Anders Amen (Ellen und Steffi) „Uns wurde vorgeworfen, dass wir Pinkwashing betreiben“
Ellen und Steffi sind zwei Dorfpastorinnen, miteinander verheiratet und haben vor zwei Jahren den YouTube Kanal „Anders Amen“ gestartet. Mit ihren Vlogs nehmen sie ihre Zuschauer mit in ihren Alltag und das mit großem Unterhaltungswert sowie einer guten Portion Sympathie. An der Bar laden sie spannende Gäste auf einen Gin ein. Thematisiert werden dabei aktuelle Themen. In ihren Q&A's (zu deutsch Fragen und Antworten) wird genau das gemacht, was man unter dem Namen vermuten würde – Fragen beantwortet. Außerdem spielen sie auch noch und nehmen Let’s Plays auf.
SCHWULISSIMO hat mit Ellen über das gemeinnützige Projekt und die Kirche gesprochen.
Die Idee zum Projekt „Anders Amen“ kam euch zu Beginn von Corona. Wie war das genau?
Die Idee kam tatsächlich schon vor dem Beginn der Pandemie. Nämlich zu der Zeit, als man noch gemeinsam auf Partys gehen durfte. Wir waren in Frankfurt bei einem Empfang einer kirchlichen Einrichtung. Dort haben Steffi und ich dann die Leute vom EKN (Evangelischer Kirchenfunk Niedersachsen-Bremen) getroffen. Es gab Apfelwein, den man erst nach dem fünften gut erträgt und dementsprechend haben wir rumgesponnen. Und so ist dann die Idee zu „Anders Amen“ entstanden.
Apfelwein klingt gut – so war es immerhin keine Schnaps-Idee. Was ist das Besondere an „Anders Amen“?
Das ist schwer zu beantworten, denn wir sagen über uns selbst, dass wir eben ganz normal sind – also das Gegenteil von besonders. Aber vielleicht ist genau das wieder das Besondere? Wir sind keine Topmodels, wir legen keinen Wert auf Selbstoptimierung, wir sind keine Beauty-Expertinnen. Wir sind tatsächlich einfach nur zwei Dorfpastorinnen, die eben miteinander verheiratet sind. Komischerweise haben wir direkt am Anfang festgestellt, dass sich Menschen wirklich dafür interessieren. Das hat uns aber eher überrascht.
Ihr seid gemeinnützig – welche Projekte unterstützt ihr?
Prinzipiell unterstützt unsere UG alle Projekte, die irgendwie in dem Bereich „Queer“ angesiedelt sind. Wir planen gerade die erste Ausschüttung und mit dieser wollen wir Menschen unterstützen, die – sagen wir mal – nicht nur gesegnet damit sind, dass sie queer sind, sondern eben auch Hürden überwinden müssen.
Wie passt Religion/Kirche und Queerness zusammen?
Naja, je nachdem wen man fragt, passt es so überhaupt nicht zusammen, zumindest wurde uns das immer wieder gesagt – von Menschen aus der Kirche, sowie aus der LGBTI*-Community.
Religion ist etwas Allumfassendes, was sich an alle Menschen wendet und ebenso findet sich Queerness bei allen Menschen auf dieser Welt – von daher passt es einfach zusammen. Für uns ist es inzwischen so eine Frage wie: „Wie passt es zusammen, dass du braune Haare und braune Augen hast?“ Die Frage stellt sich für uns nicht mehr.
Stand euer Job und eure Sexualität sich jemals im Weg?
Ich glaube ganz am Anfang war es bei Steffi so als sie noch studiert hat, dass sie sich vorgestellt hat eines Tages zehn Kinder und einen Mann zu haben. Das war ein festes Bild, was sie wohl irgendwo aufgeschnappt hatte. Da hatte sie auf jeden Fall mit zu kämpfen als sie mich kennengelernt hat. Aber es war nicht so, dass uns das für den Beruf im Weg stand. Wir haben damals in Berlin studiert und selbst die Kirche in Berlin hatte 2009 schon kapiert, dass es da deutlich mehr gibt als heterosexuelle Partnerschaften.
