Rücknahme von Aufnahmezusagen Werden homosexuelle und queere Afghanen im Stich gelassen?
Das Bundesinnenministerium wird in den kommenden Tagen rund 640 Afghaninnen und Afghanen mitteilen, dass sie doch nicht nach Deutschland einreisen dürfen, „dass kein politisches Interesse an ihrer Aufnahme mehr vorliegt“, heißt es in den Schreiben, wie Ministeriumssprecherin Sonja Kock jetzt bestätigte. Die Betroffenen hatten zuvor in Pakistan auf ihre Ausreise gewartet und gelten als besonders gefährdet, weil sie Repressionen des Taliban-Regimes fürchten müssen – darunter auch eine unbekannt große Anzahl von LGBTIQ+-Menschen.
Zusagen kurzfristig zurückgenommen
Die Berliner Regierungskoalition aus CDU, CSU und SPD hatte vereinbart, zwei der bestehenden Aufnahmeprogramme „so weit wie möglich“ auslaufen zu lassen. Die Zusagen für Frauenrechtlerinnen, Juristen, Journalisten und weitere bedrohte Gruppen wie Homosexuelle und queere Menschen stammen noch aus der Zeit der früheren Ampelregierung. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) beschreibt diese seit längerem als „Altlasten“, die abgearbeitet werden müssten.
Zum ersten Mal sind nun auch Menschen betroffen, die im Ortskräfteprogramm erfasst waren – also frühere Mitarbeiter deutscher Ministerien oder der Bundeswehr in Afghanistan. Laut der Hilfsorganisation Kabul-Luftbrücke erhielten etwa 130 Betroffene eine E-Mail, in der ihnen der Entzug ihrer Zusage mitgeteilt wurde. Nach Angaben von Sprecherin Kock können sich damit nur noch 90 der verbliebenen 220 Ortskräfte auf eine gültige Zusage berufen.
Von der Entscheidung nicht betroffen sind Afghanen aus dem sogenannten Bundesaufnahmeprogramm, die als besonders gefährdet gelten. Auf Rückfrage betonte Dobrindt weiter: „Da, wo wir rechtsverbindliche Aufnahmezusagen haben, werden wir die auch erfüllen. Bei sogenannten Ortskräften da sehen wir uns in einer fortlaufenden Verantwortung.“ Voraussetzung bleibe eine erfolgreich absolvierte Sicherheitsüberprüfung. Nach Regierungsangaben hat Deutschland seit der Machtübernahme der Taliban 2021 bis April 2025 rund 4.000 Ortskräfte sowie knapp 15.000 Angehörige aufgenommen.
Gefährdete Afghanen unter Zeitdruck
Die Situation wird verschärft durch Ankündigungen pakistanischer Behörden, Afghaninnen und Afghanen ab Jahreswechsel verstärkt abzuschieben – auch aus den Gästehäusern, die Deutschland zur Verfügung stellt. Laut queeren Organisationen warten auch hier einige LGBTIQ+-Menschen bisher auf ihre Ausreise. Sie verfügen über Zusagen aus dem Bundesaufnahmeprogramm, das sich insbesondere an Aktivisten und definierte Berufsgruppen richtete. Dobrindt sieht sich jedoch nicht mehr an diese Zusagen gebunden. Nur Personen, die vor deutschen Verwaltungsgerichten erfolgreich geklagt haben, werden derzeit noch ausgeflogen. Der LSVD+ hatte bereits 2024 eindringlich vor dieser Situation gewarnt.
Laut Kabul-Luftbrücke wurden bisher 84 Klagen positiv beschieden, 195 weitere sind anhängig. Dutzende zusätzliche Verfahren befinden sich in Vorbereitung. Ob diese Verfahren vor Jahresende abgeschlossen werden können, ist offen. Sprecherin Eva Beyer spricht von einer extrem belastenden Lage: „Das ist eine unfassbare Unsicherheit, in der sich die Menschen zum Teil seit Monaten zum Teil auch schon seit Jahren befinden. Diese Ungewissheit ist allein schon psychische Folter.“ Insgesamt wurden im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms etwa 3.500 Zusagen erteilt – basierend auf Vorschlägen deutscher Nichtregierungs- und Hilfsorganisationen. Rund 250 Organisationen – darunter Human Rights Watch, Pro Asyl und Brot für die Welt – fordern in einem offenen Brief an Innenminister Dobrindt, die gefährdeten Personen noch vor Jahresende einreisen zu lassen.