LGBTI*-Afghanen ohne Hoffnung? Droht das Ende des Bundesaufnahmeprogramms?
Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) warnt jetzt eindringlich davor, dass das Fortbestehen des Bundesaufnahmeprogramms zu Afghanistan (BAP) akut gefährdet sei – davon wären auch insbesondere LGBTI*-Flüchtlinge betroffen, die versuchen, dass homophobe Land zu verlassen. Seit der Übernahme der Taliban 2021 werden vor allem schwule Männer systematisch gejagt, inhaftiert, gefoltert und hingerichtet.
Ende des Aufnahmeprogramms
Die Finanzierung des Bundesaufnahmeprogramms soll im kommenden Jahr auf rund 13 Prozent des Budgets von diesem Jahr gekürzt werden, so die derzeitigen Etat-Pläne des zuständigen Bundesinnenministeriums (BMI). „Das würde de facto das Ende des BAP bedeuten, und somit auch ein vorzeitiges Ende dieses modellhaften Menschenrechtsprogramms, mit dem die Migration kontrolliert gesteuert werden sollte“, warnt Jörg Hutter aus dem Bundesvorstand.
Die Entscheidung ist aus Sicht des LSVD auch deswegen unverständlich, weil die generellen Mittel des BMI um 400 Millionen Euro im kommenden Jahr erhöht werden, gleichzeitig aber bei den Aufnahmeprogrammen gestrichen wird. Damit würden laut Hutter auch die, im Koalitionsvertrag festgelegten Zusagen untergraben.
Rücknahme von Zusagen?
„Diese Streichungen müssen logischerweise auch dazu führen, dass das Programm nicht ordnungsgemäß zu Ende geführt werden kann und Aufnahmezusagen zurückgenommen werden müssen (…) Bis dato wurden hunderte Personen beim Innenministerium im BAP registriert und eine hohe zweistellige Zahl nach Deutschland mit dem BAP ausgeflogen.“
Aktuell befinden sich demnach 3.700 Personen in Islamabad (Pakistan), die sich bereits im Aufnahmeverfahren befinden. Weitere rund 15.000 Personen hat die Bundesregierung bereits ausgewählt und kontaktiert, viele warten seit Monaten auf Rückmeldung, so der LSVD.
Verfolgung in der eigenen Familie
Hutter betont zudem einmal mehr die Bedeutung des humanitären Programms für homosexuelle und queere Personen: „Diese Arbeit ist uns deshalb so wichtig, weil die afghanischen LSBTIQ*-Personen mit Abstand zu den am meisten gefährdeten Gruppen der Verfolgten zählen. Die große Mehrheit der Bevölkerung lehnt diese Gruppe ab und heißt die brutale Verfolgung gut. Dies trifft auch auf die Herkunftsfamilie zu, die ihre eigenen Kinder als eine Schande für die Familie und Verwandtschaft empfinden und sie lieber tot als lebendig sehen wollen. Viele dieser Kinder sind daher sogar als Opfer ihrer eigenen Eltern zu beklagen. Das wiederum ist mit der Grund dafür, dass sie trotz höchster Vulnerabilität bisher nur einen stark unterrepräsentierten Zugang zu deutschen Aufnahmeprogrammen erhalten haben. In den bisherigen humanitären Aufnahmen aus Afghanistan sind nur etwa ein Prozent der ausgewählten Menschen LSBTIQ*-Personen.“
Umstrittenes Verfahren
Kritik an der Aufnahme von Menschen aus Afghanistan und auch der generellen Handhabung von Außenministerin Annalena Baerbock kam zuletzt allerdings auch immer wieder auf. Eine unbekannte Zahl von Menschen soll sich demnach als Afghanen ausgegeben haben oder gefälschte Pässe vorgezeigt haben, um ein Visum für Deutschland zu bekommen. In mindestens einem Fall ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft.
Fakt ist allerdings auch, dass die Lage für LGBTI*-Menschen im Land immer dramatischer wird, erklärtes Ziel der Taliban ist es, alle homosexuellen Personen zu finden. „Wir wissen von Berichten, dass es Gefängnisse ausschließlich für LSBTIQ*-Menschen gibt, dass die Taliban von der Folter überall exzessiv Gebrauch machen, dass viele Personen bei Kontrollen einfach erschossen werden und eine nicht zählbare Anzahl von Personen in den letzten drei Jahren dadurch verschwunden ist“, betont Hutter.
Forderungen an die Ampel-Regierung
Die zentrale Forderung an die Bundesregierung seitens des LSVD ist somit klar: Die Bundesregierung soll das Bundesaufnahmeprogramm vollumfänglich weiterführen. Unterstützt wird dies von weiteren Organisationen, darunter unter anderem Amnesty International Deutschland, Reporter ohne Grenzen oder auch die Bundesarbeitsgemeinschaft PRO ASYL.
Bleibt es indes bei den geplanten Kürzungen, sieht Hutter wenig Hoffnung für LGBTI*-Afghanen: „Die Menschen in Pakistan und Afghanistan blieben ihrem Schicksal überlassen. Ihnen drohten weitere schwere Menschenrechtsverletzungen wie physische und psychische Gewalt, Folter und im Fall von Pakistan auch Abschiebungen. Insbesondere für die hiervon betroffenen LSBTIQ*-Personen würde dies eine direkte Existenzbedrohung bedeuten, weil die Taliban angekündigt haben, diese Menschen durch Folter, Steinigung oder lebendiges Begraben zu vernichten.“
Lehmann betont Verpflichtung
Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, selbst Mitglied der Ampel-Regierung, erklärte dazu: „Ich erwarte vom Bundesinnenministerium und Auswärtigen Amt, dass das Aufnahmeprogramm für Afghanistan fortgesetzt und auskömmlich finanziert wird. Das Programm hat bereits jetzt zahlreiche Leben gerettet (...) Deutschland ist neben Kanada das einzige Land, das mit einem Aufnahmeprogramm weiterhin höchst gefährdete Menschen aus Afghanistan nach Deutschland holt. Trotz der Herausforderungen muss das Bundesaufnahmeprogramm unbedingt fortgesetzt und afghanische LSBTIQ* als höchst vulnerable Gruppe ausreichend berücksichtigt werden. Wir stehen hier mit unserem Wort in der Verpflichtung, Leben zu retten."