Umfrage Ich krieg 'ne Krise bei all den Krisen
Carsten
aus Hamburg
Meine persönliche Einstellung ist dazu: konzentriere dich auf deine eigenen Themen, auf deinen Freundeskreis und deine Liebsten! Wenn in diesen Kreisen der Zusammenhalt funktioniert, sind wir am Ende gemeinsam stark. Und diese Kreise sind es auch, die jeden einzelnen stark machen. Es war vor fünf Jahren noch nicht absehbar, wohin wir uns entwickeln.
Diese Entwicklung erschreckt mich schon, ich versuche sie allerdings nicht nah an mich heranzulassen, dass sie mich bedrückt. Ich werde dadurch eher aktiver, weil es wichtig ist, Dinge dagegen zu tun. Da verlasse ich mich auch schon auf die Stärke unserer Community, denn wir können etwas tun. Ich bin seit 15 Jahren in der homosexuellen Community aktiv, sei es veranstaltungstechnisch oder ehrenamtlich. Viele erinnern sich bestimmt an die Aktion von „Enough is enough“ mit den zusammengenähten Flaggen aller Länder in denen Homosexualität verboten, strafbar oder Menschen deswegen mit dem Tod bedroht wurden, die wir auf den CSD-Demos präsentiert haben. Da war ich als ehrenamtlicher Helfer mit dabei. Es hat gezeigt, wie gut es uns in fast ganz Europa geht und was wir bewahren müssen. Dennoch immer wieder gemeinsam stark gegen all den Hass da draußen zu sein.
Anders verhält es sich bei der Klimakrise. Aber das ist ein ganz schwieriges Thema. Es kann nicht sein, dass die älteren Generationen dafür als Schuldige von den Jüngeren an den Pranger gestellt werden. Und die jüngere Generation wird wiederum von der nachfolgenden angeprangert werden und so fort. Entweder schaffen wir es generationsübergreifend gemeinsam zu handeln oder wir können es direkt bleiben lassen. Wir Menschen sind Teil der Evolution und wenn wir es nicht schaffen, auf unsere Welt aufzupassen, dann müssen wir eben neben vielen anderen Arten aussterben. Punkt!
Chris
aus Amsterdam
Alle Probleme, die wir momentan haben, machen mir Angst, aber ich gerate nicht in Panik. Wenn wir über den Klimawandel sprechen, ist der Anstieg des Meeresspiegels ein Thema, was uns in den Niederlanden größte Sorgen bereitet. Aber wir haben noch die Möglichkeit technisch den Prozess zu verlangsamen.
Was die Flüchtlingskrise betrifft, ist auch das ein Problem - positiv allerdings ist, dass Menschen aus anderen Ländern Jobs übernehmen, die Holländer nicht machen wollen und sie bringen Wissen mit, von dem wir profitieren.
Was das Gay-Live betrifft: Die Community unterstützt die Szene-Betriebe leider nicht mehr in dem Maß, wie es früher der Fall war. Immer mehr Bars schließen, weil sie kaum noch besucht werden. Die Szene wird zerfallen, weil wir lieber heterosexuelle Bars besuchen; was wiederum mehr Akzeptant für uns bedeutet. Natürlich ist es traurig, einen persönlichen Safe-Space zu verlieren. In Europa leben Schwule sicher; man muss weniger um Rechte kämpfen. In vielen Ländern der Welt sieht das anders aus. Es ist die Ideologie der Herrschenden, bis jeder um dich herum behauptet „Schwule sind schlecht!“ Irgendwann glaubt dies die Mehrheit.
Corona hat die Szene zusätzlich verändert, man zieht Privatparties den Barbesuchen vor, die Flasche Wein zu Hause ist preiswerter, als in der Bar. Die Preiserhöhung bei uns ist exorbitant: Die Preise steigen, das Leben wird teurer - die Leute müssen mehr Geld verdienen - die Preise steigen etc. Wir müssen die Preise einfrieren und dürfen nicht jede Lohnerhöhung akzeptieren oder: wir werden alle immer ärmer!
Mein Wunsch für 2024 ist in erster Linie Frieden. Das würde viele unserer Probleme lösen. Es kämen weniger Flüchtlinge und uns stände wieder mehr Wohnraum zur Verfügung.
