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Sefa Küskü // © vvg

Ausgequetscht Sefa Küskü

vvg - 20.04.2025 - 14:00 Uhr

ist ein deutscher Theater-Schauspieler, Autor und Regisseur mit türkischen Wurzeln. In seinen Stücken geht es um die Würde von Minderheiten und marginalisierten Gruppen.

Deine erste Produktion als Regisseur hat den Titel „Homo+“. Warum sucht sich ein Deutscher mit türkischen Wurzeln so ein Thema aus?
Als kleiner Junge habe ich heimlich auf dem Klo Lady Gaga gehört und mit den Barbie-Puppen meiner Schwester gespielt. Ich habe schnell gemerkt, dass ich wohl eher auf der anderen Seite des Ufers schwimme.

Ich habe mich sehr einsam gefühlt. Mit jemandem darüber sprechen war keine Option. Hier haben mir Vorbilder gefehlt: Menschen, die so aussehen wie ich, die ein Leben führen und so fühlen wie ich. Deshalb habe ich mein Regiedebüt diesem Thema gewidmet; queere Lebensrealitäten auf eine ehrliche, ungeschönte Weise darzustellen. Weil ich mir als Jugendlicher gewünscht hätte, zu sehen, dass ich nicht allein bin. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, marginalisierten Gruppen eine Stimme auf der Bühne zu geben.

Es gibt unzählige internationale Filme wie „Brokeback Mountain“, „Call me by your name“, „Aus der Haut“ oder auch „Homevideo“ die sich mit Problemen schwuler Männer beschäftigen. Ist das ein Fortschritt?
Natürlich ist es ein Fortschritt, dass queere Geschichten erzählt werden und solche Filme große Aufmerksamkeit bekommen. Sichtbarkeit ist wichtig. Aber oft stehen in diesen Filmen die Leiden und Konflikte schwuler Männer im Vordergrund: Coming-out-Dramen, tragische Lieben, gesellschaftliche Ablehnung, aber queeres Leben ist mehr als Schmerz und Verzicht. Was fehlt, sind Geschichten, die queere Menschen nicht nur als leidende Außenseiter zeigen, sondern als komplexe, vielschichtige Individuen mit Glück, Erfolg, Alltag und Humor. Wo sind die Geschichten über queere People of Color, über trans oder nicht-binäre Menschen? Über queere Eltern, über queeres Altern? Das sind Perspektiven, die noch viel zu wenig Raum bekommen. Außerdem sind viele dieser Filme von heterosexuellen Regisseur*innen inszeniert und richten sich in ihrer Ästhetik und Erzählweise an ein cis-heteronormatives Publikum. Das ist ein Unterschied zu Geschichten, die von queeren Menschen selbst erzählt werden.

Ein guter Freund von uns wurde von seiner Tante erwischt, verraten und vom Vater halbnackt aus dem Haus geprügelt. Ist das ein Grund dafür, dass schwule Männer türkischer Herkunft panische Outing-Ängste haben?
Ja, natürlich. Wenn du von klein auf hörst, dass Schwulsein "eine Schande" ist, wenn du siehst, wie andere für ihr Outing bestraft werden – dann ist doch klar, dass du Angst bekommst. Das ist keine irrationale Panik, das ist eine realistische Einschätzung dessen, was passieren kann. Gerade in türkischen Familien ist Familie oft alles. Wenn du dich outest, geht es eben nicht nur um dich.

Aber ich will nicht nur die Angst betonen. Es gibt auch Hoffnung, Veränderung und Menschen, die füreinander da sind. Immer mehr queere Menschen mit türkischen Wurzeln finden ihren Weg. Wir existieren – und wir sind nicht allein. Darum geht’s doch, dass wir sichtbar sind, damit queere Kids nicht mehr mit dieser Angst aufwachsen müssen.
 

Sefa Küskü // © vvg

Im Film „Zenne Dancer“ wird ein Türke in Istanbul umgebracht, weil er einen Freund in Deutschland hat. 
Das war schrecklich. Niemand sollte wegen seiner Identität sterben müssen. Niemals. Nirgendwo auf der Welt. Es bricht mir das Herz, dass so etwas immer noch passiert. Das muss aufhören. Möge er in Frieden ruhen. 

„In Liebe“, deiner zweiten Produktion, behandelst du dieses heikle Thema am Ehrenmord der Türkin Hatun Sürücü, die vor 20 Jahren von ihrem Bruder in Berlin erschossen wurde, nur weil sie anders leben wollte, als sie sollte. Warum hat die Familie Probleme mit Freiheit?
Freiheit bedeutet für mich, selbst zu entscheiden, wie ich leben will – ohne Angst, ohne Druck. Aber genau das ist für manche Familien schwer zu akzeptieren. Sie klammern sich an Traditionen, an Kontrolle, an das, was „normal“, „richtig“ und „falsch“ sein soll. Wenn jemand wie Hatun ausbricht, wird das als Bedrohung gesehen. Das Problem ist nicht die Person, die frei sein will – das Problem ist die Angst der anderen davor.

