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Neues Leben auf dem Land

Neues Leben auf dem Land Wo sich Spatz und Hase Gute Nacht sagen

ms - 15.08.2025 - 16:00 Uhr
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Schwule Jungs zieht es in jungen Jahren oftmals in die große Stadt, wo queeres Leben und die Szene lockt. Doch für manche ist das Stadtleben nur eines auf Zeit – warum? Das hat uns Christian verraten, der zusammen mit seinem Verlobten Jens von Berlin aufs Land nach Mecklenburg-Vorpommern gezogen ist.

Christian, nach rund zwanzig Jahren in der Regenbogenhauptstadt ging es für euch zurück ins Ländliche, wo sich umgangssprachlich Hase und Fuchs Gute Nacht sagen. Was hat euch dazu bewogen?

Um das mal klar zu stellen: Berlin ist eine grandiose Stadt! Besonders für junge queere Menschen! Aber nach 20 Jahren Partys, Events, Konzerte und Museen möchten wir mehr Ruhe, mehr Natur – und einen eigenen Garten. Der Erbkrug in Blankensee ist zudem seit sechs Generationen im Besitz meiner Familie und der Generationenwechsel stand an. Da mussten wir uns entscheiden. Bei uns sagen sich übrigens Spatz und Hase Gute Nacht. Das sind unsere völlig einzigartigen Kosenamen füreinander.

Gerade junge queere Menschen gehen ja den umgekehrten Weg – vom Land in die Stadt. Wie war das bei dir? 

Hab ich auch gemacht und würde ich wieder so machen. In der Jugend darf das Leben ruhig brodeln. Außerdem waren früher die Kunst und die Szene mein Zuhause: Freundschaften, Dates, Safe Space und Orientierung. Das hat mich geprägt. Heute ist Jens mein Zuhause. Deshalb brauche ich nicht mehr jedes Wochenende Highlife. Aber ich weiß, wie wichtig Sichtbarkeit ist – gerade außerhalb von Metropolen. Die Community ist und bleibt Familie. Nur, dass ich jetzt eher der verrückte Vogel vom Land bin, der Kultur im Garten organisiert.

In Blankensee saniert ihr den Erbkrug. Wie sind die Reaktionen im Dorf auf ein offen schwules Paar?

Überraschend positiv! Klar gibt es neugierige Blicke und es wird ganz sicher geredet – zwei Männer, ein Hof und ein offenes Geheimnis. Aber wir haben gleich alle Nachbarn eingeladen. Beim gemeinsamen Bier bricht das Eis am besten. Es ist sicher nicht alles rosarot und wir wissen, dass noch die eine oder andere Herausforderung auf uns zukommen wird. Wir sind aber überzeugt: Offenheit wirkt Wunder. Wir sind einfach wir selbst. Das muss reichen.

Mit welchen Vorurteilen werdet ihr noch konfrontiert?

Am witzigsten finde ich immer den Satz: "Solange ihr mich nicht anfasst, hab ich damit kein Problem." Meistens sagen das die unattraktivsten Typen! Ich kontere immer mit Humor. Das klappt ganz gut. Und oft ist’s ja auch nur Neugier. Und wenn wir entspannt antworten, fallen viele Vorurteile sehr schnell. Wir sollten in unserer Gesellschaft wieder mehr miteinander reden, einander zuhören und weniger urteilen. Das würde uns allen gut tun.

Du hast den Verein Queer-Strelitz in Neustrelitz gegründet. Was ist deine Vision?

Wir möchten queeren Menschen im ländlichen Raum Sichtbarkeit und Rückhalt geben – egal ob jung oder alt. Noch immer gibt es hier kaum Anlaufstellen oder queere Menschen in der Öffentlichkeit. Mit Queer-Strelitz planen wir den CSD, kleine Partys, Sportfeste, Ausflüge, Lesungen und sind einfach da – auch sehr häufig für Eltern queerer Kinder und Jugendliche, die nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen. Wir sind einfach ein Netzwerk mit offenen Armen.

Was rätst Du queeren Menschen, die auf dem Land leben wollen? 

Erstens: Zeigt euch! Nicht mit dem Vorschlaghammer, aber eben auch nicht verstecken. Denn wir sind mehr, als ihr vielleicht denkt. Zweitens: Interessiert euch für den Ort und die Menschen, nicht nur dafür, wie ihr ankommt. Wer mithilft beim Dorfputz oder beim nächsten Dorffest, wird sicher schneller akzeptiert als die, die nie mit anderen reden. Und drittens: Humor und Offenheit. Wir müssen nicht alle bekehren, aber wir alle können dazu beitragen, Vorurteile und Mauern abzubauen. Das brauchen wir derzeit mehr denn je.

Berlin ist bunt, sexpositiv, manchmal auch exzentrisch. Verstehst Du, wenn manche Menschen damit Berührungsängste haben?

Absolut. Die Leute müssen nicht gut finden, wenn Menschen halbnackt auf einem Einhorn tanzen. Auch wenn sie gar nicht wissen, wie viel Spaß ihnen dabei entgeht! Sichtbarkeit ist wichtig, aber nicht jeder Teil der Community muss überall eins zu eins gelebt werden. Wir bauen lieber Brücken im Alltag: Wir zeigen, dass wir auch nur Menschen sind – mit Liebe zum Land und zur Kultur, mit eigenen Ansichten, mit Ecken und Kanten. Darüber lassen sich oft mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede finden. 

Ab Jahresende wollt ihr Ferienwohnungen anbieten. Was darf man erwarten?

Auf jeden Fall queer-friendly, Safe Space und mit Liebe zum Detail. Ohne Regenbogenkitsch, aber mit Stil, Komfort und ganz viel Herzlichkeit. Am meisten freue ich mich auf die Gartensauna mit Blick aufs weite Feld hinterm Haus. Danach Lagerfeuer und ein gutes Getränk. Wir möchten einfach coole und entspannte Menschen bei uns zu Gast haben und ihnen eine gute Zeit bereiten. Ob queer oder nicht, Hauptsache offen und respektvoll.

Christian, viel Erfolg euch zwei auf dem Land!

Mehr unter Instagram @ erbkrug.blankensee

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