Krisen in Langzeitbezeihungen Jenseits von Hollywood-Happy-End: Wie gehen schwule Paare mit schweren Zeiten um?
Seit vielen Jahren hält sich in der schwulen Community die Aussage, dass man die Beziehungszeit bei Homosexuellen in Hundejahren rechnen müsse, also mal sieben, um wirklich ermessen zu können, wie außergewöhnlich dies sei. Studien der letzten Jahre sind sich einig darin, dass sich die Mehrheit der Homosexuellen eine Beziehung wünscht. Gleichzeitig boomt der Markt über von Ratgebern, die uns erklären, mit welchem System wir den perfekten Partner finden und wie wir dann auf ewig glücklich mit ihm sein können.
Krise als Tabu?
In der Gay-Community kommen dabei immer wieder gerne noch Aspekte wie offene Beziehungen, Verbindungen mit mehr als zwei Partnern oder anderweitig individuell gestaltete Beziehungsmodelle jenseits der klassisch heterosexuellen Norm mit hinein. Wir reden über Freiheit, sexuelle Wünsche, Sehnsüchte und Gemeinsamkeit – und eher ungern über all die Probleme, die es mitunter auch in Langzeitbeziehungen geben kann. Manches wird stillschweigend toleriert, anderes ausdiskutiert.
Doch wie haben Beziehungen zwischen schwulen Männern auch dann Bestand, wenn wirklich schwierige Probleme auftauchen? Depressionen, Krankheiten, existenzielle Krisen? SCHWULISSIMO wollte es genauer wissen und fragte nach bei Hannes und Benjamin, einem schwulen Paar aus Mitteldeutschland, das sich seit über siebzehn Jahren kennt und seit zehn Jahren fest zusammen ist.
Benjamin, Hannes, erst einmal Danke für das Gespräch. Warum ist es gerade in schwulen Beziehungen offenbar vielerorts immer noch so ein Tabu, über Krisen und Probleme offen zu sprechen?
Benjamin: Ich glaube, das hat ganz oft mit den eigenen und mit fremden Erwartungen zu tun. Schwule Langzeitbeziehungen sind wohl immer noch etwas Besonderes, vielleicht auch einfach nur deshalb, weil in der Regel schwule Männer sehr frei ihre Beziehungen definieren können und selbst gemeinsam entscheiden können, was wollen wir und was nicht. Es gibt kein heterosexuelles Rollenmodell und, wenn wir ehrlich sind, auch keine hochgesteckten Erwartungen vielerorts im Freundeskreis. Ich kenne schwule Bekannte, die Wetten darauf abschließen, wie lange eine neue Beziehung im Freundeskreis hält. Schafft es dann allen Unkenrufen ein Paar trotzdem, langfristig zusammenzubleiben, haben die irgendwann so einen Goldstatus inne, sie sind, zumindest von außen betrachtet, besonders. Ich kenne einige Jungs, die auf Männer in Langzeitbeziehungen neidisch sind. Da kommt also durchaus Druck von außen, ob man den nun zulässt als Paar oder nicht. Auf der anderen Seite will man auch vielleicht selbst allen beweisen, dass man nicht zu den Paaren gehört, die sich auseinander leben, also verschweigt man Probleme gerne einmal.
Hannes: Wir haben beide gemerkt, dass wir das ziemlich doof finden, dieses Verhalten, aber auch davon geprägt wurden, teilweise sogar unbewusst. Selbst in unserem heterosexuellen Freundeskreis und bei unseren Familien waren wir plötzlich irgendwann das schwule Vorzeigepaar, das beweist, dass Schwule nicht alle sexuell fixiert und unfähig sind, eine „ernsthafte“ Beziehung einzugehen. Wir wehren uns gegen dieses Denken, aber es wäre gelogen zu sagen, es existiert nicht.
Benjamin: Und dann gibt es auch solche im Bekanntenkreis, die fest davon ausgehen, dass eine schwule Langzeitbeziehung gar nicht wirklich funktioniert und die beiden Partner nur zusammenbleiben, damit sie eben nicht alleine sind. Also so eine Art Notfall-WG gegen Einsamkeit. Kurzum, es gibt da viele Klischees, die herumschwirren, innerhalb wie außerhalb der schwulen Szene, und ich denke, viele Männer schweigen dann, wenn es Probleme gibt.
