Rückschritt für LGBTI* in England? Britische LGBTI*-Community blickt mit Sorge auf die Neuwahl des Premierministers
Seitdem Premierminister Boris Johnson zähneknirschend seinem Rücktritt scheinbar zugestimmt hat, sucht seine Konservative Partei, die Torys, händeringend nach einem passenden Nachfolger – darunter auch mehrere Kandidaten, die aus Sicht der LGBTI*-Community ein mehr als düsterer Rückschritt sein könnten. Die meisten nominierten Personen sprechen sich beispielsweise gegen mehr Rechte für trans-Menschen aus, einige Kandidaten wollen sogar Aspekte wie die gleichgeschlechtliche Ehe erneut zur Diskussion stellen. Momentan haben der Ex-Finanzminister Sunak, Handels-Staatssekretärin Mordaunt und Außenministerin Truss die Nase im Rennen um das Amt in der Downing Street 10 weit vorne. Endgültig wird darüber erst Anfang September via Briefwahl aller Parteimitglieder entschieden, bis dahin bangt die britische LGBTI*-Community und fragt sich, was wohl auf sie zukommen wird.
Jetzt meldete sich dabei auch die ehemalige Premierministerin Theresa May zu Wort und forderte die Regierung auf, keineswegs Rückschritte bei den LGBTI*-Rechten zu machen. Explizit bekräftigte sie dabei auch, dass das geplante Verbot von Konversionstherapien auch “Heilungsangebote“ an trans-Personen einschließen müsse. Der bisherige Premierminister Johnson hatte dies in einem ersten Schritt verneint, um zunächst juristische Bedenken klären zu lassen, beispielsweise bei der Frage, ob Ärzte dann noch ohne Probleme eine trans-Selbstdiagnose bei Jugendlichen kritisch hinterfragen dürften. In diesem Punkt stimmen viele Kandidaten der Torys Johnson zu. LGBTI*-Aktivisten hingehen demonstrierten im Frühjahr mehrfach für die Inklusion von trans-Personen. Auch bereits die landesweite LGBT-Umfrage aus dem Jahr 2017 hatte gezeigt, dass sich die Briten einen offeneren Umgang mit der LGBTI*-Thematik wünschen. Darauf bezugnehmend erklärte May jetzt gegenüber Pink News: "Wir können sehen, dass sich das Land weiterentwickelt hat. Ich möchte nicht, dass die Regierung jetzt einen Rückzieher macht. Ich denke, dass in den letzten 50 Jahren seit dem ersten Pride-Marsch viel erreicht worden ist, aber es gibt noch mehr zu tun!“
Bei der jüngsten Sitzung im britischen Parlament zeigte sich indes einmal mehr, dass auch abseits der Diskussion um die Konversionstherapie Großbritannien in puncto LGBTI* immer größere Versäumnisse offenbart. Jüngst weigerte sich die Regierung beispielsweise auch, Hunderte von LGBTI*-Flüchtlingen aus Afghanistan aufzunehmen – ein Verhalten, welches von LGBTI*-Aktivisten scharf kritisiert worden war. Eine ganz ähnliche Untätigkeit im Umgang mit queeren Menschen aus Afghanistan werfen Vereine wie der Lesben- und Schwulenverband Deutschland seit Monaten auch der Ampel-Koalition vor. Für Großbritannien erklärte auch Anneliese Dodds von der Labour-Partei, sie habe "zu viele Rückschritte" gesehen, während die Nation "vorwärts gehen" müsse. Immerhin sei das Vereinigte Königreich 2014 einmal die Nummer eins in der Rangliste der LGBTI*-freundlichsten Orte in Europa gewesen - jetzt sei das Land auf Platz 14 abgerutscht, so Dodds. Und John Nicolson, ein Abgeordneter der Schottischen Nationalpartei (SNP), erklärte: "Ich bin definitiv besorgt über die Entfesselung von Kulturkriegen in der Regierung!“ Es werden spannende und anstrengende Wochen für die LGBTI*-Community bis zur neuen Wahl eines Premierministers in Großbritannien.