GZSZ Was kommt da auf uns zu?
Dr. Lale Akgün
ehemalig MdB, Psychologin und Autorin
So pessimistisch habe ich selten in die Zukunft geblickt. Ob innen- oder außenpolitisch, ob gesellschafts- oder klimapolitisch, in keinem Bereich erwarte ich eine Besserung; ich wäre glücklich, wenn wir 2024 ohne Kratzer an der Demokratie hinter uns bringen.
Im Ukrainekrieg befürchte ich das Schlimmste, weil die Verbündeten das tapfere Land nicht ausreichend unterstützen; im Nahen Osten scheint der Frieden in die Unendlichkeit gerückt zu sein; in den USA drängt Trump schon wieder an die Macht und er hat die Republikaner gekapert. Das sind nur die Konfliktherde, die uns am meisten betreffen; von den anderen weltweit ganz zu schweigen. Das Klimaproblem wird nur noch als Luxusproblem wahrgenommen und diejenigen, die sich darum kümmern als Träumer, die an der Wirklichkeit vorbeileben. Dabei müssen die Klimabeschwichtiger nur aus dem Fenster schauen, um das Hochwasser zu sehen, eine Folge des Klimawandels. Willkommen in der Wirklichkeit!
Im Inland wächst die AfD und ich warte voller Sorge auf die anstehenden Wahlen in diesem Jahr. Was wird passieren, wenn Höcke der nächste Ministerpräsident von Thüringen wird? Was würde das für Deutschland insgesamt bedeuten? Aber ohne den Albtraum von Höcke als Ministerpräsident: die politische Kultur im Land wird immer aggressiver und spaltet das Land in ein imaginäres „die da oben und wir hier unten“. Und diejenigen, die meinen „unten“ zu sein, wollen es denen „da oben“ mal richtig zeigen. Dabei scheuen einige auch nicht davor, die Regeln der Demokratie zu verletzen.
Und wenn in dieser Gemengelage mir jemand damit kommt, dass das größte Problem dieser Republik das Gendern sei, dann kann ich nur rufen: Möge das Gendern unser größtes Problem im Jahre 2024 bleiben!
Rainer Bielfeldt
Liedermacher, Pianist, Sänger und Komponist
Global bereiten mir die Krisen im Nahen Osten und in der Ukraine, sowie Ignoranz und Stillstand bei der Bekämpfung des Klimawandels die meisten Sorgen. Ich bin eigentlich ein unerschütterlicher Optimist, aber diese Unerschütterlichkeit stößt mittlerweile leider an ihre Grenzen. Ich hoffe, dass sich die Menschen in Positionen endlich ihrer Verantwortung in vollem Umfang stellen oder von diesen Positionen abgewählt werden.
Im Lande beunruhigt mich die wachsende Intoleranz gegenüber queeren Personen, Transmenschen und Mitbürgern anderer Kulturen und Glaubensrichtungen. Die Attacken gegen unsere Vielfalt machen mich fassungslos, es will mir nicht in den Kopf, was eigentlich das Problem daran sein soll, wenn Menschen anders sind als die Norm, ohne irgendwem zu schaden.
Die Suche nach Heilung und Halt bei populistischen oder gar rechtsradikalen Parteien und Strömungen spaltet, schafft eine Atmosphäre der Feindseligkeit und löst keines unserer drängenden Probleme. Bedenklich sind auch die wachsenden sozialen Verwerfungen und die auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich.
Und wird die künstliche Intelligenz ganze Berufszweige kanibalisieren und deren Vertreter arm machen, weil der Gewinn in den Taschen von wenigen landet? Oder werden die Erleichterungen und Fortschritte allen zugutekommen und ein Leben in Frieden und materieller Sicherheit ermöglichen?
Ich wünsche mir ein Jahr 2024, in dem die AfD in Umfragen weit unter die 5%-Hürde fällt, in dem ich nicht eine einzige Rentnerin mehr Pfandflaschen sammeln sehe, und in dem mindestens eine Transperson ein Ministeramt bekommt. Die Eroberung des Kanzleramts wäre auch nicht verkehrt – das wäre auch ein schöner Wunsch für 2025.
Ralph Morgenstern
Entertainer und Schauspieler
Deutschland ist ein reiches Land, nur mit der Bildung ist es nicht weit her. Man muss Bildung hochhalten!
