Italien wählt! Mit Furcht blickt die LGBTI*-Community auf die Wahl
Mit starken Bedenken oder direkt Furcht blickt die LGBTI*-Community auf den kommenden Sonntag – das italienische Volk wählt eine neue Regierung und die jüngsten Umfragen zeichnen den klaren Sieg eines rechten Bündnisses ab. Was würde das für die queere Community in Italien bedeuten – und was für LGBTI*-Menschen in ganz Europa?
Klar ist bereits, der Wind wird rauer werden, sowohl für Schwule, Lesben und queere Menschen in Italien, wie aber auch in ganz Europa. Je nachdem, wie stark Italien politisch nach rechts abdriftet, schwächt das auch die Position sowie den Kampf um die Rechte von LGBTI*-Menschen in Europa. Nebst Ungarn und Polen gäbe es dann einen weiteren Big-Player im Herzen von Europa, der sich klar gegen die Gleichberechtigung von queeren Menschen stellt. In den letzten Wochen konnte dabei die Rechtspopulistin Giorgia Meloni ihren Vorsprung immer weiter ausbauen, indem sie es bei den jüngsten Wahlkampfveranstaltungen perfekt verstand, die Sorgen und Ängste der Bevölkerung anzusprechen und zu kanalisieren. Es geht um steigende Energiepreise und die Angst, seinen Job zu verlieren, verbunden mit dem Misstrauen, den der Großteil der Italiener inzwischen der politischen Klasse entgegenbringt. Immer mehr Italiener müssen in zwei Jobs arbeiten, um überhaupt noch die laufenden Kosten zahlen zu können. Und so wünschen sich immer mehr von ihnen auch eine Wende zugunsten von Arbeitern, Studenten und italienischen Geschäftsleuten. Ähnlich wie einst Donald Trump verspricht auch die 45-jährige Giorgia Meloni ihren Landsleuten, die Italiener immer an die allererste Stelle zu setzen – bei all ihren Auftritten spricht sie dabei klar und deutlich, ohne Ausflüchte und angriffslustig, das kommt bei der italienischen Bevölkerung immer besser an.
Natürlich wettert Meloni auch gegen illegale Migranten und spricht von vergewaltigten Frauen – das Problem ihrer politischen Gegner ist, dass nicht alle Behauptungen reine Luftnummern sind. Anstelle aber die tatsächlichen Fälle und Probleme anzusprechen, scheinen sich ihre Widersacher darauf zu versteifen, Meloni schlicht als eine Mischung aus Monster und Rassistin darzustellen – das wirkt plump und scheint viele Wähler nicht mehr zu überzeugen. Klar distanziert sie sich dabei auch von dem faschistischen Erbe ihrer Partei, gibt sich staatstragend und schafft es, stundenlang frei und ohne vorbereiteten Text zu sprechen. Bei einem Wahlkampfauftritt in Cagliari wurde Meloni jüngst von mehreren LGBTI*-Aktivisten unterbrochen, einer von ihnen stürmte mit einer Regenbogenfahne auf die Bühne. Die Polizei wollte eingreifen, doch Meloni bestand darauf, den Aktivisten sprechen zu lassen. Dieser erklärte ihr, Homosexuelle wollen das Recht haben, zu heiraten und Kinder zu adoptieren, und dass die Community Angst davor hätte, mit ihr „in der Zeit zurückgehen und in eine Ära zurückversetzt zu werden, die wir fürchten.“ Meloni antwortet kurz angebunden: "Ok. Du willst viele Sachen. Jeder möchte etwas" – konkret wurde sie hier nicht. Ähnlich schwammig hatte sich Meloni im Sommer auf einem Kongress in Spanien gegen die Rechte der “LGBT-Lobby“ ausgesprochen und hält am innerparteilichen, althergebrachten Motto "Gott, Vaterland, Familie" fest. Das Thema Homosexualität ist seit Jahren ein heißes Eisen in der italienischen Politik, erst im Jahr 2016 führte Italien als letztes westeuropäisches Land die eingetragene Lebenspartnerschaft für Homosexuelle ein. Die Homo-Ehe, das Adoptionsrecht für Homosexuelle oder ein landesweites Antidiskriminierungsverbot gibt es bis heute nicht.
Bleibt es bei den Umfragewerten, will Melonis ultrarechte Partei Fratelli d'Italia (FDI) wahrscheinlich eine Koalition mit der konservativen Forza Italia sowie der rechtsnationalen Lega eingehen – das Dreierbündnis liegt derzeit bei rund 46 Prozent. Das Mitte-Links-Bündnis schafft es derweil aktuell gerade einmal auf rund 28 Prozent der Wählerstimmen. Vor einem Monat noch hatte der ehemalige Ministerpräsident (2013-2014) und Chef der Demokratischen Partei (PD), Enrico Letta, mit eindringlichen Worten vor einem möglichen Rechtsruck in Italien gewarnt, offensichtlich erfolglos. Bis zuletzt sind 20 Prozent der Wahlberechtigten allerdings noch unentschlossen, eine Überraschung am Wahlabend wäre also noch möglich. Zu den vorgezogenen Neuwahlen am Sonntag kommt es, nachdem Ministerpräsident Mario Draghi zurückgetreten war und Staatspräsident Sergio Mattarella daraufhin im Juli beide Parlamentskammern aufgelöst hatte.