen! Denn nur gemeinsam sind wir stark.
Eines der wichtigen Menschenrechte ist das Verbot von Folter. Trotzdem wird in rund 140 Ländern weltweit bis heute gefoltert, oftmals sind auch queere Menschen davon betroffen. Dazu kommt eine besondere Form von Folter, die sogenannten Konversionstherapien. Rund ein Drittel der LGBTIQ+-Menschen in vielen Ländern erlebt bis heute solche „Homo-Heilungen“, auch in Deutschland. Warum sind diese noch immer so weit verbreitet?
Hier haben leider auch zu einem großen Teil die Kirchen ihre Hände im Spiel. Neben den evangelikalen Gemeinschaften ist auch die katholische Kirche sehr aktiv bei diesen grausamen Verfahren. In Ecuador gibt es nach Amnesty-Recherchen mehr als 200 Kliniken, in denen Homosexuelle „geheilt“ werden sollen. Sie gleichen Gefängnissen, doch der Staat lässt die Betreiber*innen gewähren. Dies muss öffentlich angeprangert werden und den Betroffenen muss intensive Hilfe und Schutz vor dieser Folter gewährt werden. Und nicht zuletzt sollte die deutsche Regierung alle Mittel der Diplomatie und Lobbyarbeit ausschöpfen, um die Regierungen befreundeter Staaten aufzufordern, diese Praktiken sofort gesetzlich zu verbieten.
Amnesty International kämpft seit vielen Jahren für die Menschenrechte, gerade auch für jene der queeren Community. Manchmal fühlt es sich trotzdem wie ein Kampf gegen Windmühlen an. Auch in der LGBTIQ+-Szene gibt es immer wieder Ermüdungserscheinungen. Warum dürfen wir Ihrer Meinung nach gerade jetzt nicht aufgeben?
Diese Frage ist einfach zu beantworten: Weil es gerade jetzt so wichtig ist, zu kämpfen! Würden wir den Kampf jetzt aufgeben, wäre all die Arbeit der vergangenen Jahrzehnte vergebens und die Menschenrechtsfeinde hätte gewonnen – das akzeptieren wir nicht! Was mich und viele andere Gruppen bei Amnesty International und in der LGBTIQ+-Aktivismus-Szene immer wieder motiviert, ist die Freude und die Begeisterung im Dialog mit queeren Menschen weltweit. Ich werde nie vergessen, wie mir eine Aktivistin in Nepal von einer solidarischen Postkarten-Aktion von Amnesty erzählte: Sie hatten Tausende von ermunternden Postkarten von Menschen aus aller Welt erhalten und damit die Wände ihres kleinen Büros tapeziert. Jedes Mal, wenn sie wieder von der Polizei drangsaliert oder gar gefoltert wurden, hätten sie die Postkarten angeschaut, weil sie ihnen Kraft schenkten.
Was sind für Sie die wichtigen Aspekte, die es beim Welttag der Menschenrechte zu bedenken gibt?
Niemals aufgeben! Auch wenn immer wieder Rückschritte im Kampf für die Menschenrechte erfolgen, zeigt jeder noch so kleine Erfolg, wie nötig und wichtig dieser Kampf ist. Jeder Mensch kann etwas dazu beitragen – wie das vorherige Beispiel zeigt: In nur einer Minute kann man eine Postkarte schreiben und damit monatelang Kraft und Energie schenken!
Herr Haag, vielen Dank fürs Gespräch.