Wir haben alle Sozialmedia unterschätzt: der Iran steckt da zum Beispiel sehr viel Geld rein, um so Minderheiten kaputt zu machen. Und wir haben die AfD mit dem gleichen Ziel: Leute dumm zu halten. Man sagt schnell: „Die Ampelpolitik schafft nichts!“, aber Demokratie braucht halt länger als eine Diktatur. Und das ist eine große Falle. Leute die keine Ahnung von Nichts haben, finden immer alles schlecht, um von sich abzulenken und sich damit selbst aufzuwerten. Sie geben Verantwortung ab, geben anderen die Schuld und wählen einen Diktator, der dann für alle bestimmt, wo es langgeht.
Eine gute Bildung und eine gesunde Mittelschicht in Deutschland ist das Fundament einer Demokratie. Und es geht dabei auch um ein politisches Bewusstsein der Gesellschaft und da wissen die meisten jungen Leute weder, was „Stonewall“ bedeutet, noch was eine „Demokratie“ ist.
Jeder Einzelne muss dafür sorgen, dass wir eine gut funktionierende Demokratie in Europa haben. Gerade für uns queere Menschen ist es wichtig, dass Europa funktioniert, denn wenn das nicht klappt, klappt auch in der Community nichts mehr; weil sich niemand verantwortlich fühlt. Wir müssen offen und tolerant bleiben, müssen miteinander reden und sind nur zusammen stark. Wir müssen selber für unser Glück, unseren Frieden und unsere Gesundheit sorgen; das ist Demokratie.
Und was bitte ist am Frieden so schwer, dass der nicht gehalten wird? Warum klappt Frieden nicht?
Ich wünsche mir und allen anderen neben Frieden, Glück und Gesundheit mehr Mut nach außen zu gehen und nicht zu sagen: „Was ich privat mache, geht doch niemand etwas an“. So kommen wir nicht weiter.
Rodrigue Funke
Artist, Regisseur und Conférencier
2023 war für mich beruflich sehr erfolgreich, die Welt hat sich aber auch bedrohlich verändert. Ein Kernproblem ist für mich die Ungerechtigkeit in der Chancengleichheit für Menschen. Meine Welt im Showgeschäft ist sehr international und bunt, ich habe mit Kriegsflüchtlingen, afrikanischen Darstellern, alten und jungen, queeren und straighten Künstlern gleichermaßen zu tun. Die Hoffnung und der Glaube an „bessere Zeiten“ sind also Grundpfeiler meiner Arbeit und glücklicherweise auch Teil meines Charakters. Aber wie kann ich mich einbringen, um etwas zum Besseren zu bewegen? Ich bin davon überzeugt, das künstlerische Darstellung auch immer einen gesellschaftlichen Einfluss hat. So kann ich bspw. über das Casting einer Show Einfluss auf die Sichtbarkeit bestimmter Gruppen nehmen. Ich versuche meine Shows divers nach allen Seiten zu gestalten, (Alter, Geschlecht, Nationalität, Körperformen) - eine herausragende Leistung ist natürlich immer die Voraussetzung. Ich habe die Hoffnung, das ich über die Selbstverständlichkeit der Sichtbarkeit, Toleranz fördern kann, ohne das sich Jemand vom erhobenen Zeigefinger bedroht fühlt. Gleichzeitig kann ich Künstler fördern, die auf Grund ihrer Herkunft oder Ihres Aussehens wenig Chancen im Mainstream hätten. Das sind Dinge, die ich im beruflichen Umfeld direkt selbst verantworten kann.Bei Klimawandel, AfD-Aufschwung, Politik-Verlässlichkeit und steigender Armut kommt aber auch mein grenzenloser Optimismus an seine Grenzen. Ich wohne in Brandenburg, arbeite viel in Berlins Mitte und benutze nachts für meine Sicherheit keine öffentlichen Verkehrsmittel - obwohl ich weiß, dass Autos keine umweltfreundliche Lösung sind. Wenn die Jugend sich einbringt und engagiert, freue ich mich und fluche trotzdem, weil ich durch Klimakleber 15 Künstler im Theater warten lassen muss. Man ist also bei vieler dieser Fragen in einem Dilemma und kann einfach nur von Situation zu Situation sein Bestes versuchen.