Warum habt ihr euch für das Gegenteil entschieden?
Hannes: Weil wir ehrlich sein und gleichzeitig zeigen wollten, wie wichtig unsere Beziehung ist – ich werde mit Benjamin auch weiterhin eine Beziehung haben, ich liebe ihn und nichts wird das ändern können. Keine Krankheit, keine Krise, keine sexuellen Geschichten. Wir sind auf so vielen Ebenen miteinander verbunden, wir haben den gleichen Humor, wir sind der gleiche Typ Mensch. Wir haben uns bewusst dazu entschieden, dass dieser andere Mann der Mensch ist, mit dem wir durchs Leben gehen wollen. Nicht aus Frust oder Mangels anderweitiger Möglichkeiten, sondern weil wir erkannt haben, wie wertvoll und wichtig uns dieser Mensch ist. Weil wir ihn lieben. Und das auch in Krisen.
War das immer für euch beide klar oder habt ihr auch einmal daran gezweifelt?
Benjamin: Natürlich gibt es Momente, in denen es Zweifel gab, bei mir definitiv. Das lag aber nicht an Hannes, sondern an mir und meiner Krankheit. Ich habe seit meiner Jugend Depressionen, immer wieder. Sie kommen und gehen. Ich war auch schon bei vielen Ärzten, ich habe Tabletten genommen, Therapien gemacht, manches hat geholfen, manches nicht. Das ist bei mir auch ein Stück weit abhängig von äußeren Faktoren, beispielsweise auch der Jahreszeit. Und ja, es gab da Augenblicke, da fragst du dich, ob dein Partner das wirklich mitmachen will? Ob du nicht willst, dass er sich jemand anderen sucht, mit dem er es leichter hat als mit dir. Ich habe also nicht an ihm gezweifelt, nicht einmal an uns, sondern eher daran, ob ich ihm nicht ein anderes Leben wünschen würde.
Hannes: Wir haben lange darüber gesprochen, immer wieder. Und ich glaube, was uns beiden wirklich geholfen hat, selbst in schwierigen Momenten, war der Humor. Wir haben immer wieder dahin zurückgefunden, auch an schwierigen Tagen. Und wir haben beide gelernt, dem anderen auch seinen Raum zu lassen. Du musst akzeptieren als Partner, dass du nicht alles machen kannst, du kannst nicht immer da sein, du kannst es nicht immer besser machen. An machen Tagen versinkt dein Mann in Dunkelheit und du kannst nur da sein, ihm Nähe und eine Umarmung anbieten, wenn er das will.
Benjamin. Das ist wirklich etwas, das mir extrem geholfen hat. Ich habe manchmal einfach nur seine Hand genommen und gesagt: Du bist da. Und in diesen drei Worten lag ganz viel Herz, all meine Gefühle, jede Dankbarkeit, alles. Er wusste das. Ich musste nicht mehr sagen. Und gleichzeitig hat er mir gezeigt, dass ich auch krank sein darf – und er trotzdem da ist. Ich denke, für mich war und ist das das Wichtigste, was der Partner geben und sagen kann. Und inzwischen funktioniert das wechselseitig.
Hannes, du bist Jahre später auch an Depressionen erkrankt, dazu kam eine sehr schwierige Familiensituation – und dann noch der überraschende Tod deiner besten Freundin. Wie kommt man da in einer Beziehung durch?
