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Ayay // © vvg
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Umfrage Wenn ich einmal alt wäre …

vvg - 12.05.2024 - 14:00 Uhr

Ich arbeite derzeit auf einer Inneren Station und mache mein Examen als Krankenpfleger. Mit der heutigen Entwicklung stelle ich mir mein Rentenalter schwierig vor. Ich denke, dass der Generationenvertrag spätestens mit der Boomergeneration bei der Rente kippt. Der Großteil der alten Menschen wird an der Armutsgrenze leben. Das wird auch bei mir der Fall sein. In meinem Beruf als Altenpfleger erlebe ich, dass die Menschen zwar älter werden, die Lebensqualität körperlicher und geistiger Art aber abnimmt. Und viele von ihnen sind vor allem einsam.

Ich stelle mir vor, dass die heutigen Rentner in meinem Alter vor allem stressig gelebt haben. Die Gesellschaft war nicht aufgeklärt und die Vorurteile gegenüber Homosexuellen waren verheerend. Viele haben ein „normales“ Leben als Heterosexueller gewählt und ihre Homosexualität verleugnet. Sie konnten ihre Freiheit nicht leben, mussten Angst haben, den Beruf zu verlieren oder von der Familie verstoßen zu werden. Und einen Partner zu finden, war auch nicht einfach. Ein öffentliches Outing gab es fast nie. So richtige Freiheit, denke ich, gab es erst, als die sozialen Medien funktionierten.

Wäre ich in der Gegenwart schon Rentner, denke ich, dass ich mich auch bei meinem Vater, der aus der Türkei kommt, geoutet hätte. Ich möchte ein cooler Rentner sein, möchte mein Mindset behalten und stets auffallen. Meine größten Ängste lägen allerdings bei der finanziellen Situation und der Gesundheit. Ich möchte in einer Partnerschaft leben, was schwer wird, da meine Generation alle Beziehungsformen lebt, außer der monogamen. Eigene Kinder kann ich mir derzeit nicht vorstellen, da ich selbst keine so schöne Kindheit hatte.

Meine Ängste lägen darin, dass sich die Gesellschaft wieder nach rechts entwickelt und unsere queeren Rechte eingeschränkt werden.

Ayay, 22 Jahre aus Neuss

Carla // © vvg

Heute Rentner sein, ist zweischneidig. Zum einen gab es viele Fortschritte im Bereich der queeren Rechte, andererseits hat die Vergangenheit die Meinung geprägt und damals war es kriminell homosexuell zu sein. Die heutigen Rentner haben ihr ganzes Leben gebraucht, sich ihr Umfeld zu schaffen, in welchem sie so akzeptiert wurden, wie sie sein wollen. Heute besteht die Möglichkeit sich über soziale Medien relativ schnell ein queeres Netzwerk aufzubauen. Diese technischen Neuheiten sind vielen Älteren zu kompliziert oder nicht zugänglich. Rentner sein, hat aber auch den Vorteil, sich nicht mehr anpassen zu müssen und die eigene „Normalität“ zu performen.

Die heutigen Rentner hatten definitiv keine so offen queere Kindheit und Jugendzeit wie ich. Meine Familie, mein Freundeskreis und meine Arbeitskollegen akzeptieren mich so, wie ich bin. In meinem Leben war ich nie längere Zeit ungeoutet. Früher musste man über Merkmale und bestimmte Phrasen einander finden. Ich bin froh, dass ich heute die Leichtigkeit habe, mich zu erkennen zu geben.

In meiner Zukunft hoffe ich, dass ich als Rentnerin weiter all die vorhandenen Möglichkeiten nutzen kann und die queeren Freiheiten nicht eingeschränkt werden. Ich sorge mich, dass es weltweit politisch einen Rechtsruck gibt, sowohl international, als auch im eigenen Land. Was den Blick in die Zukunft betrifft, würde ich gern meinen Optimismus behalten. Ich glaube, unsere Gegner kommen aus ihrer Deckung, weil wir gerade so erfolgreich in unseren erkämpften Freiheiten sind. Dabei verstehe ich nicht, warum wir in queeren Kreisen oft zerstritten sind, während es die rechte Bubble schafft, geschlossen aufzutreten. Darin sehe ich eine Gefahr für die Zukunft.

Sorgen mache ich mir um die Altersarmut, von der ich auch selbst betroffen sein könnte - Einsamkeit und Krankheit.

