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Der lange Weg zur Emanzipation

Intersex Awareness Day Der lange Weg zur Emanzipation

km - 10.10.2019 - 10:00 Uhr

Schwule und Lesben haben seit 1969 (Stonewall) einiges erreicht und gewinnen immer mehr an Aufmerksamkeit. Die Transsexuellen haben es in den 80ern geschafft sich neben die Schwulen, Lesben und Bisexuellen einzureihen und so wurde LGB zu LGBT. Inzwischen haben sich noch weitere Buchstaben dazu gesellt und einer davon ist das „I“. Es steht für Intersexualität beziehungsweise Intergeschlechtlichkeit. Statistisch betrachtet ist jede 500. Geburt in Deutschland, die eines intersexuellen Menschen. In Deutschland leben schätzungsweise 160.000 davon. Trotzdem ist es noch immer ein Tabuthema, welches viel zu wenig Aufklärung genießt. Dies führt zu einer Ausgrenzung und Fehlentscheidungen, sowie falschen Umgang mit Betroffenen.  Um die notwendige, dringende Aufmerksamkeit auf diese Thematik zu lenken, gibt es seit 1996 jedes Jahr am 26. Oktober den „Intersex Awareness Day“. SCHWULISSIMO klärt auf.

In der Antike bis ins späte Mittelalter waren Intersexuelle Gottesgeschöpfe und bewiesen die Vielfalt auf Erden. Alte Statuen aus dieser Zeit zeigen, dass auch Götter selbst teilweise beide Geschlechter in sich vereinten. Aufgrund der immer stärkeren Einordnung von Mann und Frau, wuchs die Ausgrenzung gegenüber intergeschlechtlicher Menschen. Inzwischen haben sie kaum sozialen Raum in der Gesellschaft, doch was ist Intersexualität überhaupt?

Im Prinzip handelt es sich um einen unspezifischen Sammelbegriff, der es in den bürgerlichen Sprachgebrauch geschafft hat. Es suggeriert etwas Dazwischen-stehendes oder Uneindeutigkeit. Der in der Antike genutzte Begriff Hermaphrodit oder das negativ gefärbte Wort Zwitter, sind von der Definition genauer. Es bedeutet soviel wie männlich und weiblich, also eine Zweigeschlechtlichkeit. In der Medizin nutzt man die Bezeichnung „somatosexuelle Differenzierungsstörung“. Einfach gesagt ist jemand intersexuell, wenn die Person sich weder als Mann noch als Frau einordnen lässt. Das ist der Fall wenn die Bestimmung kann man das Geschlecht durch die Geschlechtsorgane, -merkmale,-hormone und -chromosomen. Sobald Unterschiedlichkeiten im Bezug auf die Geschlechtsspezifik auftreten, spricht man von Intersexualität.

Dabei ist der Mensch am Anfang erstmal weiblich. Für die Entwicklung der weiblichen Sexualität sind keine weiteren Impulse nötig. Männlich wird der Mensch erst wenn die maskulinen Anlagen die femininen unterdrücken, das bedeutet das die männliche Entwicklung komplizierter und störanfälliger ist.

Hanne Odiele, ein intersexuelles Model, äußerte sich in der Öffentlichkeit zu ihren Operationen als Kind: „Ich verstehe nicht, warum etwas repariert werden muss, das nicht kaputt ist.“

Der Lange Weg zur Emanzipation

Medizinisches Vorgehen
Um eine Zuordnung zu schaffen, Krebsrisiken zu minimieren oder Kindern ein normales Leben zu ermöglichen, ohne Ausgrenzung und Mobbing in der Schulzeit, werden Operationen nach der Geburt vorgenommen. In den Leitlinien von 2003 wurde festgehalten,  dass dieser Eingriff am besten innerhalb der ersten sechs Monate stattfinden sollte.

Allerdings wurde diese Vorgehensweise immer häufiger kritisiert und als Verletzung der Menschenrechte dargelegt. Daher wurden die Leitlinien 2005 geändert und auch der Deutsche Ethikrat legte sieben Jahre später nach und empfehlen das nicht die Eltern und Ärzte, sondern das Kind selbst entscheiden sollte, sobald es alt genug ist. Auch andere Ärzteverbände raten inzwischen von rein kosmetischen Operationen ab und empfehlen Eingriffe nur noch dann, wenn sie medizinisch wirklich notwendig sind.

Man könnte also meinen das Problem sei gelöst oder zumindest unter Kontrolle, aber eine Studie von der Ruhr Universität Bochum aus diesem Jahr beweist das Gegenteil. Von 2005 bis 2016 sind die Zahlen von normangleichende Operationen an Genitalien von Kindern in nicht-einwilligungsfähigem Alter konstant geblieben. Im Schnitt gibt es 1.871 feminisierende oder maskulinisierende chirurgische Eingriffe pro Jahr.
 

Geschlechtliche Anpassung von Neugeborenen

Wie erklärt sich diese Zahl und welche Schäden tragen die zugeordneten Kinder im späteren Leben davon?
Dipl.-Psychologe Knut Werner-Rosen äußerte sich dazu im „Dokument lesbisch-schwuler Emanzipation Nr.22“. Er arbeitet in seiner Praxis mit intersexuellen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Nach der Geburt eines intersexuellen Kindes wird er hinzugezogen, um die Eltern zu betreuen und zu beraten.

