Leserumfrage Alles außer – gewöhnlich
Ich habe 14 Jahre lang in Afghanistan gelebt, bevor ich nach Deutschland kam, weil mein Vater politischer Flüchtling war. Mir ist bewusst, so außergewöhnlich wie hier könnte ich in meinem Geburtsland nicht herumlaufen. Ich bin mir definitiv sicher, dass ich auch geflohen wäre, denn dort wäre mir nur eines sicher gewesen: mein Tod. So wie ich mich hier kleide, style und auftrete, wäre es dort nicht möglich.
Ich habe mit ca. 10 Jahren gemerkt, dass ich anders bin und mich für andere Dinge interessiere wie gleichaltrige Jungen. Bis zum 21. Lebensjahr habe ich versucht, meine Gefühle zu unterdrücken und zu verstecken. Dann kam die Entscheidung, die ich treffen musste: entweder zu mir zu stehen oder mich komplett aufzugeben. Mich faszinierte diese Form der Freiheit, für die ich mich entschied. Ich mag weder die gesellschaftlichen noch die geschlechtsspezifischen Normen. Wir sind alle Menschen auf diesem Planeten und ich finde, jeder sollte das machen, was er will und so leben, wie er möchte, ohne anderen Menschen zu schaden. Ich liebe es aufzufallen und im Grunde wollen alle auffallen und nicht unique sein. Jeder kann außergewöhnlich sein, nur lebt es nicht jeder aus.
Ob sich das im Alter ändert, weiß ich nicht. Ich bin aber der Meinung, wir haben alle ein Kleinkind in uns und mit dem Älterwerden zerstören wir es meist.
Generell habe ich keine Scheu, gib mir einen Müllsack, ich trage ihn und werde dabei gut aussehen. Es kommt nicht darauf an, was man trägt, sondern wie man es trägt. Man kann eh` anziehen was man will, einige Leute werden sich aufregen, andere finden es cool. Lediglich eine Jogginghose würde ich nie anziehen.
Altariq aus Berlin
Wenn ich auf der Bühne stehe, bin ich „Luna“, die strahlende Mondgöttin. Ich glaube, die 15 Jahre, in denen ich jetzt Drag mache, haben mich schon sehr außergewöhnlich gemacht: schillernd und bunt; immer in einer anderen Show, jedes Mal Begeisterung in den Menschen wecken, pure Freude am Leben zeigen; sich nie von Rückschlägen unterkriegen lassen, auch nicht von Anfeindungen oder Hasstiraden. Und sich nie von gewöhnlichen Menschen runterziehen lassen. Dieses Selbstwertgefühl, das man nach 15 Jahren bekommt, färbt auch auf das Privatleben ab und macht Mut, bunt und auffällig den Alltag zu meistern. Die Haare sind 365 Tage im Jahr lila gefärbt und wenn ich Bock auf ein Ladyshirt habe, ziehe ich eins an.
Unter „gewöhnlich" verstehe ich Hass, Intoleranz und dumme Aussprüche, Leuten vorzuschreiben, wie sie leben müssen. Wir sind nun mal 10 Milliarden sehr unterschiedliche Menschen auf diesem Planeten und es gibt nichts Gewöhnlicheres, als Menschen bestimmte Regeln zum Leben vorzuschreiben. Ultragewöhnlich finde ich auch, wenn man auf Dating Portalen Menschen ausgrenzt und über diese herablassend herzieht; aus welchen Gründen auch immer. Und wenn man im Sommer die CSDs besucht und sich für Toleranz sichtbar macht und miteinander innerhalb der Community herablassend miteinander umgeht. Da müssen wir wohl noch ein bisschen außergewöhnlicher und toleranter werden. Jeder sollte sein Leben so leben, wie er es für richtig hält, aber auch das Leben der anderen akzeptieren, so wie sie es leben wollen. Übrigens das Außergewöhnlichste, was ich je gemacht habe, war: als schüchterner Student, der noch nicht fertig war, sich selbst und seine Buntheit zu finden, aber schon den Mut hatte, beim ersten CSD im Jahr 2007 ganz vorne in der Demo mitzulaufen.
