Blanker Hass an Kölner Schulen Scharfe Kritik des Jugendvereins anyway – Prominente fordern mehr Einsatz der Stadtregierung
Im Juni schockierten die Ergebnisse der neusten Umfrage der LGBTI*-Jugendberatung anyway in Köln: Mehr als jeder zweite homosexuelle oder queere Jugendliche an einer Schule in der Rheinmetropole wurde zum Opfer von Hasskriminalität und LGBTI*-Feindlichkeit. Inzwischen sind vier Monate vergangen – hat sich seitdem etwas geändert?
Jugendliche werden im Stich gelassen
Die traurige aber einfache Antwort lautet: Nein. „Obwohl wir die Zahlen im Jugendhilfeausschuss und Schulausschuss vorgetragen haben, gibt es bisher keine Konsequenz. Lesbische, schwule, bisexuelle, trans, inter* und queere Schüler:innen werden buchstäblich im Regen stehen gelassen“, sagt Jürgen Piger, Vorstand vom Verein anyway. Eine bittere Bilanz, gerade angesichts des morgigen Coming-Out-Tages.
Dass sich die Situation für homosexuelle und queere Schüler irgendwie von selbst verbessere, davon könne man ebenso nicht ausgehen – eher das Gegenteil sei der Fall, wie WiR*-Projektleiter Dominik Weiss betont: „Wir bemerken, wie gerade ein Rechtsruck durch die Gesellschaft geht. Jüngstes Beispiel sind die Proteste von Rechtsextremen gegen mehrere CSDs in den letzten Wochen. Auch dass queerfeindliche Äußerungen aus den Kreisen der AfD mittlerweile keinen öffentlichen Aufschrei mehr verursachen, zeigt, wie normalisiert Aussagen gegen LSBTIQ*-Menschen mittlerweile sind.“
Offene Anfeindungen an den Schulen
Wie sehr das Thema immer mehr polarisiert, zeige sich auch bei den angebotenen Aufklärungs- und Antidiskriminierungsworkshops an Schulen. Immer öfter sind Schüler dabei verbal aggressiv oder versuchen den Ablauf der Workshops zu stören. „Wir machen niemanden schwul und wollen auch niemandem eine Meinung überstülpen“, betont Weiss weiter.
Vereinschef Piger hält dabei fest: „In Zeiten von Sparpolitik ist zu befürchten, dass auch bei den Aufklärungs- und Antidiskriminierungsworkshops sowie bei der queeren Jugendarbeit gekürzt wird. Das wäre angesichts steigender Queerfeindlichkeit genau der falsche Schritt. Es braucht mehr Geld, um auf die immer schlimmer werdende Situation für junge LSBTIQ* zu reagieren.“
Prominente fragen: Wann ändert sich was?
Genau darauf reagierten jetzt auch drei prominente Stimmen, die ganz direkt fragen: Wann ist ein Coming-Out endlich kein Risiko mehr an Kölner Schulen? Influencerin Irina Schlauch (Princess Charming), die grüne Trans-Bundestagsabgeordnete Nyke Slawik und Moderator Benni Bauerdick sind deswegen jetzt offiziell Botschafter des Aufklärungs- und Antidiskriminierungsprojektes „WiR* – Wissen ist Respekt“ von anyway geworden.
„Bis vor kurzem hatte ich noch den Eindruck, dass Queerness an Schulen immer selbstverständlicher wird. Umso schockierender ist die aktuelle Entwicklung, die ich zu einem großen Teil auf die zunehmende Mobilisierung gegen queere Menschen durch rechtsextreme Parteien zurückführe, aber auch darauf, dass sich immer mehr junge Menschen abgehängt und allein gelassen fühlen“, so Schlauch.
Slawik ergänzt, dass gerade LGBTI*-Schüler immer stärker ins Kreuzfeuer geraten und Bauerdick berichtet von seinen persönlichen Erfahrungen: „Mein Coming-Out auf dem Dorf im Sauerland war nicht ganz einfach. Auch, weil mir damals Vorbilder gefehlt haben. Queere Sichtbarkeit ist so wichtig, damit sich junge Menschen in ihrem Coming-Out-Prozess nicht allein fühlen. Damit sie den Mut haben, zu sich zu stehen. Auch in einer Stadt wie Köln, die augenscheinlich so offen und bunt wirkt, in der Diskriminierung und Anfeindung von queeren Menschen aber trotzdem noch an der Tagesordnung sind.“
Erschreckende Datenlage
Die Zahlen der Umfrage im Detail: Der Großteil der Befragten war homo- oder bisexuell. 59,2 Prozent von ihnen wurde in der Schule diskriminiert und angefeindet, am häufigsten kam es dabei zu Beleidigungen und Beschimpfungen oder man machte sich über sie lächerlich (46%). Sie wurden bespuckt, geschupst und als „Schwuchtel“ beschimpft.
Nur knapp jede vierte Lehrkraft duldete solche Schimpfworte nicht oder zeigte klar, dass Homophobie nicht toleriert wird. Rund ein Viertel (23,7%) der Befragten wurde gegen ihren Willen in der Schule geoutet. Etwa jeder zehnte homosexuelle Jugendliche (8,5%) erlebte gewalttätige Angriffe, weiteren 14 Prozent wurde dies angedroht.