Seiner Meinung nach sind die Eltern nach der Konfrontation mit der Situation ihres Kindes geschockt und überfordert: „Im subjektiven Erleben verschmelzen die beiden Ereignisse – die Konfrontation mit der Intersexualität und die Konfrontation mit der Möglichkeit einer Geschlechtszuweisung – zu einem unentwirrbaren Gefühlsmix, der nicht selten auch nach Jahren nicht entwirrt ist. Für die Behandlungsstrategie und für die Wahrung der Interessen des Kindes lautet die Frage: Wer kann Korrektiv dieser Allianz von Eltern und Ärzten sein? Soweit ich sehe, hat einzig die Psychologie dazu die Kompetenz. Was in der pädiatrischen Onkologie Standard ist – eine umfassende Versorgung der Familien durch Psychologen, Sozialarbeiter, Ergotherapeuten etc. – fehlt völlig bei Intersexualität.“

Das erklärt die konstanten Zahlen und das führt zu Menschen, die nicht sie selbst sein können, weil sie gar nicht wissen, was mit ihnen los ist. Die kaputt durch die Operationen und die hormonelle Behandlung sind. Es fehlt an fachlicher Aufklärung und psychologischer Betreuung.

„Betroffene Kinder und Jugendliche teilen mir direkt oder indirekt mit, dass ihre Eltern nicht klar und offen sagen, was mit ihnen wirklich los ist. Irritierende Botschaften erhalten sie meist aus ihrem Umfeld (z.B. Schule, Peers); Zufallsfunde von Krankenberichten im Kleiderschrank sind keine Seltenheit. Es herrscht eine erstaunliche Unkenntnis der Betroffenen – auch älterer – über ihre geschlechtlichen Besonderheiten. Wenn Eltern reden, dann reden sie über körperliche Symptome, Behandlungsnotwendigkeiten etc. und sagen „das Gleiche wie die Ärzte“.

Dipl.-Psychologe Knut Werner Rosen hat eine klare Haltung bei der Elternberatung: „Die Frage einer Geschlechtskorrektur solange heraus zu schieben, bis die Eltern besonnen, reflektiert und getragen von elterliche Liebe diese Frage überhaupt entscheiden können.“

Aber abgesehen von den Eltern, wie geht es den Betroffenen die nicht operiert wurden, bedeutet das eine bessere Lebensqualität?

„Ich kenne Menschen, die nicht operiert wurden, weder in frühkindlichem Alter noch in der Pubertät, und sie kommen mit diesem Teil der Besonderheit anscheinend ganz gut zurecht. Weswegen sie meine Hilfe aufsuchen, ist in erster Linie ihre Beziehungsunfähigkeit, Mangel an zwischenmenschlichem Vertrauen, Bindungsprobleme, also Probleme, die zumeist aus einer fehlgeleiteten Eltern-Kind-Beziehung resultieren.“

Zusammenfassend kann man also feststellen, dass operierte nicht nur körperliche Schäden, sondern auch psychologische davon tragen. Es sollte der Fokus auf die Betreuung der Eltern gelegt werden, damit diese eine ethisch bessere Entscheidung treffen können und ihr Kind genauso behandeln wie ein weibliches oder männliches Kind. Letzteres wird auch durch die Gesellschaftliche Akzeptanz gestärkt, die dann zu einem besseren sozialen Leben für Betroffene führt. Bindungs- und Beziehungsprobleme könnten so Einhalt geboten werden.

Rechtliche Regelung
Zwei Tage vor Weihnachten 2018 wurde in Deutschland das Personenstandsgesetz geändert. Auslöser war die Klage der Intersexuellen Person „Vanja“, die ein Jahr zuvor vom Bundesverfassungsgericht stattgegeben wurde. Die Änderung erlaubte nun Intersexuelle Neugeborene als „divers“ einzutragen und damit wurde offiziell das dritte Geschlecht ins Personenregister aufgenommen. Menschen die falsch eingetragen wurden, können das nun richtig stellen. Es ist ein Stück Akzeptanz und Zugehörigkeit. Wenn ein Mensch beides ist und auf eine Sache festgelegt wird, bedeutet dies das man ein Teil von sich aufgeben oder ignorieren musste.

Aber nicht nur im Kreis der Betroffenen ist diese Regelung eine wichtige Bedeutung, auch der Rest der Gesellschaft ist Teil dieser Neuerung. Unternehmen mussten ihre Stellenausschreibungen auf Diskriminierung überprüfen und das dritte Geschlecht mit aufnehmen. Durch die Involvierung in den Sprachgebrauch wird es über die Firmen auch an die Bürger gereicht. Das sorgt für ein Bewusstsein und kann im Idealfall die Akzeptanz steigern. Aber vor allem verliert Intersexualität dadurch den Tabu Status, da es fester Bestandteil in der Verfassung ist und in die Köpfe der Menschen gespült wird.

Also teilt jedem die Bedeutung von „diverse“ mit, wenn sie aus Unwissenheit darüber sprechen wie unnötig das doch sei.

Fazit
Im letzten Jahr wurde ein großer und extrem wichtiger Schritt getan. Ein Schritt der längst überfällig war. Das bedeutet aber wie so oft in der LGBTI*-Community noch lange nicht, das man sich jetzt zurücklehnen kann und sich auf den Erfolg ausruht. Jetzt wo ein rechtliches und auch gesellschaftliches Bewusstsein geschaffen ist, müssen die Betroffenen zu Wort kommen. Nur so kann ein Verständnis und ein Raum für weitere Diskussion wie zum Beispiel chirurgische Eingriffe bei intersexuellen Babys ernsthaft geführt werden. Emanzipation ist ein leider viel zu langer Prozess der Akzeptanz, Bildung und gegenseitiges Verständnis voraussetzt. Um das zu bekommen muss man viel diskutieren, aufklären und auf friedliche Art und Weise immer weiter kämpfen.

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