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Derek Meyer // © Archiv

Kinderwunsch Ich bin schwul und will Vater werden

sr - 10.02.2015 - 09:00 Uhr

Die Entfaltung der Persönlichkeit und die Gestaltung des eigenen Lebens stellen ein erstrebenswertes, wenn nicht sogar das höchste Gut in unserer Gesellschaft dar. Philosoph Erich Fromm etwa sieht in seinem Werk „Haben oder Sein“ die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und der des Mitmenschen als das höchste Ziel des menschlichen Lebens an.

Für die meisten Deutschen sind Karriere und Kinderkriegen Lebensziele, die sie sich unbedingt erfüllen wollen. Auch wenn die Geburtenrate auf einem Allzeittief gesunken ist, ist die Familie laut einer repräsentativen Studie der Stiftung für Zukunftsfragen immer noch für 88% der Deutschen das Wichtigste im Leben. Der Volksmund gibt uns drei Ziele in unserem Leben vor: einen Baum pflanzen, ein Haus bauen und ein Kind in die Welt setzen. Kann man als homosexuelles Paar zwei der drei Punkte mit einem grünen Daumen und den gewissen handwerklichen oder finanziellen Mitteln lösen, so ist man beim Thema Kinder auf die gesetzlichen Regelungen des Staates angewiesen. Mutter Natur hat es leider nicht vorgesehen, dass zwei Männern oder zwei Frauen auf natürlichen Wege Eltern werden können.

Es ist immer ein individuelles und persönliches Gefühl, das uns sagt, dass wir Eltern werden wollen. Schwule und Lesben haben dieses Erstreben genauso wie Heterosexuelle. Lange Zeit galt es als selbstverständlich, dass Homosexuelle das Begehren nach Nachkommen nicht haben. Doch nur weil die biologischen Voraussetzungen nicht gegeben sind, um Kinder zu bekommen, heißt es lange nicht, dass sich diesbezüglich gleichgeschlechtliche Paare von heterosexuellen unterscheiden. Sexualität und der Kinderwunsch sind unabhängig zu betrachten. Es bleibt immer ein individuelles Gefühl und so bleiben einige Paare heutzutage kinderlos, weil sie es für sich so entschieden haben.

Viele Schwule und Lesben haben in der Vergangenheit versucht, den Kinderwunsch zu unterdrücken, weil die Zeugung mit ihrem Lebenspartner nicht möglich war/ist und erst in jüngster Zeit auch zwei Väter oder zwei Mütter als Eltern gesellschaftlich akzeptiert werden. Doch das Tabuthema der Elternschaft unter Homosexuellen scheint immer weiter zu bröckeln. Nicht selten wird beim Kennenlernen oder in den Anfängen von Beziehungen nach dem Kinderwunsch des Gegenübers gefragt. Zur Entfaltung der eigenen Persönlichkeit oder des Lebensweges müssen eben beide Partner ähnliche Ansichten haben. Man kann vielleicht noch nicht von einem „Gayby-Boom“ sprechen, aber bis heute leben einige Tausend Kinder bei homosexuellen Eltern. Gerade für lesbische Paare ist der Weg zum eigenen Kind häufig ein leichterer als für schwule Partnerschaften. Doch welche Wege kann man beschreiten, wenn man schwul ist und Vater werden möchte?

Wie kann man seinen Kinderwunsch realisieren?
Es ist in Deutschland wegen der widrigen Rechtslage immer noch nicht ganz einfach für Lesben oder Schwule Eltern zu werden. Wer schwul, lesbisch oder transident ist und trotzdem den Kindersegen erleben will, der muss mehr tun, als mit seinem Partner Sex zu haben und zu hoffen, dass die Empfängnis geklappt hat. Nicht-heterosexuelle Eltern werden vom Gesetz benachteiligt. Es werden ihnen Adoptions- und Eheansprüche abgesprochen. Dabei setzen sich viele homosexuelle Paare mit der Frage nach einem Sprössling viel intensiver auseinander als manch heterosexuelles Paar. Der Weg für ein gleichgeschlechtliches Paar zum Kind ist nie zufällig. Es besteht immer ein unbedingter Wunsch nach Nachwuchs und es hat immer eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Thema stattgefunden.

Um Elternteil zu werden, gibt es nicht den einen universellen Weg, sondern es ist stets eine individuelle Abwägung. Persönliche Voraussetzungen spielen eine entscheidende Rolle. Bin ich allein oder sind wir ein Paar? Wie alt bin ich und wie ist meine soziale Situation? Wohnort, Beruf und Einkommen bestimmen z.B. das Geflecht der zukünftigen Familie. Aber auch das Umfeld und die eigene Familie können die Situation beeinflussen. Wo ein Wille – und viel Liebe – ist, da ist auch ein Weg. Heutzutage heißt es aber noch, dass immer zwei Personen mit unterschiedlichen Geschlechtern bei der Realisierung des Kinderwunsches beteiligt sein müssen: das halbe Erbgut der Frau und die andere Hälfte vom Mann.

