Direkt zum Inhalt
Thema Organspende // © kupicoo

Thema Organspende Auf Herz und Nieren geprüft

km - 02.06.2019 - 07:00 Uhr

Dein Leben lang warst du immer gesund. Doch in letzter Zeit geht es dir nicht so gut. Das wird schon wieder, denkst du dir. Aber aufgrund nicht enden wollender Besorgnisbekundungen deines Partners, Freunden oder Familie schleppst du dich zum Arzt. Im Wartezimmer legst du dir bereits die perfekte ‚Ich habe doch gesagt alles ist in Ordnung‘-Rede für Zuhause zurecht. Während die lächelnde Arzthelferin Tests mit dir durchführt und entsprechende Proben entnimmt, scherzt du über die Situation. Ein paar Tage später hast du das Untersuchungs-Spektakel längst vergessen und bekommst einen Anruf von deinem Arzt. Du bist krank und benötigst ein Spenderorgan. Während er dir die Nachricht verkündet, verzieht sich dein sonst so optimistischer Gesichtsausdruck in Fassungslosigkeit. Eine Prise ‚Warum ausgerechnet ich‘ kocht in dir auf, während tausend Gedanken und Fragen über deine Vergangenheit und Zukunft im Kopf umher schießen. Zu schnell das man sie fassen könnte. Jetzt heißt es warten.

Warten müssen rund 9.500 Patient*innen deutschlandweit. Statistisch gesehen sterben täglich drei von ihnen. Laut der Deutschen Stiftung für Organtransplantation (DSO) werden dreimal mehr Nieren benötigt als Transplantate vermittelt werden können. Deshalb bleibt die Organspende ein brandaktuelles Thema, besonders in der Politik.

Politische Entwicklung

In Deutschland gilt zurzeit die Entscheidungslösung. Das bedeutet Organe und Gewebe dürfen nur dann nach dem Hirntod entnommen werden, wenn die verstorbene Person zu Lebzeiten zugestimmt hat. Im Falle einer nicht vorliegenden Entscheidung, müssen die Angehörigen entscheiden. In keinem anderen Land gibt es diese Vorgehensweise.

Nachdem im Jahr 2017 die Diskrepanz zwischen Spender und Wartenden angestiegen ist, kam es wieder in den Fokus von Debatten. Jens Spahn, Bundesminister für Gesundheit, spricht sich für eine doppelte Widerspruchslösung aus. Nach diesem Konzept sind alle ab dem 18. Lebensjahr potenzielle Spender, solange sie zu Lebzeiten nicht widersprochen haben. Zusätzlich sollen Angehörige vor der Entnahme der Organe gefragt werden, ob ein schriftlich festgehaltener Widerspruch oder ein entgegenstehender Wille vorliegt. Das diese Vorgehensweise funktioniert beweisen Länder wie Spitzenreiter Spanien, Österreich, Belgien und Kroatien in denen nach Angaben von Eurotransplant deutlich mehr Organe gespendet werden und die Wartezeiten dementsprechend kürzer sind.
„Widerspruchslösung ist die Pflicht, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen“ argumentiert Spahn im Bundestag.

Aufgrund von Konfliktpunkten und einer Kieler Studie, die besagt das Krankenhäuser sich Organtransplantationen wirtschaftlich nicht leisten können, hat der Bundesminister für Gesundheit reagiert und den Gesetzesentwurf angepasst. Der finanzielle Aufwand der Kliniken soll vollständig erstattet werden.

Die politischen Gegner dieses Entwurfes sind von diesem Weg nicht überzeugt: „Es sollte eine bewusste und freiwillige Entscheidung sein und sollte nicht vom Staat erzwungen werden“, so heißt es im Gegenentwurf von Grünenchefin Annalena Baerbock und Linken-Vorsitzende Katja Kipping. Bürger sollen informiert werden, wenn sie beispielsweise einen Personalausweis beantragen. Ihre Entscheidung soll dann online in einem Register festgehalten werden und jederzeit änderbar sein. Zudem beraten Hausärzte ihre Patienten alle zwei Jahre über Organ- und Gewebespenden und ermutigen sie zur Eintragung ins Onlineregister ermutigen.
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, kritisiert beide Vorschläge, da sie am zentralen Problem vorbeigehen. „Das bestehende Organspende-System ist intransparent und verunsichert viele Menschen. Der Staat dürfe sich bei der Verteilung von Lebenschancen nicht weiter von privaten Institutionen abhängig machen. Das Transplantationssystem gehöre in staatliche Hände. Außerdem bräuchten Patienten auf Organ-Wartelisten mehr Rechtssicherheit. Denn bis heute ist unklar, ob Zivil-, Sozial- oder Verwaltungsgerichte zuständig sind, wenn Entscheidungen überprüft werden müssen." Die Abstimmung der Gesetzesentwürfe erfolgt frühestens im Herbst und verläuft ohne Fraktionszwang.