Jens
aus Berlin
Am stärksten belasten mich der Krieg Zwischen Russland und der Ukraine, sowie in Israel und im Gazastreifen. Dazu kommt, dass für mich die größte Herausforderung - das Klima, wegen all der anderen Krisen leider in den Hintergrund rückt und völlig aus der Bahn gerät. Des Weiteren der populistische Rechtsruck in vielen Ländern.
Ich hoffe aber, wenn wir uns auf gemeinnützige Werte besinnen, zusammenarbeiten, die Hoffnung nicht verlieren und mit friedlichen Protesten die Politiker auf die Ansichten der Mehrheiten aufmerksam machen, dass wir das Schlimmste verhindern können und wieder in eine lebenswerte Zukunft steuern.
Persönlich betrifft mich derzeit am meisten die Inflation und die Energiekrise. Ich achte bewusst mehr auf meine täglichen Ausgaben, halte das Geld zusammen, um die Kosten auch zukünftig stemmen zu können. Ich fühle mich auch nicht mehr so frei wie vor ein paar Jahren, wenn ich in Berlin im Fetischoutfit rausgehe. Da bin ich schon vorsichtiger und achtsamer geworden und habe bisher Glück gehabt, keine körperliche Gewalt zu erfahren. Im Stadtbezirk Schöneberg fühle ich mich aber immer noch sicher und kann die Person sein, die ich sein will.
Ich finde, es ist Fünf vor Zwölf, dass die Gefahr besteht, in dunkle Zeiten zurückzufallen - aber es ist noch nicht zu spät. Die Krisen holen die Menschen hoffentlich aus ihrer Komfortzone, so dass sie sich wieder dafür engagieren, was ihnen wichtig ist.
Ich schütze mich vor den Krisen, indem ich nicht zu viel Nachrichten schaue, denn da überwiegt der Anteil der negativen Meldungen, weil diese sich wohl besser verkaufen. Aber ich möchte informiert bleiben, versuche das Negative auszublenden und lege meinen Fokus auf Freunde und Familie.
Maurice
aus Köln
Man könnte sich den ganzen Krisen hingeben und die kommende Zukunft schwarzsehen oder man geht damit so um, dass man sich klarmacht: wir leben jetzt in dieser Welt, das Leben ist nicht endlos, wir sind nur einmal auf dieser Welt, also machen wir das Beste daraus. Ich möchte im Alter nicht resignierend auf mein Leben zurückblicken. Man könnte auch versuchen, vor der ganzen Scheiße wegzulaufen, aber die Scheiße holt einen immer ein. Ich möchte aber auch nicht alles schlecht sehen und mich auf das Ende vorbereiten. Das ließe auch gar keine Lebensqualität zu. Okay, auch wenn es schlecht ist, muss ich für mich einen Weg finden, wie ich damit umgehen oder eventuell sogar dagegen steuern kann.
Es scheint, wenn ein Krisenthema sich gerade beruhigt, folgt sofort eine neue Krise. Kriege finde ich schlimm, es gab wohl noch kein Jahr in der Menschheitsgeschichte ohne Krieg. Beendet man Kriege an der einen Stelle, brechen sie an anderer wieder aus, weil sich irgendwelche Mächte oder Mächtigen im Ego gekränkt fühlen. Ich weiß nicht, wo uns die Inflation hinführen wird. Zurzeit sieht es so aus, als würde alles immer weiter teurer.
Unser Wohlstand und die Krisen haben dazu geführt, dass der Gemeinschaftssinn verloren gegangen ist. Jeder denkt nur an sich, es kommt Missgunst dazu und am Ende zerfleischen wir uns.
Wir sehen es bei unserer eigenen Szene. Wir möchten uns für Rechte starkmachen, wollen respektiert werden etc., bekommen es aber nicht auf die Reihe, in der eigenen Szene zusammenzuhalten. Wenn wir nicht nach außen zeigen, wir sind EINS und sagen was wir wollen, wie soll es dann funktionieren? Wir brauchen wieder Respekt voreinander!