Ihr schreibt auf eurer Website: „Ihr ‚queer sein’ vergessen Ellen und Steffi manchmal – weil es für sie so normal ist.“ – was erinnert euch denn wieder daran?
(lacht) Ich glaube, dass was einem am meisten daran erinnert ist, wenn man Menschen korrigiert. Wenn man sagt: „Ich muss nach Hause, wir haben Kinderübergabe“ und die Person dann antwortet: „Ja, lassen Sie ihren Mann nicht warten.“. Da korrigiere ich dann und sage “Nene, meine Frau“. Dann kommt von der anderen Seite dieses typische „… ah, eh, ja also wir haben auch die Cousine meines Mannes – also die ist auch …“. An diesen Reaktionen merkt man häufig, dass es eben queer ist – also gegen den Mainstream.
Auf was seid ihr am meisten stolz in Bezug auf das Projekt „Anders Amen“?
Es gibt tatsächlich Menschen, denen wir damit etwas Gutes getan haben und das macht uns am meisten stolz. Uns haben Menschen geschrieben, die extrem verletzt worden sind von Vertreter*innen der Kirche und dadurch die Beziehung zu Gott verloren haben. Durch uns haben sie sich zurück auf den Weg zu Gott gemacht und das macht uns extrem stolz. Wir haben gemerkt, dass wir einen Dienst für Gott erfüllen.
Für was seid ihr der Kirche und eurem Job dankbar?
Der Kirche sind wir in erster Linie dankbar, dass sie uns nie gestoppt hat. Das muss man ganz ehrlich sagen, denn wir sind sicher das ein oder andere Mal über die Strenge geschlagen. Denn wir experimentieren und probieren uns immer wieder aus. Wir sind der erste kirchliche Kanal mit so einer Reichweite auf YouTube und hatten nie jemanden an den wir uns wenden konnten und um Rat fragen konnten – zumindest niemanden aus der Kirchen-Bubble. Ich glaube da hat uns die Kirche auch viel Spielraum gegeben und dafür bin ich dankbar. Die Kirche unterstützt uns in der Arbeit soweit, dass für uns eine offizielle Stelle geschaffen wurde und wir seit Januar YouTube-Pastorinnen sind.
Gab es Kritik aus Kirche oder der LGBTI*-Community und wie sah die aus? Wie geht ihr mit Kritik um und hat sich der Umgang mit Kritik im Laufe der Zeit verändert?
Ja, es gab Kritik von beiden Seiten. Aus der LGBTI*-Community hat sich der lang angestaute Kirchenhass entladen und uns wurde vorgeworfen, dass wir Pinkwashing betreiben oder das wir uns nur anbiedern wollen. Ebenso kam aus der Kirche Kritik, dass es doch nicht sein kann, dass wir die neue Norm darstellen können. Zudem gibt es leider eine kleine, aber sehr laute Minderheit in der Kirche, die der festen Überzeugung ist, dass Queerness die pure Sünde ist. Wir sind da in einem Graubereich, dass wir weder zu der einen noch zur anderen Gruppe gehören – zumindest wenn man von den Hardlinern ausgeht.
Wenn diese Plattitüden kommen und wir das schon tausendmal gehört haben, prallt das an uns ab. Das lassen wir gar nicht erst an uns ran. Anders ist es, wenn die Kritik wirklich darauf aus ist, in den Austausch zu gehen – dann nehmen wir uns das auch wirklich zu Herzen.
Wir können ja auch Fehler machen, uns nicht politisch korrekt ausdrücken, Gefühle verletzten oder uns nicht richtig informieren. Wenn wir zum Beispiel als zwei Cis-Frauen über das Thema trans sprechen, kann das mal passieren und dann ist so ein Austausch, eine Kritik und eine Richtigstellung wichtig.
