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LGBTI* in der TV-Werbung
Rubrik

LGBTI* in der TV-Werbung Warum werden wir als Publikum nicht ernst genommen?

ms - 23.12.2022 - 15:00 Uhr

Grundsätzlich ist es eine schöne Entwicklung, die in den vergangenen Jahren auch auf dem deutschen Werbemarkt zu sehen war – immer häufiger tauchen homosexuelle Menschen, gleichgeschlechtlich liebende Paare oder auch queere Personen in der TV-Werbung auf, gerade jetzt kurz vor Weihnachten ist ein erneuter Anstieg zu verzeichnen. Ein Aspekt, der allein durch seine ständige Wiederholung ein Stück weit auch zu Akzeptanz und Gleichberechtigung beitragen kann, schlicht deswegen, weil ein schwules Männerpaar beispielsweise keine “absonderliche Kuriosität“ mehr darstellt. Jetzt zeigt sich allerdings: So richtig glücklich mit der Darstellung von LGBTI*-Menschen in der Werbung ist eine knappe Mehrheit der Community nicht.

Knapp daneben ist auch vorbei

Zwar befürworten laut einer Gallup-Umfrage von 2021 viele LGBTI*-Menschen, dass sie auch immer mehr ein integrativer Teil von TV-Werbung sind, vor allem junge Homosexuelle und queere Personen wünschen sich das besonders stark, allerdings empfinden sehr viele LGBTI*-Zuschauer die gezeigten TV-Spots oftmals als unauthentisch und unaufrichtig. Für das Fachblatt The Wallstreet Journal ist klar, dass viele Unternehmen hier die Chance verpassen, LGBTI*-Menschen als dauerhaften und wichtigen Teil ihrer Kundenbasis zu festigen. Nach dem Motto: Knapp daneben ist auch vorbei.

LGBTI*-Menschen sind kritischer

Dabei sind LGBTI*-Personen offenbar nach Auswertung des Branchendienstes auch kritischer im Umgang mit TV-Werbung und achten sehr genau darauf, ob das öffentlich zelebrierte Image auch der tatsächlichen Firmenpolitik entspricht – Stichwort Pinkwashing. Wenn Unternehmen nur in den Pride-Sommermonaten oder im Fernsehen Werbung mit gleichgeschlechtlichen Paaren fahren, dabei selbst aber eine interne Firmenpolitik abseits von Toleranz und Vielfalt pflegen, scheint das für die Mehrheit der LGBTI*-Menschen nicht nur einfach ein großes Problem zu sein, sondern in der Konsequenz auch für das Unternehmen langfristig Folgen zu haben – es landet als Lügner am medialen Pranger und der nächste Shitstorm ist nicht weit.

Unwissenheit über homosexuelle Lebensrealität

In anderen Fällen habe sich gezeigt, dass zwar versucht worden sei, beispielsweise eine homosexuelle Lebensrealität darzustellen, offenbar aber niemand vorab zu Rate gezogen worden war, der tatsächlich fundiert und kompetent über die gelebte Wirklichkeit von schwulen Paaren hätte aufklären können. Die Werbekampagnen liefen ins Leere, weil sie ein Bild von Homosexualität zeigten, das nichts mit dem tatsächlichen Alltag von Schwulen zu tun hatte.  Ein weiterer Aspekt ist die Frage darum, wie und ob sich ein Unternehmen anderweitig noch engagiert – finanziert eine Firma zum Beispiel andere Vereine, Clubs oder Organisationen, die als LGBTI*-feindlich gebrandmarkt sind, verläuft selbst die beste queere Werbestrategie ins Nichts.

Bewusster Rückzug aus dem LGBTI*-Markt

Allerdings kann dieses, durchaus auch überkritische Verhalten der queeren Community dazu führen, dass sich immer mehr Unternehmen bewusst ganz wieder aus dem LGBTI*-Markt zurückziehen. Am Ende könnte das so wieder zu mehr Unsichtbarkeit für alle LGBTI*-Personen führen. Angriffe auf Unternehmen würden oftmals vorschnell, sehr laut, übertrieben und von allen politischen Seiten stattfinden, sobald eine Marke auch nur den vermeintlich kleinsten Fehltritt begehe, so Gillian Oakenfull, Professorin für Marketing an der Farmer School of Business der Universität Miami. Viele Geschäftsführer wollen sich das dann gar nicht mehr antun und das Minenfeld LGBTI* gar nicht erst angehen, selbst wenn sie grundsätzlich LGBTI*-freundlich eingestellt sind.

Immer mehr Zuschauer erleben TV-Homosexualität positiv

Positiv an den Studienergebnissen, erhoben von Disqo Inc., ist allerdings, dass sich 93 Prozent aller Zuschauer inzwischen ganz selbstverständlich an eine LGBTI*-Figur in einer Werbung in diesem Jahr erinnern konnten. 2021 lag der Wert noch bei 80 Prozent. Die Sichtbarkeit von LGBTI*-Menschen nimmt also definitiv stark zu. Jetzt bedarf es nur noch besserer Werbung und ein Heraustreten aus der Nische, in die viele Werbetreibende der alten Schule gerade auch Homosexuelle noch immer stecken.

"Unsere kulturelle Bedeutung übersteigt sogar unseren beträchtlichen Anteil an der Bevölkerung. Und doch stehen wir in Marketinggesprächen selten im Mittelpunkt", so Kate Wolff, Gründerin und Geschäftsführerin der Marketingagentur Lupine. Und Sarah Kate Ellis, Geschäftsführerin der LGBTI*-Organisation GLAAD gibt zudem zu bedenken: "Viel zu oft werden wir erst hinzugezogen, um eine Idee zu unterschreiben, die bereits fertig ist, nur um dann auf Bereiche hinweisen zu müssen, die schädlich oder stereotyp sind." Es gibt also noch immer viel zu tun, wenn es um Sichtbarkeit von LGBTI*-Menschen im Fernsehen geht.

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