Sergej
aus Essen
Ich bekomme beim Thema Ukrainekrieg eine Krise. Ich bin gebürtiger Russe - meine Mutter ist Deutsche, mein Vater Russe – als es mit dem Problem „Putin“ losging, fing es in unserer Familie an zu kriseln. Meine Mutter und meine drei älteren Schwestern sind zwar nicht Pro-Putin, aber auch nicht dagegen. Das hat dazu geführt, dass wir uns nur noch drei Mal im Jahr sehen, was ich schade finde, weil sie alle nicht weit entfernt leben. Irgendwann habe ich gemerkt, dass meine Familie Menschen sind, die mich einfach nicht verstehen.
Sie sind nicht nur anderer Meinung, sondern gegen mich und gegen Menschen in Europa. Sobald das Thema Politik aufkam, lief es aus dem Ruder. Meine Versuche, sie zu überzeugen und meine Fragen, woher sie ihre Informationen haben, waren sinnlos. Sogar die Aufklärung, was Putin gerade anstellt und was durch Brainwashing tatsächlich passiert, sie denken da anders. Die jüngere Generation ist da logischerweise anderer Meinung als die der älteren. Mit meinen Nichten und Neffen habe ich diese Probleme nicht, die unterstützen mich und stehen in jeder Beziehung hinter mir.
Meine Erklärung dazu: Mein Outing alleine war schon ein umstrittenes Thema. Nach dem Tod meines Vaters war meine Mutter immer die große Hürde. Als ich es endlich ausgesprochen hatte, hörte ich Sätze wie: „Das ist falsch. Das ist gegen die Bibel.“ Und diese Haltung hält sich bis heute, obwohl ich meine Mutter noch nie in der Kirche gesehen habe. Wir reden also nicht darüber, weil es nur zu Stress, Konflikten und Streit führt. Vielleicht ist das die Ursache ihrer Haltung gegen mich - Putin ist ja dergleichen Meinung - und die hat sich mittlerweile auch auf meine Schwestern übertragen.
Thorsten
aus München
Nach Corona habe ich gedacht, dass man endlich aus diesem Krisenmodus wieder raus ist und man freute sich, dass die Community wieder zusammenrückte, dass man wieder Körperkontakt zuließ und sich endlich wieder treffen konnte. Dann folgten Kriege in der Ukraine und jetzt in Israel. Das macht mir schon Angst, wie schnell solche Sachen explodieren können, wie schnell es zu Aggressionen kommt und wie fragil unsere bisher geglaubte politische Stabilität ist, in der wir aufwuchsen. Parallel dazu Energiekrise und Inflation, aktuell der aufkeimende Anti-Semitismus – das alles fühlt sich bedrohlich an.
Aktuell sind wir bedroht vom aufkeimenden Rechtspopulismus. Dass Wilders in den Niederlanden ein Drittel der Stimmen bekommt, bedroht nicht nur mich und eine offene Gesellschaft, sondern auch sehr stark die Community. Ich bin ein linker Wähler, bin enttäuscht von der Regierung und mache diese auch dafür mitverantwortlich, weil das politische Krisenmanagement absolut unprofessionell ist. Und was mir wirklich Angst macht, dass auch in unserer Community rechte Wähler sind. Wählen die ihren eigenen Schlächter?
Ich fühle eine gewisse Ohnmacht, weil Politiker z.B. nicht imstande waren, Migration auch als Chance für unsere Gesellschaft zu erklären - und auch durch Gegner unserer Demokratie, die uns zerstören wollen, wie z. B. die bekannten Populisten in Russland, Osteuropa, in den USA oder Südamerika. Und Gegner finden sich auch in unserer Gesellschaft, weil Wirtschaftsleute mit viele Geld Rechte Parteien unterstützen.
Aber ich resigniere nicht, bleibe politisch interessiert, zeige Flagge und unterstütze die Ukrainehilfe sowie auch LGBTIQ*-Flüchtlinge in München. Zudem habe ich eine sechzehnjährige Tochter, die anfängt politisch zu denken. Das gibt mir ein gutes Gefühl, weil ich merke: es geht weiter mit einer wachen nächsten Generation. Und das gibt mir Hoffnung. (vvg)