Direkt zum Inhalt
Ampel-Koalition verlängert Antragsfrist um fünf Jahre
Rubrik

§175: Entschädigung für Opfer verlängert Entschädigung bisher schleppend: Nur rund 250 Anträge bewilligt

ms - 10.06.2022 - 10:00 Uhr

Die Ampel-Koalition hat sich dazu entschlossen, die Frist für die Entschädigungszahlungen an homosexuelle Opfer des ehemaligen §175 um fünf Jahre verlängern zu wollen. Das Kabinett beschloss nach Information des Bundesjustizministeriums eine entsprechende Formulierungshilfe für die Koalitionsfraktionen.

Bundesjustizminister Marco Buschmann erklärte dazu: "Wir wollen es Betroffenen auch weiterhin ermöglichen, ihre berechtigten Ansprüche auf eine Entschädigungszahlung geltend zu machen. Mir ist es wichtig, dass wir den Betroffenen diesen Weg weiterhin offenhalten. Das ist Ihnen der Rechtsstaat schuldig." Das früher geltende Verbot einvernehmlicher sexueller Handlungen hat Menschen bestraft, allein weil sie einen Menschen des gleichen Geschlechts liebten. Das hat bei den Betroffenen viel Leid verursacht und ganze Leben zerstört. Diese strafrechtliche Verfolgung war aus heutiger Sicht grobes Unrecht."

Das Bundesjustizministerium schätzt die Zahl der noch lebenden Opfer auf rund 5.000 Menschen und hat daher insgesamt 30 Millionen Euro veranschlagt. Bisher wurden in den letzten fünf Jahren gerade einmal rund 250 Antrage mit einer Gesamtzahlung von rund 870.000 Euro bewilligt. Die First für eine Antragsstellung wäre ohne die jetzt geplante Verlängerung Mitte Juli ausgelaufen. Warum sich bisher so wenige Homosexuelle gemeldet haben, kann nur spekuliert werden. Ein Erklärungsversuch legt nahe, dass viele betroffene Opfer vielleicht immer noch nicht mitbekommen hätten, überhaupt antragsberechtigt zu sein. Zudem wird spekuliert, dass viele Homosexuelle bis heute eine tiefe Scham über das Geschehene verspüren. Der Paragrafen 175 wurde 1871 eingeführt und stellte “widernatürliche Unzucht“ zwischen Männern unter Strafe. Die Verschärfung des Gesetzes erfolgte unter dem Nazi-Regime. Nach Ende des Krieges bestand der Paragraf fort und wurde bundesweit erst 1994 ganz gestrichen. Im Dritten Reich wurden aufgrund des §175 bis zu 50.000 homosexuelle Männer inhaftiert. Nach Ende des Krieges wurden weitere, rund 53.000 schwule Männer nach §175 verurteilt.

Das Recht auf Entschädigungszahlungen wurde im Juli 2017 beschlossen. Das Gesetz sieht dabei Zahlungen von 3.000 Euro (je aufgehobenes Urteil) und 1.500 Euro (je angefangenes Jahr erlittener Freiheitsentzug) vor. Auf den Missstand in puncto geringer Antragsstellungen hatte der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken, Jan Korte, aufmerksam gemacht und die Bundesregierung im Frühjahr aufgefordert, die Möglichkeit für eine Antragstellung durch eine Gesetzesänderung um zehn Jahre zu verlängern: „Mit einer Verlängerung der Antragstellungsmöglichkeiten und einer öffentlichen Kampagne können alle Antragsberechtigten erreicht werden und es würde ein starkes Zeichen für die Gegenwart gesetzt, dass der Staat diese Menschenrechtsverletzung tatsächlich aufarbeitet, die Entschädigung als Schuldeingeständnis ernst meint und heute aktiv gegen Queerfeindlichkeit eintritt."

ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE

Auch Interessant

Die digitale Gefahr

Gefährdungslage für Jugendliche

Corona ist längst vorbei, doch für LGBTIQ+-Jugendliche sind digitale Anfeindungen noch immer Alltag, vor allem auch sexuelle Attacken.
Neue Kritik an der FIFA

Appell von queeren Verbänden

Queere Verbände wollen nun mittels einer Petition die Fußballmeisterschaft 2034 in Saudi-Arabien verhindern und rufen zum Boykott auf.
Späte Rache

High Noon im Lehrerzimmer

Rache wird am besten kalt serviert? Das dachte sich wohl eine ehemalige lesbische College-Schülerin, die sich nun für den Job ihres Peinigers bewirbt.
Keine Lust auf Jobs vor Ort

Gen-Z setzt besondere Prioritäten

Streaming während der Arbeitszeit im Home Office? Für die junge queere Generation denkbar - aber auch sinnvoll oder nicht?! Experten sind sich uneins.
Schwulen Rückenansichten

Amüsante Spekulationen in den USA

Amüsante Spekulationen: Die US-Presse fragt sich derzeit, ob in Caspar David Friedrichs Bildern eine homoerotische Komponente mitschwingt.
Bedenken bei E-Patientenakte

Kritik von LSVD+ und Aidshilfe

Ende April kommt die E-Patientenakte bundesweit. Bedenken aus der queeren Community wurden kaum ausgeräumt, so LSVD+ und Hamburger Aidshilfe.
Forderungen an die EU

Pride-Verbot in Mitteleuropa

Wann und wie reagiert die EU auf das Pride-Verbot in Ungarn? Mehrere EU-Parlamentarier fordern jetzt ernsthafte Konsequenzen seitens der EU.
Neue Fälle der Dating-Masche

Opfer aus Hessen und Österreich

Erneut wurden zwei Schwule Opfer der Dating-Masche, die mutmaßlichen Täter sind junge Männer. Die Taten geschahen in Wiesbaden und Wien.
"Wir verlieren dadurch an Akzeptanz"

Kritik von Valerie Wilms

Die vermutlich erste trans* Frau im Deutschen Bundestag, Valerie Wilms, übt Kritik am Selbstbestimmungsgesetz sowie an den Grünen.