Sven Lehmann
MdB, Queer-Beauftragter der Bundesregierung
Das Jahr 2023 war für LSBTIQ* wie für viele Menschen kein einfaches Jahr. Unsere Gesellschaft ist bei sehr vielen Themen polarisiert, die öffentliche Diskussion bisweilen sehr verroht. Deutschland hat große Probleme zu lösen in Sachen Sicherheit, sozialer Gerechtigkeit, Klimaschutz und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dazu kommen die internationalen Ereignisse wie der schreckliche Terroranschlag der Hamas, der Krieg in Gaza, der anhaltende Krieg in der Ukraine. All das besorgt mich wie viele Menschen sehr und prägt den Jahresumbruch. Ich blicke trotzdem hoffnungsvoll auf das Jahr 2024. Ich wünsche mir und arbeite dafür, dass der Bundestag das Selbstbestimmungsgesetz im kommenden Jahr zügig beschließt, wir wollen die Regenbogenfamilien im Abstammungs- und Familienrecht stärken und im Grundgesetz den Schutz vor Diskriminierung explizit aufnehmen. So arbeiten wir 2024 weiter daran, Deutschland zu einem Vorreiter für queere Rechte in Europa und der Welt zu machen. Gleichzeitig werden die 2024 anstehenden Landtagswahlen im Osten zum Stresstest für unsere Demokratie. Zum Markenkern der AfD gehört es, Hass, Verachtung und Ängste anzustacheln. Ich fürchte, viele unterschätzen die Gefahr, die von dieser Partei ausgeht, nicht nur für queere Menschen. Als Community sind wir gefragt, demokratische Grundwerte und einen respektvollen Umgang miteinander zu verteidigen, uns nicht einschüchtern zu lassen. Mit der Wahl des Kandidaten der AfD zum Amt des Oberbürgermeisters im sächsischen Pirna Mitte Dezember hat sich gezeigt, dass wir Demokrat*innen es uns nicht leisten können, uns spalten zu lassen. Wer den Rechtsruck stoppen will, muss ihm entschieden und geschlossen begegnen. Ich bin zuversichtlich, dass wir mehr sind und unsere vielfältige Demokratie im kommenden Jahr verteidigen werden..
Sascha Klupsch
Kölner Prinz Karneval Sascha I.
Zum Thema Klima und Wetter, ja, was soll man dazu noch sagen? Es ist ein bekanntes Problem und da muss unbedingt etwas getan werden.
Gute und schlechte Zeiten gibt es immer, auch bei uns im Fastelovend. Die guten Zeiten sind, wenn es ganz viel Spaß und Freude gibt, wenn die Jecken friedlich zusammen feiern. Schlechte Zeiten sind es, wenn die Leute nicht zum Feiern, sondern zum Krawalle anzetteln in der Stadt sind. Wenn es zu Zeiten des Karnevals Angriffe auf Moscheen oder Synagogen gibt, ist das voll daneben. Genauso ist es mit Antisemitismus oder Angriffen gegen Minderheiten, so etwas hat im Karneval nichts verloren. Das hat nirgendwo etwas verloren.
Womit wir auch lernen müssen umzugehen, ist die Inflation. Es kommt auf uns zu und es ist überall ein Thema. Wenn zum Beispiel das Bier teurer wird, gibt man ungewollt mehr Geld aus und muss dafür an anderer Stelle sparen.
Aktuell ist das Thema KI - Künstliche Intelligenz. Ich habe auch schon versucht, damit umzugehen und es ein wenig ausprobiert. Es ist wie mit den meisten Dingen: man kann sie sinnvoll einsetzen oder sie so benutzen, dass Nachteile und Gefahren entstehen.
Zur Politik möchte ich mich nicht äußern, ich kann nur so viel sagen, dass unser Bauer nicht streikt. Bauer Werner muss bis Aschermittwoch wie auch die Jungfrau Friede und meine Wenigkeit voll durchrackern. Als Prinz Karneval repräsentiere ich die Stadt Köln und den Kölner Karneval. Meine Aufgabe ist es, Frohsinn zu bereiten und das mache ich mit meinen beiden Mitstreitern. (vvg)