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Diskriminierung in Deutschland
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Diskriminierung in Deutschland Debatte um umstrittene Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes

ms - 10.09.2024 - 17:30 Uhr

Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, sowie weitere sieben Beauftragte der Bundesregierung legten heute den Lagebericht zur Diskriminierung in Deutschland vor. Darin fordern sie die Bundesregierung auf, die bis heute stark umstrittene Reform des sogenannten Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) zügig umzusetzen. Nebst Lehmann und Ferda Ataman, der Unabhängigen Bundesbeauftragten der Antidiskriminierungsstelle, kommen weitere Beauftragte unter anderem aus den Bereichen Migration, Antiziganismus oder jüdisches Leben in Deutschland. 

20.000 Fälle in zwei Jahren

Das Ziel müsse dabei sein, Menschen in Deutschland besser vor Diskriminierung zu schützen. So verzeichnete die Antidiskriminierungsstelle des Bundes von 2021 bis 2023 mehr als 20.000 Fälle. „Am Arbeitsplatz sexuell belästigt, bei der Wohnungssuche rassistisch beleidigt, bei der Jobsuche wegen einer Behinderung aussortiert – das deutsche Antidiskriminierungsrecht hilft Menschen in vielen Fällen von Diskriminierung nicht“, so das Fazit des neuen Lageberichts.

Und weiter: „Der Bericht zeigt, dass Menschen besser vor Diskriminierung geschützt werden müssen. Denn das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hilft ihnen oft nicht, auch wenn sie eindeutig diskriminiert worden sind. Die Diskriminierungserfahrungen in Deutschland belasten Betroffene und gefährden unsere Demokratie und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft“, erklären die Beauftragten.

Vielfältige Formen der Diskriminierung

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes verzeichnete dabei Diskriminierungen unter anderem aufgrund der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder wegen der sexuellen Orientierung sowie der Geschlechtsidentität. „Die Zahl der Beratungsanfragen steigt kontinuierlich an. Doch längst nicht alle Fälle werden gemeldet. Die Dunkelziffer liegt deutlich höher. In repräsentativen Untersuchungen berichten je nach Umfrage 16 bis 30 Prozent der Bevölkerung von Diskriminierungen“, so die acht Beauftragten. 

Sven Lehmann erklärte dazu überdies: „Trotz vieler Fortschritte bleiben LSBTIQ* eine verwundbare Gruppe, gegen die gerade in Krisenzeiten Ressentiments geschürt werden. Diskriminierung und Gewalt gehören leider nach wie vor zu ihrem Alltag. Diese Angriffe sind oft eingebettet in rechtspopulistische und religiös-fundamentalistische Ideologien. Das Engagement gegen LSBTIQ*-Feindlichkeit ist daher eine politische und gesellschaftliche Daueraufgabe. “

Das Fazit der acht Befragten: Die Antidiskriminierungspolitik in Deutschland bleibe demnach deutlich hinter EU-Standards zurück, Menschen müssten besser vor Diskriminierungen durch staatliche Stellen geschützt werden, zudem sollten Schutzlücken geschlossen werden, um dem Rassismus und Antisemitismus entgegenwirken.

Massive Kritik an Reformwünschen

Kritik an den Reformplänen sowie an der Antidiskriminierungsbeauftragten Ferda Ataman kommen indes immer wieder auf. Die rechtspolitische Sprecherin der FDP, Katrin Helling-Plahr, nannte die Vorschläge von Ataman „gesellschaftlichen Sprengstoff“. Eine Idee von Ataman ist es so, dass ein eindeutiger Nachweis für eine Diskriminierung künftig nicht mehr nötig sein müsse, es reiche eine „Glaubhaftmachung“ sowie eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ für eine Tat.

Auch anderweitig reichten dann Vermutungen aus, so könnten beispielsweise auch Unternehmen wegen Diskriminierung verklagt werden, selbst wenn es keine namentlichen Opfer gibt. Wohnungssuchende, die eine Absage bekommen haben, sollen dann den Vermieter verklagen können, wenn sie vermuten, aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit oder ihrer sozialen Verhältnisse wegen abgelehnt worden zu sein. Die Beweisschuld, nicht diskriminiert zu haben, liegt dann beim Vermieter. Zudem wünscht sich Ataman, dass Mitarbeiter im öffentlichen Dienst als Qualifikationsanforderung künftig eine „Diversity-Kompetenz“ vorweisen müssen. 

Pläne sind eine Einschränkung der Freiheit 

Kritiker bemängeln, dass dies nicht nur Grundsätze der deutschen Rechtsprechung und der Meinungsfreiheit ad absurdum führe, sondern auch der massenhaften Denunziation Tür und Tor öffne. FDP-Frau Helling-Plahr befürchtet massiven Missbrauch, Falschbeschuldigungen und Erpressungen. Parteikollege Wolfgang Kubicki nannte die Maßnahmen belastend und unausgegoren. Der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Günter Krings, bezeichnete die Reformpläne als „absurd“, die zu einer „gigantischen Einschränkung der Freiheit“ der Menschen in Deutschland führen würde. 

Kritik an Ataman selbst kam immer wieder auch seitens der CDU/CSU sowie von Islamismus-Experten auf. Zuletzt machte Ataman Schlagzeilen, weil sie offenbar gegen unliebsame Berichterstattungen von Medien vorgegangen war: Nach Informationen des Bundesfamilienministeriums ist Ataman in zwei Sachverhalten juristisch gegen Medien vorgegangen – in beiden Fällen scheiterte das Vorhaben. 

Auf Rückfrage des Bundestagsabgeordneten Christoph Ploß (CDU) entstanden dadurch offenbar Anwalts- und Gerichtskosten von fast 20.000 Euro. Ploß dazu gegenüber Nius: „Es ist skandalös, dass Ferda Ataman die ganze juristische Macht des Staates gegen unliebsame Journalisten in Stellung bringt und dabei auch noch Tausende Euro Steuergelder verplempert. Statt wirklich Diskriminierung zu bekämpfen, trägt Ferda Ataman juristische Scharmützel mit unliebsamen Journalisten aus, die sie absehbar überwiegend verliert. Die Ampelkoalition muss ihren Fehler schnellstmöglich korrigieren und Frau Ataman abberufen.“

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