Hannes: Durch Ehrlichkeit. Und, ja, auch Humor, immer wieder. Lachen hilft selbst da. Bei mir kam damals sehr viel zusammen, ich steckte in einem furchtbaren Job fest, der Chef war ein mieser, manipulativer Kerl, mit dem ich eigentlich auch privat befreundet war. Er triggerte damals all die Punkte, mit denen ich schon in meiner Familie jahrzehntelang gekämpft hatte – mein Vater hat mir immer eingeredet, ich bin nichts wert. Und irgendwann glaubst du das. Alles, was du machst, ist nicht gut genug. Meine Homosexualität war da nur ein Punkt von vielen. Die wurde seinerseits lange geheim gehalten, angeblich, um mich vor negativen Reaktionen anderer zu schützen – schlussendlich würde ich sagen, um sein Image nicht zu beschädigen. Er war damals ein sehr angesehener Jurist. Ich musste auch erst ganz tief mental fallen, hatte ein komplettes Burn-Out, war ein Jahr in Therapie und konnte gar nichts machen, bevor ich langsam verstanden habe, wer ich bin, was ich kann, was gut an mir ist. Es ist ein enormes Geschenk, da einen Menschen an deiner Seite zu haben, Benjamin, der dich liebt, wie du bist – der nicht da sein müsste, wenn er nicht will und der trotzdem da ist. Heute würde ich sagen, dass wir beide dadurch, dass wir Depressionen erlebt haben, uns besser in den anderen hineinversetzen können. Wir beide wissen vom jeweils anderen, dass er da ist, wenn wir ihn brauchen. Und manchmal reicht es und hilft es, wenn du nachts aufwachst und hörst, da liegt jemand neben dir – und der geht nicht weg. Ich muss heute nicht alles sofort erklären, ich muss nicht all meine Gefühle sofort verbalisieren, aber ich weiß, da ist jemand, mit dem ich das kann, wenn ich es brauche.
Benjamin: Wir haben natürlich im Laufe der Jahre auch so eine besondere Zweisamkeit gefunden, wir wissen, wie wir den anderen auch ein wenig aus dem Loch herauskitzeln können, ihn auf neue Gedanken bringen können. Auch das ist eine Besonderheit. Vielleicht sei aber noch einmal erwähnt, wir sind jetzt nicht beide ständig depressiv. Ich habe längere Perioden als Hannes. Hannes hat vieles sehr gut aufgearbeitet, da kommt dieses Dunkel vielleicht alle paar Monate für einen Tag über ihn und dann ist wieder gut. Wir leben also auch ein „normales“ Beziehungsleben jenseits von Krisen.
Wieso war es euch wichtig, darüber auch im Freundeskreis zu reden?
Hannes: Zum einen, weil sehr viele darunter leiden, Ängste, Depressionen, emotionale Probleme ganz unterschiedlicher Art, Zwänge – und gerade unter Schwulen sich viele nicht trauen, offen darüber zu reden. Es kommt natürlich auch immer auf den Kreis der Freunde an, aber gerade in den Großstädten gibt es schon eine große spaßorientierte Szene, wo eine gewisse Oberflächlichkeit nahezu verbietet, auch mal ernste Themen anzusprechen. Schnell wirst du zum Spielverderber. Zum anderen möchte ich mehr Ehrlichkeit zeigen, dazu gehört auch, beispielsweise ein Treffen abzusagen, weil es mir oder Benjamin nicht gut geht. Kommt selten vor, aber ich will, dass das akzeptiert wird und zwar genauso als würde ich sagen: Jungs, ich habe mir heute das Bein gebrochen. Das ist deswegen so enorm wichtig, nicht nur, weil es endlich dieses Tabuthema auch in der Szene auf den Tisch holt, sondern weil es auch zeigt, dass Langzeitbeziehungen auch mit Krisen umgehen können, es muss nicht immer alles Sonnenschein und perfekt sein. Wenn wir das weiter in der schwulen Community wie so oft zur Seite schieben, was senden wir eigentlich für ein grausames Signal an alle anderen aus? Eine schwule Beziehung hält nur, wenn alles super läuft, bei der ersten Krise kommt die Trennung? Und ein schwuler Partner ist nur solange gut, solange er topfit ist, ansonsten muss er ausgewechselt werden wie ein kaputtes Küchengerät? Ich weiß nicht, warum wir uns das in der Community immer noch so oft selbst antun.
Hannes, Benjamin, vielen Dank euch zwei für das Gespräch.
Hier gibt es Hilfe
Bei psychischen oder anderweiten emotionalen Problemen sowie auch bei Depressionen oder beispielsweise Angststörungen, versuche, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Das können Freunde oder Verwandte sein. Es gibt aber auch eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen du dich melden kannst. Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern sind 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222.
Mit Beratung steht dir auch der Coming Out Day Verein via Messenger oder E-Mail unter www.coming-out-day.de zur Seite. Weiterhin gibt es von der Telefonseelsorge das Angebot eines Hilfe-Chats. Außerdem gibt es die Möglichkeit einer E-Mail-Beratung. Die Anmeldung erfolgt – ebenfalls anonym und kostenlos – auf der Webseite. Informationen findest du unter: www.telefonseelsorge.de