Daniel / Luna aus Velbert
Ich bin seit 30 Jahren als Frisör in Dresden tätig. Wir betreuen unseren Kundenstamm, getreu dem Motto: Wie macht man eine Person noch attraktiver durch die Frisur; denn das möchte eigentlich jeder Kunde. Unser Slogan heißt deshalb auch „Mehr als der Durchschnitt“ und das spricht die Kunden an, die wir gerne haben möchten. Allerdings sind das auch Kunden, die von vorneherein mehr erwarten als eine gewöhnliche Bedienung. Daher steht die Beratung ganz oben auf unserer Serviceliste. Und der Kunde endet ja nicht am Hals, sondern man nimmt jede Person als Komplettmensch wahr.
Es gibt aber weder eine gewöhnliche noch eine außergewöhnliche Frisur; das ist eine Frage des Trends und des angesagten Modestils.
Ich selber sehe mich schon ein wenig außergewöhnlich. Das heißt, ich bin kreativ und versuche meinen Style unverwechselbar zu gestalten möchte mich aber gleichzeitig nicht festlegen. Ich schneide auch mal – um es frisurentechnisch auszudrücken - alte Zöpfe ab.
Ich habe auch das Talent nicht nur Haare schneiden zu können, sondern ich schneidere auch im Kostümbereich. Gerade bei Kostümen lebe ich mich in verschiedensten Genres kreativ aus. Aufgefallen bin ich viele Jahre lang beim „Rosa Funken Ball", der legendären schwul-lesbischen Kostümparty in Köln. Und in Köln wollte ich als Dresdener auch auffallen, hier fällt man nur mit einem außergewöhnlich tollen Kostüm und gut gestylt auf. Da kann man von der großen Diva bis zum kleinen Rotkäppchen eine große Bandbreite entwickeln.
Und wir haben in Dresden seit 20 Jahren das carte-blanche-Theater, Europas größtes Travestietheater, wo wir aktiv mit dabei sind. Da geht es ja noch mehr um die Verwandlung und auch darum, dicht am Original zu sein, wenn ein Prominenter parodiert oder dargestellt werden soll.
Holger aus Dresden
Ich weiß, dass ich mit meinem Aussehen, den Tattoos und den Implantaten auffalle und würde mein Aussehen schon als außergewöhnlich bezeichnen. Einige Menschen finden Tattoos ziemlich gewöhnlich – früher trugen meist Männer mit negativem Background Tattoos - Piraten, Seeleute, Kriminelle, Zirkusleute - was zur Folge hatte, das Tattoos verpönt waren. Aber nicht jeder kann mit meinem Aussehen umgehen und findet mich außergewöhnlich, es gibt die sogenannten bösen Blicke. Auch im Internet versuchen Leute mich zu beleidigen, aber ich habe gelernt, damit umzugehen und ich lasse mich nicht unterkriegen. Außerdem gibt es Leute in der Community, die hinter mir stehen und auch meine Familie hat nichts gegen Tattoos, (nur die im Gesicht findet sie nicht so gut). Ich selbst bin mit mir zufrieden. Das eine oder andere Motiv hat zwar keine Bedeutung mehr für mich, die meisten Motive habe ich aber als Ideen selbst entwickelt, es gibt nur wenige aus dem Internet dabei, weil sie mir gefallen haben.
Ich habe mit meinen Tattoos im Jahr 2019 angefangen. Die im Gesicht sind im ersten Lock down in der Corona Zeit dazu gekommen. Danach ging es weiter und 2022 habe ich mir die Augäpfel dunkel machen und die Implantate auf dem Kopf einsetzen lassen. Auf die Implantate kann ich verschiedene Sachen draufdrehen. Was das Finanzielle betrifft, so trage ich auf meinem Körper einen Wert von circa 22.000 Euro herum. Und ich habe mein Endziel noch nicht erreicht.
Für mein Aussehen habe ich keine Vorbilder. Ich fand zwar Black-Alien gut, will aber mein eigenes Bild und meine eigene Persönlichkeit zeigen. An meiner etwas außergewöhnlichen Stimme habe ich nichts machen lassen; ich leide lediglich an einer Stimmbandlähmung.
