Eskalation in Kamerun Angriffswelle nach Wahl gegen LGBTIQ+-Menschen
Am zwölften Oktober hat Kamerun gewählt und nach ersten anderslautenden Meldungen scheint nun festzustehen: Der älteste Präsident der Welt, Staatschef Paul Biya, wurde mit 92 Jahren erneut in seinem Amt bestätigt. Nach Angaben der Wahlbehörde haben knapp 54 Prozent der Bürger für ihn gestimmt. Ob das wirklich stimmt, wird im Land stark bezweifelt, die Unruhen nehmen seitdem rapide zu – ebenso die Angriffe auf die LGBTIQ+-Community.
Gefakte Wahlergebnisse?
Nach den vorherigen ersten Auszählungen hatte alles noch nach einem Sieg des Oppositionskandidaten Issa Tchiroma Bakary ausgesehen, nun erklärte die Wahlbehörde, der Herausforderer habe nur 35 Prozent der Stimmen bekommen. Tchiroma beansprucht nach wie vor den Sieg für sich, die Rede ist von Wahlbetrug. Nach vorheriger Zählung sei die Lage andersrum gewesen: Tchiroma habe demnach fast 55 Prozent der Stimmen bekommen, Biya nur 31 Prozent. „Es gab keine Wahl, es war eher eine Maskerade. Wir haben eindeutig gewonnen“, so Tchiroma gegenüber der französischen Nachrichtenagentur AFP.
Biya regiert Kamerun als diktatorischer Präsident seit mehr als vier Jahrzehnten, zuvor war er jahrelang Regierungschef. Mehrere andere Oppositionskandidaten haben beim Verfassungsrat nach Bekanntgabe der angeblichen Wahlergebnisse Einspruch erhoben, sie sprechen alle von Unregelmäßigkeiten bei der Wahl, doch alle Begehren wurden kurzerhand von der Behörde abgewiesen.
Wut auf den Straßen
Der Frust und die Wut über das vermeintlich gefälschte Wahlergebnis entlädt sich seit dem Wochenende deswegen explosionsartig in den Ballungszentren des Landes, in allen großen Städten kommt es seitdem zu lautstarken Protesten, in der Hafenstadt Douala kamen bisher vier Menschen ums Leben. Willkürlich sollen von der Polizei zahlreiche Demonstranten festgenommen worden sein, darunter vor allem Homosexuelle, trans* Personen und Menschenrechtsaktivisten. „Die Spannungen nach den Präsidentschaftswahlen stürzen das Land in eine Spirale der Unterdrückung. Unter dem Vorwand der Aufrechterhaltung der Ordnung verstärkten die Behörden willkürliche Verhaftungen“, so die LGBTIQ+-Interessengruppe SOS Solidarity.
Verhaftungswelle von LGBTIQ+-Menschen
Bereits vor der offiziellen Bekanntgabe der Wahlbehörde rumorte es im Land, immer wieder ging die Regierung gegen regierungskritische Aktivisten und vor allem gegen LGBTIQ+-Personen vor, die teilweise direkt in ihren Wohnungen festgenommen worden waren. Das alles unter fadenscheinigen Begründungen wie der „Störung der öffentlichen Ordnung“, „verdächtiges Verhalten“ oder „Nichteinhaltung der Kleiderordnung“.
Dabei betont SOS Solidarity weiter: „Diese Verhaftungen gehen mit langwierigen Inhaftierungen einher, ohne Zugang zu einem Anwalt oder Informationen über die Anklagepunkte.“ Auch andere Menschenrechtsorganisationen wie „Working for our Wellbeing” und „Humanity First Cameroon” berichten von lokalen Milizen, die Jagd auf Homosexuelle machen inklusive öffentlichen Demütigungen sowie Inhaftierungen ohne Gerichtsverfahren.
Gefahr für Menschenrechtsorganisationen
Aktivisten von Organisationen, die die Vergehen publik machen oder als Rechtsbeistand eintreten, laufen Gefahr, ebenso aufgrund von „Anstiftung zur Revolte“ oder „Verbreitung falscher Informationen“ verhaftet zu werden. Seit dem Wahlausgang wird auch gegen sie mit aller Härte vorgegangen: „Einige wurden in Gewahrsam genommen, andere mussten fliehen oder untertauchen. Die Unruhen nach den Wahlen dienen als Vorwand für ein umfassenderes Vorgehen gegen alle abweichenden Stimmen“, so SOS Solidarity.
Kamerun war einst deutsches Kolonialgebiet, bevor es nach dem Ersten Weltkrieg zwischen Großbritannien und Frankreich aufgeteilt wurde. Seit 1960 ist Kamerun eine unabhängige Präsidialrepublik mit einer neuen Verfassung als Einheitsstaat. Der Präsident wird auf sieben Jahre gewählt und kann immer wieder antreten. Präsident Biya regiert seit 1982. Homosexualität ist bis heute illegal und kann mit Bußgeldern und Haftstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft werden. Die Hoffnung auf eine Veränderung scheint sich vorerst mit der vermeintlichen Wiederwahl von Biya zerschlagen zu haben – vor der Wahl hatte seine lesbische Tochter dazu aufgerufen, den Vater nicht zu wählen.