Streitfall CSD Köthen Anzeige gegen CSD-Veranstalter und Debatten um den Pride
Auch zwei Monate nach dem CSD in der Kreisstadt Köthen in Sachsen-Anhalt ist der Streit zwischen Oberbürgermeisterin Christina Buchheim (Die Linke) und dem CSD-Leitungsteam Falko Jentsch und Julian Miethig noch immer nicht beigelegt – im Gegenteil. Nach Angaben der Mitteldeutschen Zeitung hat Buchheim nun die zwei Verantwortlichen angezeigt. Kernaspekt ist dabei ein Streit um diverse Auflagen und die Gesamtkommunikation rund um den CSD in diesem Sommer. SCHWULISSIMO fragte nach bei Falko Jentsch und Julian Miethig.
Die Stadtverwaltung und Oberbürgermeisterin Christina Buchheim erklärten, es habe rund um den CSD Köthen diverse Streitigkeiten mit euch gegeben. Die Rede ist von „übler Nachrede“ und mehr. Was ist aus eurer Sicht passiert? Wie konnte die Situation so eskalieren?
Grundsätzlich mangelte es von Anfang an an Gesprächen. Wir haben seit Monaten per E-Mail Gesprächsanfragen gestellt, wurden aber immer wieder vertröstet. Dazu kam, dass wir das Gefühl hatten, dass beim Landkreis noch eine „offene Rechnung“ mit uns bestand: Schon im Vorjahr war man dem CSD nicht wohlgesonnen. Das erste Kooperationsgespräch in diesem Jahr begann deshalb mit 20 Minuten Vorhaltungen seitens der Behördenvertreter. Normalerweise arbeiten Kreis (Versammlungsbehörde) und Stadt (Ordnungsamt) bei einem CSD Hand in Hand. In Köthen taten sie das auch – allerdings nicht, um den CSD zu ermöglichen, sondern, um gegenseitig alle Hebel in Bewegung zu setzen, unsere Anmeldung einzuschränken. Insbesondere ging es darum, die Abschlusskundgebung auf dem Marktplatz nicht mehr als Teil der Demonstration anzuerkennen. Die Versammlungsbehörde stellte – wie üblich – klar, dass Versorgung nicht als Teil der Demonstration anerkannt wird. Normalerweise beantragt man in solchen Fällen bei der Stadt eine Sondernutzung, etwa für Versorgungsstände oder auch für Sitzbänke, die auf dem Marktplatz stehen. Bühne und politische Stände dagegen sind klar Bestandteil der Versammlung. In Köthen aber blockierte die Stadtverwaltung mit der Begründung der Oberbürgermeisterin, die Versammlungsverfügung des Landkreises verbiete eine Sondernutzung auf dem Marktplatz – obwohl dies so gar nicht dort stand. Diese Interpretation wiederholte Frau Buchheim mehrfach, bis sie die Sondernutzung schließlich ablehnte. Das ist ihr Recht, da auf Sondernutzung kein Rechtsanspruch besteht. Aber es wäre auch ihr Spielraum gewesen, den CSD zu unterstützen. Die Ironie: Gerade durch diese Ablehnung war unsere Klage gegen den Landkreis erfolgreich. Denn wenn die Stadt die Sondernutzung verweigert, müssen wir als Veranstalter die Versorgung anderweitig sicherstellen. Da es auf dem Marktplatz in Köthen keinerlei öffentliche Toiletten und keine Versorgung gibt, war das zwingend notwendig. Das Gericht stellte klar: Bei einer zehnstündigen Demonstration muss Versorgung gewährleistet sein – entweder durch Infrastruktur vor Ort oder durch eigene Stände. Nur deshalb konnte die Klage erfolgreich sein.
Die Oberbürgermeisterin betonte, die Stadt habe nicht verweigert, sondern der Landkreis habe Verkaufsstände untersagt. Wie seht ihr das?
Am Tag der Versammlung selbst wurde klar erkennbar gegen das Urteil agiert. Von Toiletten war die Rede, von Versorgung wollte man nichts wissen. Deshalb mussten wir auf die Treppen der Kirchen ausweichen, die uns unterstützt haben. Auch das Thema Strom zeigt die Haltung: Schon am Freitag haben wir im Ordnungsamt nachgefragt, ob wir den frei zugänglichen Strom auf dem Marktplatz nutzen dürfen. Die Antwort: Die Entscheidung stehe noch aus, wir sollten uns lieber nach Alternativen umsehen. Strom war aber da, problemlos nutzbar. Man hätte einfach den Zählerstand notieren, ein kurzes Schriftstück anfertigen und die Abrechnung klären können. Stattdessen war offenkundig, dass es nicht gewollt war. So kam es, dass wir uns am Samstagmorgen um 8:00 Uhr an den Strom angeschlossen haben. Um 9:00 Uhr kam die Aufforderung, sofort den Anschluss zu kappen. Als ich dies bis 11:30 Uhr nicht getan hatte, wurde die Polizei gerufen, um Amtshilfe zu leisten. Sie forderte mich auf, die Stromzufuhr zu unterbrechen. Nach einem intensiven Gespräch zwischen Polizei, Ordnungsamt und uns wurde dann plötzlich ein handschriftlicher Antrag akzeptiert, der Zählerstand notiert – und alles war erledigt. Ein Beweis dafür, dass es auch vorher möglich gewesen wäre.
