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Felix Martin lebt offen mit AIDS // © Felix Martin

Im Interview Abgeordneter Felix Martin lebt offen mit AIDS

js - 02.12.2018 - 07:00 Uhr

„Meine erste Bezugsperson war Freddie Mercury“

Bei der hessischen Landtagswahl hat der 23-jährige Felix Martin (Bündnis 90/Die Grünen) aus dem Werra-Meißner-Kreis ein Mandat errungen. Er ist nun nicht nur einer der jüngsten Abgeordneten im Wiesbadener Landtag, sondern deutschlandweit auch einer der weniger Politiker, die von AIDS betroffen sind und offen damit leben. Felix hat sich Zeit genommen um mit uns über seine politischen Ziele und sein Leben mit AIDS zu reden.

Man findet selten junge Menschen, die sich politisch so stark engagieren, wie du. Was glaubst du woran liegt das?

Ich glaube das liegt daran, dass politische Strukturen häufig total festgefahren und nicht transparent sind. Manchmal braucht es richtig lange, bevor aus einer guten Idee dann Realität wird und ich erlebe viele junge Menschen, die sich eher projektbezogen einbringen, die auch gar nicht so Lust auf Partei-Arbeit haben. Vielleicht auch daraus resultierend, dass Partei-Arbeit bei vielen Parteien erstmal heißt, du musst 20 Jahre lang Bratwürste beim Sommerfest des Ortsverbandes XY verkaufen, bevor du die Möglichkeit hast mal konstruktiv deine Meinung einzubringen. Eine unserer Aufgaben muss es sein, das zu ändern. Bei den Grünen war es zum Glück noch nie so, vielleicht weil wir als Partei insgesamt noch gar nicht so alt sind.

Also hast du keine Würstchen verkauft?

(lacht) Nein, ich habe keine Würstchen verkauft. Das klingt total blöd, aber das passende Beispiel sind auch immer Flyer verteilen, Plakate aufstellen. Da sind junge Menschen immer sehr gerne gesehen. Oder auch sich bei einer Versammlung hinter die Kandidierenden zu stellen, damit es insgesamt jünger aussieht. Bei uns ist das etwas anders, wir haben sehr viele junge Kandidat*innen zur Landtagswahl. Nun sind wir eine sehr große Fraktion, fünf davon sind unter 30. Das ist eine grandiose Quote. Auch hier vor Ort gibt es viele junge Menschen, die im Stadtparlament sitzen, oder im Kreistag.

Wie hast du dich nach der Landtagswahl gefühlt? Du bist ja nun einer der Jüngsten im Wiesbadener Landtag.

Der Wahlabend war natürlich ganz besonders, es war eine bombastische Stimmung. Ich war im Landtag am Wahlabend und wir konnten es nicht so richtig fassen. Die Wahlprognosen zeigen ja praktischerweise immer auch gleich dazu, wie viele Menschen dann tatsächlich im Landtag sitzen und aufgrund dessen, dass die CDU so ein schlechtes Ergebnis hatte, aber so viele Wahlkreise gewonnen hat, sitzen ja nun nochmal deutlich mehr im Landtag, als wir ursprünglich, anhand der Umfragen, glauben hätten können. Insofern ist es wirklich etwas, das man erstmal fassen muss. Ich komme nun so ganz langsam in der Realität an. Wir haben festgestellt, dass ich der zweitjüngste bin. Der jüngste ist der Lukas. Wir beide sitzen dann in Zukunft rechts und links neben dem AfD-Opi in der Konstituierenden Sitzung. Ich vermute, dass wir ihm dann auch zeigen dürfen, wie es richtig geht. Die Jüngsten machen ja immer die Protokoll-Führung und der Älteste den Alters-Präsidenten und leitet die Sitzung. Es ist komisch, weil sich für mich nun so viel verändert. Ich bin auf der Suche nach einer neuen Wohnung, schaue nach einem Büro, überlege, was mir bei meinen Mitarbeitern wichtig ist und wie es mit meiner Ausbildung weiter geht.

Wie sehen deine politischen Ziele aus?

Das sind jede Menge, aus total verschiedenen Bereichen. Grundsätzlich ist erstmal sehr wichtig, dass wir die Erde so hinterlassen, wie wir sie auch gerne vorfinden würden. Also das wir für die nachkommenden Generationen die Erde lebenswert erhalten. Stichwort: Klimaschutz und Umweltschutz, aber auch Verkehrswende. Wir müssen dafür sorgen, dass man auch die Möglichkeit hat den Bus zu nehmen. Also nicht nur davon reden, sondern es auch wirklich umsetzen. Viele Menschen würden gerne die öffentlichen Verkehrsmittel flächendeckend nutzen, aber sie kommen von einem kleinen Dorf, wo außer den Schulbussen nichts fährt. Da gibt es noch eine ganze Menge zu tun. Ich möchte mehr junge Menschen in die Politik holen. Es ist nicht so, dass sie kein Interesse haben. Nein, sie müssen sich nur einbringen können, ohne erstmal am Bratwurststand zu stehen. Und es sind natürlich auch queere Themen, die mir wichtig sind und die ich voranbringen will.

