Kirche am Ende? 81 % der Deutschen können mit der Institution Kirche nichts mehr anfangen
Die Kirchen verlieren in Deutschland immer mehr an Bedeutung – das ist eines der zentralen Ergebnisse der sechsten Kirchenmitgliederuntersuchung im Auftrag der Evangelischen Kirche, die jetzt in Ulm vorgestellt worden sind. Erstmals wirkte auch die katholische Kirche mit, zudem wurden auch Konfessionslose befragt, sodass die Ergebnisse repräsentativ für alle Bundesbürger sind. Mit rund 5.300 Befragten ist dies die umfassendste Umfrage zum Thema Glaube und Kirche in Deutschland.
56 Prozent der Deutschen bezeichnen sich demnach selbst inzwischen als säkular, also nicht gläubig, weitere 25 Prozent gelten als religiös Distanzierte, sprich, sie glauben zwar an einen Gott, wollen mit der Institution Kirche aber nichts mehr zu tun haben. Gerade einmal noch 13 Prozent sagen von sich selbst, dass sie kirchlich religiös sind.
Rekordzahl bei Kirchenaustritten
So stiegen auch die Kirchenaustritte in den beiden großen Kirchen in Deutschland rapide an – 380.000 Menschen verließen so allein 2022 die evangelische Kirche, weitere rund 523.000 Personen traten aus der römisch-katholischen Kirche aus. Beide Ergebnisse sind Rekordzahlen seit Beginn der statistischen Aufzeichnungen vor dreißig Jahren.
Umgang mit Missbrauchsfällen und Homosexualität
Wesentliche Gründe, warum immer weniger Menschen und dabei vor allem junge Deutsche etwas mit den beiden Kirchen anfangen können, sieht die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Annette Kurschus, in einem herben Vertrauensverlust, wie sie gegenüber der Tagesschau erklärte.
Dazu tragen die sexuellen Missbrauchsfälle und der bis heute eher abwiegelnde Aufarbeitungsprozess der Geistlichen maßgeblich mit bei. Auch der diskriminierende Umgang mit Homosexuellen lässt Menschen immer wieder Abstand von den Kirchen nehmen, insbesondere der römisch-katholischen. Jedwede Reformprozesse seitens der deutschen katholischen Bischofe wie eine mögliche Segnung von Homosexuellen werden vom Vatikan immer wieder streng untersagt.
86 Prozent wollen schwul-lesbische Segnungen
Gerade aber der Umgang mit Schwulen und Lesben offenbart zutiefst, dass die Kirchen offenbar immer weniger mit der Lebensrealität der Gesellschaft verbunden sind – 86 Prozent der evangelischen wie auch der katholischen Kirchenmitglieder sprachen sich in der Befragung für Segnungen von Homosexuellen aus. Selbst streng religiös Gläubige votierten in beiden Konfessionen ebenso mit rund 80 Prozent dafür. Bei der römisch-katholischen Kirche üben einzelne Priester bereits den Aufstand und führen eigenmächtig Segnungen von Homosexuellen durch, in den evangelischen Landeskirchen sind diese teils mit Einschränkungen allerdings bereits grundsätzlich möglich.
Kirche müsse sich grundlegend ändern
Noch klarer wird die Diskrepanz zwischen Kirche und Bevölkerung mit Blick auf die befragten Katholiken – 96 Prozent von ihnen gaben an, dass sich ihre Kirche „grundlegend“ ändern müsse, damit sie überhaupt noch eine Zukunft habe. Auch 80 Prozent der Protestanten stimmten dem zu. Im Bericht wird festgehalten, dass beide Kirchen in den nächsten Jahren einen „organisatorischen Kipppunkt“ erreichen könnten, wenn es mit den Kirchenaustritten so weitergeht – und der Trend scheint weiter zu bestehen. Drei Viertel der katholischen (73%) sowie zwei Drittel (65%) der evangelischen Kirchenmitglieder erklärten, dass sie einen Kirchenaustritt in der Zukunft erwägen.