Michael Kuse hat im letzten Jahr ein Spenderherz erhalten. „Ich bin für die Widerspruchslösung, allein die Diskussion darüber ist bereits hilfreich, um das Thema mehr ins Bewusstsein der Menschen zu bringen“. Selbst etwas Banales wie frühstücken war für ihn ein Kraftakt, doch jetzt geht es wieder aufwärts für ihn. Im Interview mit SCHWULISSIMO erzählt der 55-jährige: „Mir geht es super. Ich kann wieder Vollzeit arbeiten, nach meiner Eingliederung Ende letzten Jahres. Er erinnert sich noch genau an den Augenblick, an dem das Warten ein Ende hatte. „Es war der 2. Juni. Mein Mann kam mich wie jeden Samstag besuchen und der Arzt sagte mir es sei Tag der Organspende. Ich antwortete, ich weiß, worauf er erwiderte: „Auch für Sie, wir haben ein passendes Herz.“ „In diesem Moment weiß man gar nicht was in einem vorgeht. Es rattert einfach. Man hofft das der Eingriff gutgeht, aber freut sich auch unglaublich, dass es endlich losgeht. Es ist ein Wechselbad der Gefühle.“

Die Vorgehensweise und Bedenken

Um die Angst vor dem Thema zu nehmen ist Aufklärung ein wichtiger Eckpfeiler. Wie läuft eine Spende ab und wann ist man als Spender geeignet? Die wichtigste Voraussetzung, abgesehen vom Willen zu spenden, ist die Diagnose: Hirntod. Jeder der anders ablebt kommt als Spender nicht in Frage. Aber was bedeutet das überhaupt?

Es handelt sich um einen unumkehrbaren Ausfall der gesamten Hirnfunktionen, einschließlich Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm. Dies kann durch Hirnblutung, schwere Hirnverletzung oder einen Tumor erfolgen. Diese Diagnose muss innerhalb von 12 Stunden von zwei erfahrenen Ärzten unabhängig voneinander festgestellt werden. Die Befürchtung in der Bevölkerung, dass Ärzte eine noch erfolgsversprechende Behandlung abbrechen und die Geräte abschalten ist unbegründet. Das Gegenteil ist der Fall. Prof. Dr. Dr. Jochen Vollmann, Leiter des Instituts für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin an der Ruhr-Universität Bochum sagt „Wenn ein Patient Organspender ist, wird eine intensivmedizinische Versorgung sogar länger aufrecht gehalten, weil sie dazu dient, die Funktion der Organe künstlich am Leben zu halten.”

Um den Empfänger nicht zu gefährden durchlaufen Transplantationspatienten einen Untersuchungskatalog. Hierzu zählt auch der PCR Test, damit werden Virusinfektionen wie zum Beispiel HIV festgestellt. Zusätzlich erfolgt eine Anamnese, eine Erfassung der gesundheitlichen Vorgeschichte. In der Regel mithilfe der Angehörigen des Verstorbenen, die durch weitergehende Informationen der vorbehandelnden Ärzte ergänzt.

Vor einigen Jahren stand in den Fragebögen noch „Umgang im homosexuellen Milieu“ unter dem Punkt Risikogruppen. Von diesem Ausdruck hat man sich inzwischen distanziert und schreibt „Gleichgeschlechtlicher Sex mit Männern (in den letzten 12 Monaten). Ähnlich wie bei der Blutspende (Transfusionsgesetz), allerdings sind homosexuelle nicht von der Organspende (Transplantationsgesetz) ausgeschlossen. Selbst bei sexueller Aktivität können schwule als Spender nach bereits erwähnten Tests zugelassen werden.

Entnahme

Es werden nur Organe entnommen, die zur Spende freigegeben worden und die medizinisch für eine Transplantation geeignet sind. Die Organentnahme findet mit der gleichen Sorgfalt statt wie eine Operation am lebenden Menschen. Sobald ein Spenderorgan entnommen wurde, ist es von der Sauerstoffversorgung abgeschnitten. Deshalb muss die Zeit zwischen Entnahme und Transplantation möglichst kurz sein.

Organhandel ist auch eine große Vertrauenslücke für potenzielle Spender. Doch wurde aus Vorfällen und Skandalen gelernt und Kontrollen und Gesetze optimiert. Und sind Korruption und der Schwarzmarkt nicht grade Argumente für einen Spenderausweis?

Im Handel bestimmt das Angebot die Nachfrage und umgekehrt. Wenn man von einem Idealzustand ausgeht und alle Menschen spenden würden. So herrscht ein Angebot an Organen, welches die Nachfrage deckt. Niemand müsste dann über strafbare oder unmoralische Wege Organe organisieren. Dieses hypothetische und optimistische Beispiel verdeutlicht: Um sich vor Handel und Missbrauch, sowie Korruption und Ungerechtigkeit zu schützen, sollte man nicht das ganze System boykottieren, sondern damit kollaborieren.