Inkedjuliusz2.3 aus Köln
Ich habe diese negative Kontemplation beim Wort „gewöhnlich“ gar nicht: Gewöhnlich ist, was am Tage passiert. Wenn allerdings etwas Besonderes passiert, ist es schon Außergewöhnliches und hat für mich auf jeden Fall eine positive Deutung.
Ich finde es gut, wenn Menschen außergewöhnlich sind, denn „Normal is boaring anyway!“ Bin ich außergewöhnlich? Ich muss mich ja - so wie ich bin - in meinem Körper wohlfühlen. Auch wenn es für manche außergewöhnlich sein mag, entspricht es meinem inneren Gefühl, wie ich mich ausdrücke. Das ist für mich sehr befreiend und zufriedenstellend, weil ich es mir über Jahrzehnte nicht erlaubt habe. So ist das Außergewöhnliche für mich etwas ganz Normales.
Ich muss jeden Morgen in den Spiegel schauen können und ich möchte mich, für das, was ich bin und was ich mache nicht mehr verbiegen müssen. Ein Grund übrigens, warum ich mich von meinem Arbeitgeber getrennt habe. Mir fehlte die freiheitliche Entwicklung meiner Persönlichkeit. So steht es im Grundgesetz. Und wenn ich das nicht mehr darf, dann muss ich für mich Konsequenzen ziehen. Selbst wenn es ein gutbezahlter Job ist.
Ich finde, es sollte ganz normal sein, dass alle, so wie sie selbst es möchten, ihr Leben leben dürfen. Es ist doch am schönsten, wenn jeder das für sich selbst definiert; sodass es erst gar keine von außen übergestülpte Norm gibt, die etwas gut oder nicht-gut bestimmt.
Wenn ich als Mann gelesene Person ein Kleid anziehen möchte, sollte ich von niemandem verurteilt werden. Ich würde selbst die nicht verurteilen, die nackt herumlaufen wollen; obwohl das für mich nicht in Frage käme. Lass doch alle so sein, wie sie selbst es wollen. Dann erst sind wir bunt; egal ob gewöhnlich oder außergewöhnlich.
Janboris Rätz aus Mainz, ehemaliger SWR-Moderator
Ich mag keine negativen Leute im Umfeld, denn die rauben mir zu viel meiner positiven Energie. Ich selbst versuche immer, positiv zu denken. Vielleicht bin ich außergewöhnlich, weil ich immer freundlich und happy bin. Auf der Arbeit nennen sie mich „Sonnenschein", weil ich beständig mit positiver Energie strahle. Aber ein Lächeln kostet mich doch nichts, dafür macht es meine Gegenüber freundlicher. Ich liebe auch - besonders in den Sommermonaten - helle Farben. Und da falle ich natürlich mit meinen weißen Haaren noch besonders auf.
Zum Glück leben wir in einer Zeit, wo fast alles erlaubt ist, um individuell zu sein. Viele verstecken sich allerdings, wollen im Alltag weder wegen ihrer Kleidung noch wegen ihrer sexuellen Orientierung auffallen.
Ich bin in Kroatien geboren und im Krieg aufgewachsen, dass waren genug dunkle Zeiten, in denen man sich verstecken musste. Und es wird immer schwere Zeiten geben, da muss man nach vorne blicken und positiv denken und positiv bleiben, denn was bringt es, negativ zu sein, das zieht einen doch nur runter.
Es gibt gute und schlechte Tage; da muss man sich einfach merken, was an schlechten Tagen nicht in Ordnung war und versuchen es zu verbessern. Wir machen alle Fehler, nur man muss aus diesen Fehlern lernen.
Für mich gibt es nichts „Gewöhnliches“, ich liebe selbst Jogginghosen. Und ich hätte auch kein Problem, ein Kleid zu tragen. Es steht doch nirgendwo, dass man das nicht tragen darf. Ich finde sowieso: Es kommt nicht darauf an, was man trägt, sondern wie man etwas trägt. Alleine das ist entscheidend. Dann kann selbst das gewöhnlichste Teil zu etwas Außergewöhnlichem werden.
Luka aus Bochum