Egal, ob hetero- oder homosexuell, Eltern haben etwas für die Kinder gemeinsam: Sie haben Menschen, die sie (normalerweise) lieben. Sie haben eine Familie. Im gesellschaftlichen Bewusstsein sollten ein beschütztes Zuhause sowie ein liebevoller Umgebung in einer Familie immer bedeutsamer sein als die Umstände, ob ein Paar aus Mann und Frau besteht. Liebe und Fürsorge sind nicht geschlechtsgebunden.

Adoption
Eine Adoption ist in einigen europäischen Ländern, wie Spanien, den Niederlanden, Belgien oder Schweden, erlaubt. Hier können gleichgeschlechtliche Paare heiraten und auch gemeinsam ein Kind adoptieren. In Deutschland dürfen schwul-lesbische Paare nicht zusammen adoptieren – der Weg der Adoption darf nur als einzelne Person stattfinden. Jedoch sind homosexuelle Alleinerziehende praktisch ohne Chance, ein Kind vermittelt zu bekommen. Hohe Auflagen, lange Wartelisten und ein großer Bürokratieapparat machen die Adoption für eine einzelne Person sehr schwierig. Zu viele heterosexuelle Paare warten schon. Die „Vergabe“ von Adoptionskindern ist auch immer eine Entscheidung unter Konkurrenz mit heterosexuellen Paaren. Die rechtliche Lage wird sich wohl unter einer CDU-Regierung in den nächsten Jahren höchstens durch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ändern. Fortschritte in Sachen Homo-Rechten waren zuletzt nur über diesen Weg möglich. Da bleibt nur der Weg, ein Kind aus dem Ausland aufzunehmen, wo die Adoption legal ist. Hierfür werden aber auch häufig viel Warte-Sitzfleisch und hohe finanzielle Mittel benötigt.

Pflegeelternschaft
Eine andere Möglichkeit, Vater zu werden besteht darin, selbst ein Pflegekind aufzunehmen. Generell gilt, dass wenn man ein Pflegekind aufnehmen möchte, nicht verheiratet sein muss. Auch Alleinstehende und unverheiratete oder gleichgeschlechtliche Paare können dies tun. Ein Kriterium für die Pflegeeigenschaft ist das Alter: Wenn das Kind dauerhaft bei den Pflegeeltern untergebracht ist, sollten Eltern und Kind ein entsprechenden Altersunterschied haben. Es sollte zur Entfaltung des Kindes genügend Wohn- und Lebensraum vorhanden sein. Gerade für ältere Kinder ist es sehr wichtig, ein eigenes Kinderzimmer zu haben. Ein sicheres Einkommen, körperliche Belastbarkeit, genügend freie Zeit und der Sinn für Aufmerksamkeit sind für die Aufnahme eines Pflegekindes zwingend notwendig. Auch bei der Entscheidung zur Pflegeelternschaft steht ein langer Weg vor dem Paar: Vom Infoabend bis zur Aufnahme eines Pflegekindes vergehen mindestens neun Monate mit Schulungen und anderen Eignungstests. Aber zum Vergleich doch immer noch kurz: Auf ein Adoptionskind wartet man zwischen zwei und sieben Jahren.

Regenbogenfamilien
Es gibt Lesben und Schwule, die ihren Kinderwunsch durch einen Besuch auf dem anderen Ufer in der heterosexuellen Welt erfüllen wollen. Die Verwirklichung geht dann auf dem natürlichen Wege, also durch Geschlechtsverkehr mit einem heterosexuellen Sexualpartner. Allerdings ist eine Samenspende oder eine sogenannte Insemination auch eine Möglichkeit, auf natürliche Weise ein Nachkommen zu zeugen. Eine Samenspende ist für die schwulen Paare/einen schwulen Mann kein Problem. Um Vater zu werden, fehlt nun eine Frau. In Berlin gibt es sogar eine Agentur, die schwule und lesbische Pärchen zwecks Familiengründung zusammenführt. Solche neue Formen der Regenbogenfamilie (seit 2009 ist das Wort im Duden vermerkt) werden immer mehr Teil der Realität. Bei der künstlichen Befruchtung stellt sich immer die Frage nach den passenden Personen – wer spendet die Eizelle und wer das Sperma? Aber laut Bundesärztekammer kommen alleinstehende Frauen und gleichgeschlechtliche Paare für eine künstliche Befruchtung nicht in Frage. Samenbanken in Großbritannien, Dänemark, Spanien oder den Niederlanden behandeln auch lesbische oder alleinstehende Frauen, weshalb es längst einen regelrechten Fortpflanzungstourismus in diese Länder gibt. Rund 11.400 Kinder lebten nach dem Mikrozensus im Jahr 2004 mit homosexuellen Eltern in Deutschland zusammen. Man schätzt, dass der eigentliche Wert dreimal so hoch liegt.