Transplantationszentren sind die einzigen Orte in Deutschland an denen Transplantationen vorgenommen werden dürfen. Es gibt etwa 50 Einrichtungen und diese werden regelmäßig von einer Prüfungs- und Überwachungskommission Vor-Ort kontrolliert. „Die Organisation dort ist vorbildlich. Da passt alles von vorne bis hinten.“, schwärmt Michael aufgrund seiner Erfahrung in Bad Oeynhausen.

Die Angehörigen des Organspenders können sich vor der Entnahme und Ausschaltung der Geräte verabschieden. Nach dem Eingriff werden Operationswunden sorgfältig verschlossen und verbunden. Der Leichnam wird im würdigen Zustand zur Bestattung übergeben. Über den Spender erfährt der Empfänger nichts bei einer postmodalen Spende erklärt uns Michael.

Fazit
Ob man Gegner oder Befürworter ist, die Debatte über Organspende ist wichtig. Egal welche politische Lösung fokussiert wird, am Ende kann jeder Bürger aktiv dagegen stimmen, ohne eine Erklärung abgeben zu müssen. Das Vertrauen und der ethische Aspekt sind guter Nährboden für Zweifel an der Organtransplantation. Da hilft es nicht gesetzlich alle Bürger als Spender zu mobilisieren, sondern sollte man viel mehr ein transparentes System darlegen und umfassende Aufklärung betreiben.

Metaphorisch gesprochen: Wenn man sein Kind zum recyceln motivieren möchte, bringt es ja auch nichts, ihm oder ihr fünf verschiedene Mülleimer hinzustellen. Man muss die Eimer beschriften und genau erklären wie es funktioniert und was es für Folgen hat.

Michael Kuse ist auf jeden Fall dankbar für das ihm ermöglichte Leben und lebt dieses auch bewusster. „Ich nehme alles mit was ich kriegen kann. Fahre mit meinem Mann regelmäßig in deutsche Städte und war auf der La Demence in Brüssel, da wollte ich schon immer Mal hin. Man weiß ja nicht was nächstes Jahr ist.“ Mit seinem Verein Organspende Sundern e.V. setzt er sich heute dafür ein, die Themen Organspende und Organtransplantation für Jedermann transparent mit Informationen darzustellen.


Info

Eine Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung von 2018 sind 84 Prozent der Bürger in Deutschland bereit zu spenden, aber nur 36 Prozent haben diesen Willen offiziell in Form eines Organspende Ausweises festgehalten.

Zahlen und Fakten: 2018 gab es bundesweit 955 Organspenderinnen und Organspender. Das entspricht 11,5 Organspenden je eine Million Einwohner. Spanien kam bereits 2017 auf den vierfachen Wert. von

Dass man in seinem Leben ein Spende Organ benötigt, ist deutlich höher, als selbst Spender zu werden. Wie kommt das? Es sterben jährlich 400 000 Patienten, allerdings setzt bei nur etwa einem Prozent ihnen, der Hirntod vor dem Herzstillstand ein.

Weitere Informationen:
www.organspende-info.de (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung)
www.dso.de (Deutsche Stiftung für Organspende)

Auch Interessant

Neues Duschvergnügen

Gestalte dein Bad neu

Wie heißt es doch so treffend in diesem alten Schlager? Ein neues Bad ist wie ein neues Leben – oder so ähnlich...
GESELLSCHAFT

Trauer im Frühling

Draußen blüht alles und alle um einen herum feiern das Leben, während man selbst in tiefer Trauer vergraben ist...
Titel

Gesunde Haustiere

Auch bei unseren geliebten Haustieren gilt: Vorsorge ist besser als Nachsorge. Und auch wenn der Gang zum Tierarzt weder Hund, Katze oder gar ...
Titel

Tiere und Ernährung - Was futtern?

Sie sind echte Familienmitglieder und manchmal auch die besten Freunde: Unsere geliebten Haustiere. Damit Hund, Katz & Co. möglichst lange ein ...
Gut vorbereitet für 2024

Fitness-Trends 2024

New Year, New Me? Um mit Motivation und Begeisterung daran zu gehen, den Weihnachtsspeck loszuwerden und den Evergreen-Vorsatz in die Tat ...
Gut vorbereitet für 2024

Wohlfühltrends 2024

Wohlbefinden & Wohnen – diese beiden Begriffe sind inzwischen symbiotisch geworden, denn die eigenen vier Wände müssen inzwischen diversesten ...
Gut vorbereitet für 2024

Gesund essen im neuen Jahr

Ein Klassiker unter den guten Neujahrsvorsätzen ist, endlich gesünder zu leben und dazu gehören natürlich auch unsere Essensangewohnheiten.