Carla, 26 Jahre aus Köln

Malte // © vvg

Wenn ich alt bin, möchte ich sein, wie mein Opa war. Bis zum Tod mit 86 war er fit, ständig unterwegs und hat Freunde getroffen. Ich weiß, anderen Menschen in dem Alter geht es körperlich nicht so gut. Sehen, Hören, das Gedächtnis und körperliche Kraft lassen nach, sie fühlen sich einsam und sind unglücklich.

Zu ihrer Jugendzeit hat man Homosexuelle verfolgt und kriminalisiert. Dies ist heute glücklicherweise nicht mehr, trotzdem erlebt die Community erneut Diskriminierungen und durch den Rechtsdruck sind auch erkämpfte Rechte in Gefahr.

Wenn ich alt bin, versuche ich, das Beste aus einem Tag zu machen. Das habe ich durch Selbsterlebtes lernen müssen: Ich habe durch die Corona-Pandemie eine Autoimmunschwäche und Long Covid, bekomme dadurch unregelmäßige schlaganfallähnliche Symptome. Im Alter möchte ich auf jeden Fall einen Partner haben, könnte mir auch adoptierte Kinder und sogar Enkelkinder vorstellen. Ich hoffe, nicht alleine leben zu müssen.

Mit meinem Schwulsein hatte ich nie Probleme. Ich hatte in meinem Leben Glück im Unglück - bin nicht bei meiner leiblichen, sondern in mehreren Pflegefamilien aufgewachsen. Zur Familie von meinem „Opa“ habe ich auch heute noch tollen Kontakt. Seine Tochter zog mich mit ihrer Frau groß. Zur Familie gehört auch ein schwuler Patenonkel und mein „Pflegevater“ hat sich vor Jahren als Trans geoutet. Ich stamme sozusagen aus einer echten Regenbogenfamilie.

Angst habe ich, dass es einen Rechtsruck gibt und wir dahin kommen, wo wir mal waren. Natürlich auch vor Einsamkeit, aber auch davor, dass die Unruhen, die in der Welt bestehen, näher auf uns zukommen. Mehr oder weniger möchte ich so leben wie mein Opa, dann wäre ich auch im hohen Alter ein glücklicher Mensch, der mit seinem Leben sehr zufrieden war.

Malte, 21 Jahre aus Köln

Maurizio // © vvg

Ich habe sechs Jahre als Altenpfleger gearbeitet und bin gerade dabei für mich beruflich neue Wege im sozialen oder künstlerischen Bereich zu finden.

Der §175 wurde erst in den neunziger Jahren abgeschafft und die Homosexuellen haben bis dahin oft versteckt oder ungeoutet gelebt. Das prägte und prägt das Leben bis ins Rentenalter hinein. Die ältere Generation hat es viel schwerer gehabt als die heutige Jugend. Viele haben den Kontakt zur Familie verloren und sind einsam. Ihre Sexualität haben sie versteckt, haben in Alibibeziehungen mit Frauen gelebt und konnten sich maximal im (Spanien-)Urlaub ausleben. Wäre ich 50 Jahre früher geboren und stelle mir vor, mich selbst zu verleugnen und meine Sehnsüchte verbergen zu müssen, wäre das für mich die absolute Katastrophe gewesen. Das Leben als Rentner stelle ich mir ruhig vor, aber auch sehr hart, mit wenig Geld auskommen zu müssen.

Wenn ich Rentner bin, hoffe ich, glücklich in einer Beziehung mit einem festen Partner zu sein. Ich würde mich engagieren bei CSDs, würde Aufklärung in Schulen machen und es gibt ja „Omas gegen Rechts“ – ich würde „Opas gegen Rechts“ gründen, vielleicht gibt es ja dann auch kein Rechts mehr …

… aber Geschichte wiederholt sich, wenn man aus der Vergangenheit nichts lernt. Und die Menschheit lernt verdammt langsam. Warum können queere Menschen in nur wenigen Ländern gleichberechtigt leben? Und überall sehe ich machthungrige Politiker, die Krieg verbreiten und Freiheiten einschränken.

Wenn ich Rentner bin, hätte ich Angst mein Leben nicht gelebt zu haben, im queeren Sinne: nicht so gelebt zu haben, wie ich bin. Gesundheitlich habe ich mir noch keine Gedanken gemacht, aber ich hätte Angst im Alter einsam zu sein.