Was wünscht ihr euch sollte jede*r LGBTI* über die Kirche wissen bzw. welche Fehlinformation über die Kirche sollte vergessen werden?
Es wäre glaube ich schon gut, wenn man weiß, dass es zwei sehr große Kirchen gibt, von der die eine einen Papst hat und die andere demokratisch organisiert ist. Der Papst hat mit uns evangelischen Christ*innen nichts zu tun, außer das wir natürlich wissen, dass es ihn gibt. Wir arbeiten demokratisch. Das sorgt auch dafür, dass wir uns nicht gut darstellen können, weil wir nicht den einen großen, deutschen Zampano haben, der sich hinstellt und für alle spricht. Bei uns gibt es 20 Flecken, ähnlich wie Bundesländer und in jeder läuft es nun Mal anders ab. Nur weil in Sachsen die Quote der Homofeinde noch wesentlich höher ist, ist sie das in Berlin überhaupt nicht. Deswegen sollte man bei der Kirche durchaus differenzieren, denn es gibt nicht nur die eine Linie.
Und andersrum – was sollte die Kirche über LGBTI* ablegen oder wissen?
Das L nicht gleich L ist und es da Unterschiede gibt. Zudem ist es nicht unser erstes Merkmal. Ich bin nicht in erster Linie lesbisch, wobei ich mich eher als pan definieren würde. Es ist eben EINES unserer Merkmale, die Gott uns geschenkt hat, neben anderen. Das macht es natürlich nicht unwichtig, aber wir stehen eben mit mehr da als mit unserer Sexualität.
Ich hatte vor Kurzem eine Diskussion über den CSD und wurde mit den Plattitüden konfrontiert wie: „CSD ist eh nur Nacktheit und Geilheit und hatte früher vielleicht mal was Politisches, doch jetzt nicht mehr. Überhaupt sind alle Rechte und die Gleichberechtigung längst erreicht. Nicht zu vergessen, die Diskussion über Fetische. Und da dachte ich mir erstens, dass ich müde bin so etwas zu hören und zweitens, dass wir noch weit entfernt sind von einer Normalisierung. Wenn ich sehe, wie viele die Scheuklappen aufsetzen sobald Fetische nur sichtbar gemacht werden, denke ich mir muss die Kirche noch einiges an Vorurteilen und Berührungsängsten ablegen – bzw. kann und muss noch einiges lernen. Besonders darauf bezogen, dass Sexualität etwas ist, dass man durchaus öffentlich feiern kann.
Wie seht ihr ihr die Pläne der Ampelkoalition im Bereich der Queerpolitik und Familienreform?
Wir feiern das! Sei es die Abschaffung des TSG oder das Thema Verantwortungsgemeinschaft. Es steht so viel Gutes im Koalitionsvertrag drin. Ich hoffe, dass der Grundgesetz Artikel 3 wirklich zeitnah angepasst wird und mehr gegen Hasskriminalität getan wird. Man muss am Ende der Legislaturperiode schauen, was wirklich erreicht und umgesetzt wurde, denn es gibt ja auch noch einige Menschen in der Opposition, die nicht so offen wie die Ampel denken.
Was sind eure Wünsche und Hoffnungen für das Jahr 2022?
Dass die Ampelkoalition rockt und alles durchboxt, was sie im Vertrag stehen haben. Ein Ende von Corona wäre wundervoll, mal wieder mit Menschen feiern gehen. Aber wir kommen nicht aus einer schlechten Zeit und wenn es so weitergeht, können wir uns nicht beklagen.
Wie kann man euer Projekt unterstützen?
(Lacht) Wir sind YouTuberin und abhängig vom Algorithmus. Also schreibt Kommentare, liked unsere Videos, schaut sie bis zum Schluss, aktiviert die Glocke – solche Dinge unterstützen uns ungemein.