Soziale Elternschaft
Soziale Elternschaft bezeichnet die Elternrolle von Müttern und Vätern, die diese durch Zuwendung zum Kind und durch die Übernahme von langfristiger Verantwortung für das Kind einnehmen. Im biologischen Sinn sind die Personen, die für ein Kind „Mama“ oder „Papa“ sind, nicht unbedingt die Eltern. Häufig übernehmen Personen die soziale Elternschaft, wenn sie eine Partnerschaft mit einem biologischen oder rechtlichen Elternteil eingehen. Das ist sowohl nach einer Trennung oder nach einem Todesfall und auch als Homosexueller denkbar. Juristisch betrachtet ist diese soziale Elternschaft unerheblich. Da zählt nur, wer auf der Geburtsurkunde steht. Und da stehen eben die biologische Mutter, der biologische Vater oder die Frau oder der Mann, welche das Kind adoptiert haben. Aber in Deutschland ist die freie Entfaltung ein Grundrecht und so schreibt einem niemand vor, wie man leben möchte.

Leihmutterschaft
Zum Thema Leihmutterschaft haben wir Derek Meyer getroffen, der über diesen Weg seinen Kinderwunsch erfüllt hat und im Dezember Vater einer Tochter wurde. Zuvor hatte Derek in London studiert und seit fünf Jahren lebt und arbeitet er in New York. Seitdem er Ende der 1990er Jahre einen Bericht über ein schwules Pärchen aus England gesehen hatte, das über die Leihmutterschaft Eltern geworden war, stand für ihn fest, dass auch er diesen Weg gehen wollte. Der Wunsch nach einem Baby blieb auch bestehen, nachdem er Single wurde. In seiner Autobiografie „Baby, Fame & Inspiration“ (Tredition Verlag) schildert er seine Erfahrungen mit der Leihmutterschaft genauer. Für die SCHWULISSIMO hat er sich die Zeit genommen und unsere Fragen beantwortet.

Derek, du bist Vater einer Tochter geworden und hast dieses Baby über die Leihmutterschaft in Mexiko bekommen. Kannst du uns erzählen, wann der Gedanke entstanden ist, dass eine Leihmutterschaft für dich der richtige Weg ist, um Vater zu werden?
Derek Meyer: Ich habe mir bereits vor 15 Jahren ein eigenes Kind gewünscht und davon geträumt, einen Teil von mir aufwachsen zu sehen. Es wird homosexuellen Paaren und Singles nicht immer leicht gemacht, Kinder zu adoptieren oder in Pflegschaft aufzunehmen. Ich habe mich nach meinem Umzug nach New York mit dem Thema Leihmutterschaft intensiv auseinandergesetzt. Es war immer mein Traum, New York irgendwann einmal zu meinem Zuhause zu machen und nachdem sich dieser 2009 erfüllt hatte, informierte ich mich im kommenden Jahr über die verschiedenen Möglichkeiten, die mir in meiner damaligen Situation zur Verfügung standen, nun auch meinen Vatertraum zu erfüllen.

Was musstest du in deinem Leben auf dich nehmen bzw. in deinem Leben verändern, damit du durch Leihmutterschaft Vater werden können?
DM: Ich habe 2011 die englisch-amerikanische duale Staatsangehörigkeit angenommen, da die Leihmutterschaft in Deutschland gesetzlich verboten ist und ich meinem Kind einen europäischen Reisepass ermöglichen wollte. Ich musste mich auch finanziell sehr einschränken, da sich die Kosten für die Leihmutterschaft auf knapp USD 45.000 belaufen haben. Darüber hinaus habe ich mein Leben bereits im Vorfeld auf das Kind ausgerichtet und in den letzten Jahren sehr ruhig, gesund und bewusst gelebt.

