Direkt zum Inhalt
Schottische Selbstbestimmung
Rubrik

Schottische Selbstbestimmung Britische Regierung will Gesetz möglicherweise stoppen

ms - 23.12.2022 - 08:30 Uhr

Das schottische Parlament hat gestern Abend mit 86 zu 39 Stimmen das neue Selbstbestimmungsgesetz beschlossen – entgegen dem mehrheitlichen Wunsch der Bevölkerung, die das neue Gesetz mit rund 60 Prozent ablehnt. Befürworter hingegen feiern das neue Gesetz als “bedeutenden und historischen Schritt“ für die Gleichberechtigung von Trans-Menschen in Schottland. Die britische Regierung hat in einem ersten Statement bereits angedeutet, das Gesetzvorhaben in dieser Form stoppen zu wollen.

Umstritten

Selten war ein Gesetzesvorhaben in Schottland so umstritten, insgesamt waren im Vorfeld über 150 Änderungsanträge eingereicht worden. Immer wieder kam es auch zu Demonstrationen seitens von diversen Frauenschutzorganisationen. Zuletzt hatte eine Abgeordnete diese Woche noch versucht, einen Passus ins neue Gesetz einarbeiten zu lassen, der es Sexualstraftätern verbieten sollte, von dem Gesetz Gebrauch machen zu dürfen – die schottische Regierung lehnte dies ab. Auch viele nationale sowie internationale Medien hatten immer wieder Regierungschefin Nicola Sturgeon scharf kritisiert, sie würde das Gesetz durchpeitschen wollen und dabei keinerlei, aus Sicht der Medien auch berechtigte Kritik zulassen. Mehrere Regierungsabgeordnete hatten ebenso dagegen protestiert, die Ministerin für Gemeinschaftssicherheit Ash Regan trat aufgrund dessen von ihrem Amt zurück.

Details zur Selbstbestimmung

Das neue Gesetz sieht vor, dass es für einen Geschlechtswechsel keiner medizinischen oder therapeutischen Diagnose der Geschlechtsdysphorie mehr bedarf. Zudem müssen Trans-Menschen nicht mehr wie bisher zwei Jahre vor dem Antrag im gewünschten Geschlecht gelebt haben, es reichen drei Monate beziehungsweise sechs Monate bei Minderjährigen. Das Mindestalter für eine Geschlechtsanpassung in allen Dokumenten wird auf 16 Jahre gesenkt. 

Lob und Tadel

Shona Robison, Kabinettsministerin für soziale Gerechtigkeit, Wohnungsbau und Kommunalverwaltung, erklärte nach der erfolgreichen Abstimmung: "Die Rechte von Transsexuellen stehen nicht in Konkurrenz zu den Rechten von Frauen, und wie so oft können wir die Dinge für alle verbessern, wenn die Diskriminierten als Verbündete und nicht als Gegner auftreten.“ Kritik kam von Seiten der Opposition wie beispielsweise der schottischen Konservativen Rachael Hamilton, die erklärte, das Gesetz zeige "das Parlament von seiner schlechtesten Seite." Kurz nach der Abstimmung im schottischen Parlament, dem sogenannten Holyrood, waren mehrere Frauen von der Besuchertribüne aufgestanden und hatten “Schämt euch!“ in den Saal geschrien. 

Was sagt Großbritannien?

Mit Spannung blicken sowohl Gegner wie Befürworter jetzt nach London. Das Gesetzesvorhaben bedarf der schriftlichen Zustimmung seitens König Charles III. Die britische Gleichstellungsministerin Kemi Badenoch erklärte, dass das Vorhaben für Chaos sorgen würde, da es dann unterschiedliche Regelungen im Vereinigten Königreich geben würde. Badenoch bestand im Vorfeld bereits darauf, dass es mehr wissenschaftliche Fakten geben müsse, bevor ein solches Gesetz mit dieser Tragweite umgesetzt werden würde. Zudem sprach sie sich dafür aus, das Mindestalter hochzusetzen. Ihre Vorgängerin und kurzzeitige spätere Premierministerin Liz Truss hatte die Reform des bisherigen, sogenannten Gender Recognition Acts ganz gestoppt. Nur Stunden nach der Verabschiedung des neuen Gesetzesvorhabens in Schottland kündigte so die britische Regierung nun auch an, das Vorhaben höchstwahrscheinlich zu blockieren, bevor es in Kraft tritt.

Sicherheitsbedenken für Frauen und Mädchen

Im Vereinigten Königreich hat die britische Regierung die Möglichkeit, zu verhindern, dass ein Gesetz aus Schottland an den König übergeben wird – ohne Unterschrift seitens Charles III. ist das Gesetz nicht rechtskräftig. Alister Jack, der zuständige Minister für Schottland in der britischen Regierung, erklärte noch am selben Abend: "Wir teilen die Besorgnis vieler Menschen hinsichtlich bestimmter Aspekte dieses Gesetzentwurfs und im Besonderen den Sicherheitsbedenken für Frauen und Mädchen." Wie in anderen Ländern ebenso hatten auch in Schottland mehrere nationale Frauenverbände erklärt, sie befürchten durch das neue Gesetz den Wegfall von wichtigen Schutzräumen für Frauen und minderjährige Mädchen.

Auch Interessant

Ist das Coming-Out out?

Der neue Trend der queeren Gen-Z

Ist das Coming-Out out? Veraltet sei es, so einige junge queere Aktivisten, die sich lieber ein “Inviting-In” wünschen - aber was ist das genau?
Haftstrafe für Neonazi

Attentatspläne auf Community

2022 wurde ein schottischer Extremist gefasst, nun endlich folgte die Verurteilung. Der Neonazi wollte LGBTI*-Menschen "mit Blut bezahlen" lassen.
Schutz für LGBTI*-Jugendliche

Paris Hilton feiert neue US-Gesetz

Jahrelang hat sich Paris Hilton für einen besseren Schutz von Jugendlichen in Heimen eingesetzt, jetzt wurde das Gesetz im US-Kongress verabschiedet.
Schwulenhass in Michigan

Attentat auf Homosexuelle geplant

In einer Massenschießerei wollte ein 22-Jähriger Amerikaner so viele Homosexuelle wie möglich töten, durch Zufall konnte er vorab verhaftet werden.
Krisenmodus Weihnachten

US-Verbände warnen vor Problemen

US-Gesundheitsexperten warnen vor einer Krise: Ablehnung im Kreis der Familie erleben LGBTI*-Menschen besonders stark zur Weihnachtzeit.
Appell an Joe Biden

Queere Verbände gegen Militärgesetz

Queere Verbände kritisieren scharf das neue Bundesgesetz des US-Militärs: Werden Militärangehörige und ihre Regenbogenfamilien künftig diskriminiert?
Kritik an der Drogenpolitik

Zu wenig Zusammenarbeit landesweit

Es gibt erste positive Schritte, doch insgesamt zu wenig Zusammenarbeit bei der Drogenpolitik. Ein rapider Anstieg von Überdosierungen ist denkbar.
Gewalt in Berlin

Attacken auf LGBTI*-Menschen

Die Gewalt in Berlin gegen LGBTI* nimmt weiter zu: Über 90% der mutmaßlichen Täter sind junge Männer, die Opfer sind zumeist Schwule und Bisexuelle.