Wie war deine Reaktion, als du die Diagnose AIDS bekommen hast?

Mir ging es körperlich damals wahnsinnig schlecht. Ich lag im Krankenhaus, als ich das erfahren habe. Wochen und Monate zuvor hatte ich immer wieder starke Husten-Anfälle und damals dachte ich an Keuchhusten oder sowas in die Richtung. Ich hatte keine Zeit und keine Lust zum Arzt zu gehen und habe mir eingeredet, dass das mit Hustensaft irgendwann schon wieder weggeht. Es ging natürlich nicht wieder weg und meine Mutter hat mich dann irgendwann zum Arzt geschleift, der uns ins Krankenhaus geschickt hat. Ein paar Tage später kam dann auch schon die Diagnose, es war eben kein einfacher Keuchhusten, sondern es war die Lungenentzündung, die man bekommt, wenn man an AIDS erkrankt ist. Also genau die Lungenentzündung, an der die Leute früher gestorben sind. Wir haben ja heute zum Glück die Möglichkeit, dass die HIV-positiven Menschen, dank Therapie, keine körperlichen Einschränkungen mehr haben. Das war bei mir ganz anders und dementsprechend war die Stimmung der Menschen um mich herum auch ganz anders. Die dachten, dass es mit mir nun bald vorbei ist. Ich muss zugeben, dass ich zum damaligen Zeitpunkt auch nicht das umfangreichste Wissen über HIV hatte. Meine Mutter machte den Fehler und hat gegoogelt und bei meinen Medikamenten den Beipackzettel gelesen. Da steht zum Beispiel Diabetes als Nebenwirkung drauf. Ich lag dann erstmal drei Wochen im Krankenhaus und als ich entlassen wurde, hatte ich zehn Kilo weniger an Gewicht. Die ersten politischen Termine nahm ich am Krückstock meiner Oma wahr. Wäre es eine weniger extreme Situation gewesen, wäre ich aber vielleicht weniger in die Offensive gegangen. Dann hätte ich mich eventuell weniger dafür eingesetzt und weniger über das Thema gesprochen.

Hat die Diagnose dein Leben verändert oder gar deine Denkweise über das Leben?

Ich kann alles genau so machen, wie ich es vor der Diagnose konnte, ich spüre keine Einschränkungen. Jetzt kann man nochmal den Unterschied zwischen HIV und AIDS herstellen, aber ich habe ja nun mal AIDS und nicht „nur“ HIV, aber ich empfinde mich nicht als krank. Dazu habe ich noch das Glück, dass ich meine Medikamente sehr gut vertrage. Die Diagnose hat aber auf jeden Fall meine Denkweise ein Stück weit verändert, meine Herangehensweise an das Leben. Ich ertappe mich ganz häufig dabei, dass ich Kämpfe, die ich früher geführt hätte, also auf verbaler Ebene, dass ich die mittlerweile nicht mehr führe, wenn ich weiß, es bringt nichts. Dafür stürze ich mich aber mit meiner ganzen Kraft auf die Kämpfe, die wirklich auch Potential haben, etwas zu verändern. Ich gehe bewusster mit meiner Kraft um.

Warum gibt es deiner Meinung nach so wenig Menschen mit HIV oder AIDS in Führungspositionen?

Angst. Es gibt diese Menschen definitiv, aber sie haben Angst. Das kann ich teilweise auch verstehen. Ich verstehe jeden, der Angst davor hat, das öffentlich zu machen, weil man einfach Angst vor Nachteilen hat. Das kann beruflich definitiv einen Nachteil bedeuten. Ich habe das zum Glück überhaupt nicht gespürt. Weder politisch oder beruflich, noch privat. Ich habe mit ganz vielen Menschen zu tun gehabt, die mir den Rücken gestärkt haben. Ich kann es ein Stück weit aber auch verstehen, denn man verbindet mit solchen Krankheiten ja jemanden, den man kennt beispielsweise. Jeder kennt irgendjemanden, der an einer bestimmten Krankheit litt und den er dann immer mit dieser Krankheit verbindet. Meine erste Bezugsperson war Freddie Mercury. HIV ist nicht mehr die gleiche Krankheit wie vor 30 Jahren. Es hat sich sehr viel getan in der Medizin. Die eingefallenen und ausgemergelten Gesichter von Menschen mit HIV, gibt es heute nicht mehr.

Möchtest du unseren Lesern noch etwas sagen?

Ich habe immer ein bisschen Bedenken, dass die Leser denken, ich sage das mit dem erhobenen Zeigefinger. Nach dem Motto: „Ich mach es doch auch, stell dich nicht so an und oute dich auch.“ Aber ich glaube das ist die falsche Herangehensweise. Jeder muss für sich selbst schauen, an welcher Stelle das einen Sinn macht und wo nicht. Wann fühlt es sich richtig an? Man sollte es sich nicht so leicht machen und es einfach komplett ignorieren, sondern sich ganz bewusst ab und zu fragen, macht es Sinn? Will ich das? Und wenn nein, warum nicht?

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