PrEP-Notlage „Es ist schlimmer, als wir zu fürchten gewagt haben.“
Bereits Anfang Dezember warnten die Arbeitsgemeinschaft der ambulant tätigen HIV-Mediziner (Dagnä) sowie die Arbeitsgemeinschaft HIV-kompetenter Apotheken (DAHKA) vor einem massiven Engpass bei der PrEP-Versorgung in Deutschland – inzwischen scheint die Lage zu eskalieren. Akut droht deswegen ein Anstieg der HIV-Neuinfektionen in der Bundesrepublik sowie eine gefährliche Versorgungslage für Menschen mit HIV.
Massive Engpässe landesweit
Laut einer neuen Umfrage der dagnä melden aktuell rund 90 Prozent der HIV-Schwerpunktpraxen, dass sie von Lieferengpässen betroffen sind. Die Mehrheit von 56 Prozent gab an, dass bestenfalls nur noch reduzierte Packungsgrößen herausgegeben werden können, kurzum: Es gibt in Deutschland nicht mehr genug Medikamente zur HIV-Prophylaxe, um alle Nutzer zu versorgen. Die PrEP wird derzeit von rund 40.000 Menschen in Deutschland genutzt, zum allergrößten Teil sind dies schwule Männer (Quelle: Robert Koch-Institut).
In 36 Prozent aller Fälle mussten PrEP-Nutzer inzwischen die regelmäßige Einnahme der Mittel unterbrechen. Zudem mussten in 28 Prozent der Fälle auch laufende HIV-Therapien umgestellt werden, weil das Medikament auch in der Behandlung von Menschen mit HIV eingesetzt wird. Die Rede ist hier von der sogenannten Salvage-Therapie, die greift, wenn andere Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft sind.
Nach Einschätzung von DAHKA-Vorstand Erik Tenberken ist die Lage noch dramatischer, als die Zahlen das suggerieren. „Aktuell beliefert uns keiner der einst 14 Hersteller in gewohnten Umfang; zwei Unternehmen haben die Produktion ganz eingestellt. Es ist schlimmer, als wir zu fürchten gewagt haben.“
Keine Reaktion vom Bundesgesundheitsministerium
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) sei seitens der Berufsverbände bereits im November letzten Jahres über die drohenden Lieferprobleme informiert worden, eine Reaktion des Ministeriums sei bisher nicht erfolgt, so dagnä-Vorstandsmitglied Dr. med. Stefan Mauss: „Wir sind an dem Punkt, vor dem Praxen und Apotheken seit Monaten warnen. Es wirkt so, als kümmere sich das BMG nicht um das Problem.“
Nach Angaben eines Sprechers des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) soll jetzt unverzüglich geprüft werden, ob Hersteller im Ausland wirkstoffgleiche Medikamente mit europäischer Zulassung für den Gebrauch in Deutschland verfügbar machen können. Dass der Mangel in Deutschland von Herstellern im europäischen Ausland kompensiert werden könne, halten Mauss und Tenberken allerdings für unwahrscheinlich – Schweden, Belgien und Spanien haben so auch bereits gemeldet, dass Hersteller nicht liefern. Das BfArM will zudem jetzt auf das BMG zugehen, um zu klären, ob ein offizieller Versorgungsmangel ausgesprochen werden sollte, damit so weitere Maßnahmen zur Beschaffung der Medikamente eingeleitet werden können.
Dagnä-Vorstand Mauss betont dabei abschließend einen möglichen großen Vertrauensverlust in das Gesundheitssystem seitens Patienten und der Ärzteschaft, maßgeblich befeuert durch die Bundesregierung: „Man darf keinen Zustand akzeptieren, der einfach nicht akzeptabel ist.“