Maurizio, 25 Jahre aus Dortmund

Mehmet // © vvg

Ich denke, viele Schwule sind im Alter einsam, sie haben keinen Partner mehr oder waren vielleicht nie in einer Beziehung. Ich habe ältere schwule Freunde in der Türkei, die mir gesagt haben: „Ich wäre lieber heterosexuell gewesen, um eine Familie und Kinder zu haben - da wäre ich nicht einsam.“

Das ist in Deutschland vor fünfzig Jahren sicher ähnlich gewesen. Hier hat die Community Rechte erkämpft, dass auch zwei Männer oder zwei Frauen eine Familie mit Kindern gründen können. Viele Ältere konnten aber diese Rechte nicht mehr selbst nutzen, aber die heutigen jungen Menschen nutzen sie. In der Türkei gibt es diese Möglichkeiten nicht, ich hoffe aber vielleicht auch bald.

Früher in Deutschland ist es vergleichbar mit der Türkei heute. In der Türkei ist es schwierig Freunde zu finden oder Gleichgesinnte zu treffen. Es gibt Angst, sich zu outen, weil viele Familien noch oder wieder in alten Traditionen und Denkmustern leben mit Familienehre und Ehrenmorden.

So habe auch ich mich gefragt, was bei mir nicht in Ordnung ist, konnte aber mit niemanden darüber reden. Davor hatte ich nur die Apps, um mich zu erkundigen. Ich hatte das Glück, mit 18 Jahren bei einem ERASMUS-Projekt einen Mann zu treffen, der offen war und mir geholfen hat, mich selbst zu finden. Durch dieses Projekt kam ich nach Deutschland und habe hier gesehen, wie mein Leben als Schwuler aussehen könnte mit Partnerschaft, mit Familie und offenem Leben.

Wenn ich Rentner bin, möchte ich in meinem Haus am Meer wohnen, vielleicht auch zwischen Deutschland und der Türkei pendeln, je nach Jahreszeit. Ich möchte zurück in die Türkei, um zu erstreiten, was hier in Deutschland an schwulem Leben möglich ist.

Mehmet, 25 Jahre aus Mersin/Türkei

Phil // © vvg

Der Start als Rentner ist auf jeden Fall eine Umstellung, weil man von der beruflichen Aktivität in eine Ruheposition kommt. Es wird einem bewusst, dass der letzte Lebensabschnitt begonnen hat. In einer Partnerschaft kann es ein sehr schöner Lebensabschnitt sein, ist man allein, kann es sehr einsam werden. Die Jugendzeit der heutigen Rentner, war viel unfreier, als ich es heute leben kann. Sexuelle und romantische Bedürfnisse wurden oft im Verborgenen getätigt. Man war alleinstehender Junggeselle oder lebte in einer vorgespielten heterosexuellen Beziehung. Der damals gültige §175, bis 1969 in seiner verschärften Form, zwang homosexuelle Menschen dazu sich zu verstecken, um nicht in die kriminelle Ecke gedrängt zu werden. Noch schwieriger war es bei lesbischen Frauen oder gar bei Trans-Menschen, die oft mit Travestie, dem heutigen Drag verwechselt wurden. Ich habe dazu intensiv recherchiert, weil ich an einem Buch über die sogenannten „Klappen“ schreibe. 

Diese Situation verbesserte sich mit der 68er Revolution in Europa und den Stonewall-Aufständen in Amerika. Das war ein Umbruch im Umgang mit Sexualität in Bezug auf Frauenrechte und Rechte für Homosexuelle.

Wenn ich Rentner sein werde, glaube ich, hätte ich Probleme die Freizeit irgendwie zu füllen. Vielleicht bin ich aber auch altersbedingt ruhiger und langsamer und brauche für alles etwas länger.

Ich wünsche mir für mein Alter, dass ich in einer glücklichen Beziehung bin oder zumindest so viele soziale Kontakte habe, dass ich nicht einsam bin. Dabei hoffe ich, dass die Gesellschaft sich nicht zurück entwickelt. Ich kenne queere Menschen, die von Partnerschaft, Familie und Kindern reden, aber gleichzeitig die AfD wählen und ihre Freiheiten damit abschaffen. Es scheint ihnen nicht bewusst, welcher Kampf es für vorherige Generationen war.

Phio, 23 Jahre aus Düren

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