Wie läuft so eine Leihmutterschaft ab bzw. was ist passiert, bis du deine Tochter zum ersten Mal in den Armen halten durftest?
DM: Es ist grundsätzlich wichtig, eine Agentur zu finden, mit der man zusammenarbeiten möchte und natürlich sollte man sich genau überlegen, ob man sich mit dem Land anfreunden kann, in dem das Ganze stattfindet. Meine Agentur hat mir Zugang zu den Profilen von potentiellen Ei-Spenderinnen und Leihmüttern gegeben. Dies sind in der Regel zwei verschiedene Frauen. Ein Anwalt kümmert sich um die rechtliche Seite und die Leihmütter werden während der Schwangerschaft in einem privaten Krankenhaus in Villahermosa betreut. Ich habe während der Schwangerschaft wöchentliche Berichte und Fotos erhalten und war so immer auf dem neuesten Stand. Ich wurde regemäßig darüber informiert, wie es der Leihmutter ging und wie weit sich das Baby bereits entwickelt hat. Es hat mir ungemein geholfen, diese besondere Verbindung zu meiner Tochter seit der Bekanntgabe der Schwangerschaft zu spüren und als sie mir am 27. Dezember in Villahermosa in die Arme gelegt wurde, hat sich das alles einfach toll und natürlich angefühlt.

Gibt es kritische Stimmen aus dem Umfeld oder der Gesellschaft, wenn du darüber sprichst, dass du über die Leihmutterschaft Vater geworden bist?
DM: Ich habe in den letzten Wochen die Erfahrung gemacht, dass sich einfach alle für mich freuen. Meine Tochter ist so ein wunderschönes, aufgewecktes und ausgeglichenes Baby und es scheint ihr an nichts zu fehlen. Ich selbst komme mit meinem Status als Single-Vater auch sehr gut klar. Die Nächte sind natürlich kürzer geworden, aber ich bin voller Energie und wenn meine Tochter am Morgen aufwacht, geht für mich die Sonne auf. Es gab natürlich zu Beginn der Schwangerschaft sehr viele kritische Stimmen und viele Menschen gerade aus meiner alten Heimat konnten nicht verstehen, warum ein alleinstehender, schwuler Mann ein Kind haben wollte. Ich denke, dass man mit diesem Thema ganz offen umgehen muss. Wenn andere sehen, dass man sich auf die Vaterrolle gut vorbereitet hat und diese mit Leidenschaft ausübt, dann zeigen sie irgendwann auch Verständnis und freuen sich für einen. Und wenn ihnen das nicht gelingt, dann muss man einfach akzeptieren, dass man nicht alle Menschen in unserem Umfeld glücklich machen kann.

Aufgrund der Gesetzgebung in Deutschland und in den meisten Teilen von Europa ist Leihmutterschaft verboten. Was sollte die Politik verändern?
DM: Die Politik in Deutschland sollte einfach berücksichtigen, dass es sehr viele Singles und Paare gibt, die einfach wunderbare Eltern wären, gerade weil sie sich so sehr ein Kind wünschen. Deutschland selbst macht es gerade homosexuellen Paaren nahezu unmöglich, Kinder zu adoptieren oder in Pflegschaft aufzunehmen. Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass jeder, der sich als Elternteil gut eignen würde, auch ein Recht darauf haben sollte, eine eigene Familie zu gründen. Das Thema Leihmutterschaft selbst ist in Ländern wie England oder den USA vollkommen legal. Ich würde vorschlagen, dass den schwulen und heterosexuellen Singles und Paaren die Möglichkeit gegeben wird, sich für Leihmutterschaft zu bewerben, ihren Fall vorzutragen und ihre Eignung als Eltern unter Beweis stellen zu können.

Was würdest du anderen Homosexuellen raten, die ebenfalls einen Kinderwunsch verspüren?
DM: Ich bin bereits in sehr jungen Jahren inspiriert worden und habe die Worte eines Mannes, der mir im Leben sehr wichtig war, niemals vergessen. Wir sollten nie mit aller Gewalt versuchen, so zu sein, wie alle anderen auch und stattdessen an unsere Träume und an uns selbst glauben und unsere eigenen Individualisten und Helden sein. Es kann ein langer und steiniger Weg sein, bis man endlich ein Kind hat. Ich würde allen raten, egal ob schwul oder nicht, sich einen Überblick über die Möglichkeiten und die eigenen Bedürfnisse zu machen. Soll es ein eigenes Kind sein oder käme auch eine Adoption oder Pflegschaft in Frage? Der Kinderwunsch ist mit vielen Hoffnungen, Erwartungen aber auch Enttäuschungen verbunden und es kann oft Jahre dauern, bis er sich erfüllt. Aber mein Rat ist, niemals aufzugeben. Wenn man wirklich bereit ist, all diese Opfer zu bringen und vollkommen hinter der Entscheidung steht, dann wird man dieses ganz besondere Glücksgefühl spüren, wenn man sein Kind zum ersten Mal in den Armen hält und wissen, dass es das alles wert war.
 

Dieses Interview hat SCHWULISSIMO mit Derek Meyer im Januar 2015 geführt.

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