Frau Buchheim kündigte an, dass es 2026 keinen CSD in Köthen geben werde, wenn ihr weiterhin verantwortlich seid.
Ein CSD ist eine Demonstration. Eine Bürgermeisterin oder ein Bürgermeister kann ihn nicht „verbieten“, das wäre ein klarer Verstoß gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Allein schon die öffentliche Äußerung, dass man dies in Betracht ziehe, ist aus unserer Sicht ein problematischer Eingriff in Grundrechte. Wir finden es absurd, dass eine linke Bürgermeisterin einer Kleinstadt so etwas ins Spiel bringt, während wir bundesweit über das Hissen der Regenbogenflagge am Bundestag diskutieren. In Deutschland ist es glücklicherweise bislang undenkbar, dass ein Kanzler oder eine Kanzlerin einen Pride verbieten könnte. Dass nun in Köthen der Eindruck erweckt wird, das sei möglich, zeigt die Denkweise vor Ort. Wir können nur klarstellen: Der CSD 2026 ist bereits für den 11. Juni angemeldet. Wir, Julian Miethig und Falko Jentsch, werden gemeinsam mit dem gesamten Team diesen CSD durchführen. Wie er genau aussehen wird, ist noch offen – aber er wird stattfinden.
Warum die Ablehnung in diesem Jahr, obwohl 2024 doch alles gut lief – sogar mit Schirmherrschaft der Oberbürgermeisterin.
Der erste CSD 2024 war nur durch viel Aufmerksamkeit und vor allem Spenden aus dem „Böhmermann-Topf“ möglich. Davon wurden auch verschiedene Projekte in Köthen, teils auch Projekte der Bürgermeisterin, mitfinanziert. Es ist eine falsche Annahme, dass „links“ automatisch queerfreundlich bedeutet. Genauso wie nicht jeder „rechte“ Mensch queerfeindlich ist. In Köthen zeigte sich: Die OB hatte sich nicht wirklich für queere Themen eingesetzt. 2023, als unser erstes Treffen in städtischen Räumen stattfinden sollte, wurde dies kurzfristig wegen Drohungen und Schmierereien abgesagt. Frau Buchheim sagte Unterstützung zu, stellte aber keine Ersatzräume. 2024 war sie Schirmherrin – aber eher pro forma, weil man meinte, man „müsse“ eine linke Bürgermeisterin benennen. Wirkliches Engagement gab es nicht. Nach dem ersten CSD sprang kein Funke über. Es gab bis zwei Tage vor dem CSD 2025 keinerlei Kommunikation, trotz mehrfacher Anfragen unsererseits. Dazu kam: Selbst die Reinigung von Buttersäure-Anschlägen am Bahnhof und Marktplatz wurde dem CSD in Rechnung gestellt. Ein Unding – für Vandalismus zahlt normalerweise nicht der Versammlungsleiter. Nur weil Spendenmittel da waren, gab es keinen Aufschrei. An anderen Orten wäre das ein Skandal in der Presse gewesen.
Die Stadt kündigte jetzt strafrechtliche Schritte an. Wie seht ihr das? Prüft ihr ebenfalls rechtliche Schritte?
Laut Presse hat die Oberbürgermeisterin Anzeige gestellt. Uns ist bis heute aber nicht bekannt, um welchen Tatbestand es gehen soll. Wir haben keinerlei Informationen erhalten. Fakt ist: Wir haben eine Fortsetzungsfeststellungsklage gegen die Stadtverwaltung eingereicht. Wir wollen gerichtlich feststellen lassen, dass die erlebten Schikanen unzulässig waren – damit wir nicht im nächsten Jahr wieder dieselben Hürden erleben. Was die Stadt gegen uns ins Feld führt, können wir nicht sagen. Wir halten uns – wie in allen anderen Städten – an Recht und Gesetz. Wir machen dies nicht zum ersten Mal. Sobald wir etwas Schriftliches sehen, werden wir reagieren.
Gibt es Chancen auf Befriedung?
Ja, aber nur, wenn es endlich ernsthafte Gesprächsbereitschaft gibt. Es gab von unserer Seite mehrfach Gesprächsangebote. Auch externe Stellen haben Mediation vorgeschlagen. Alles blieb unbeantwortet. Ein wirklicher Befreiungsschlag könnte nur gelingen, wenn man sich mit hochkarätigen neutralen Persönlichkeiten an einen Tisch setzt, die moderieren. Ziel wäre nicht, dass man sich „mag“ – sondern dass man sich gegenseitig akzeptiert und respektvoll zusammenarbeitet. Das wäre unser Wunsch.
Vielen Dank für das Gespräch.
Transparenzhinweis: Wir haben Oberbürgermeisterin Buchheim um eine Stellungnahme gebeten, eine Antwort steht aktuell noch aus.