Wir kennen die Autorin von „Henna Mond“, die seit über 30 Jahren in ständiger Angst vor Morddrohungen lebt. Kann man das Ehrenmord-Problem irgendwann aus der Welt schaffen?
Ich will daran glauben, aber dafür muss sich viel in den Köpfen, den Strukturen und den Familien ändern. Solange Kontrolle und Unterdrückung über das Leben von Menschen gestellt werden, bleibt das Problem bestehen. Veränderung passiert nicht von allein, sie muss erkämpft werden. Wir dürfen nicht aufhören, darüber zu sprechen, dagegen anzugehen und betroffenen Menschen Schutz zu geben.

Hattest du jemals ähnliche Ängste?
Natürlich hatte ich Angst. Das geht doch vielen queeren Menschen so. Angst davor, nicht akzeptiert zu werden, etwas Falsches zu sagen oder angreifbar zu werden. Es ist ein ständiges Abtasten. Kann ich hier offen sein? Ist es sicher? Werde ich verurteilt oder sogar bedroht?

Es gab Momente, in denen ich mich gefragt habe, ob ich überhaupt sein darf, ob es Konsequenzen hat, wenn ich ehrlich bin. Diese Angst sitzt tief, weil sie nicht nur aus persönlichen Erfahrungen kommt, sondern auch aus Geschichten, die wir immer wieder hören.

Ich habe gelernt, dass die Angst nicht bestimmen darf, wie ich mein Leben lebe.

Wann hast du dich mit deiner Sexualität auseinandergesetzt?
Sagen wir mal so: Mein „Aha-Moment“ war nicht gerade eine Überraschung. Ich habe es gefühlt, lange bevor ich die Worte dafür hatte. Sobald man begreift, dass nicht jeder Junge heimlich von heißen Filmstars schwärmt, wird einiges klar.

Wie war dein Outing?
Verwirrend, nervenaufreibend, chaotisch, unfreiwillig – und definitiv nicht so filmreif, wie ich es mir gewünscht hätte. Aber hey, am Ende war’s ein Happy End. 

Momentan arbeitest du an deiner dritten Regiearbeit. „Çay“ hat im April Premiere und spielt in Trabzon am Schwarzen Meer, der Heimat deiner Eltern. Geht es zurück an deine Wurzeln?
Irgendwie schon, aber nicht auf die nostalgische Art. „Çay“ ist keine klassische „Rückkehr zu der Wurzeln“-Geschichte, sondern ein Abend voller Fragen, Tee und vielleicht einer kleinen Identitätskrise. Es geht darum, wo ich und viele andere hingehören. Wir sind aufgewachsen zwischen zwei Welten – mit türkischen Eltern und deutschem Alltag, mit Schwarzem Meer und Spaghetti Bolognese in der Schulmensa.

Und genau darum geht’s: um dieses ständige Dazwischen, um die Absurditäten, die damit einhergehen. Es soll gelacht, diskutiert, viel Çay getrunken werden. Und am Ende bleibt die große Frage: Was ist Heimat - ein Ort, eine Sprache, eine Erinnerung? Oder das Gefühl, gleichzeitig verbunden und fremd zu sein?

Du hast in vielen deutschen Städten Theater gespielt, welche Rollen liegen dir am liebsten und wo ist deine Heimat? Und warum?
Ich spiele am liebsten unterwürfige Schwächlinge, die verzweifelt um Anerkennung kämpfen – hat wahrscheinlich irgendwas mit meiner Kindheit zu tun . Ich gebe diesen Figuren gerne eine Stimme. Jedes Mal, wenn ich so eine Rolle spiele, fühlt es sich an, als würde ich den kleinen Sefa an die Hand nehmen und ihm zeigen, dass er nicht allein ist.

Und was Heimat angeht: Meine Wahlheimat ist Köln. Warum? Weil Köln die einzige Stadt ist, in der es völlig normal ist, morgens um 8 Uhr einem Typen im Glitzeranzug zu begegnen, der dir ein „Schatz, dat Leben is schön!“ zuruft – und du einfach weißt: Ja, genau so muss es sein.

Wohnen eigentlich zwei Herzen in deiner Brust? 
Blut ist im Fluss – genau wie mein Leben und meine Gefühle. Mal mehr hier, mal mehr dort, nie wirklich nur eins. Ich bin Schauspieler und Regisseur, Türke und Deutscher, irgendwie dazwischen und doch beides. Manchmal fühlt es sich an, als würde ich ständig zwischen zwei Stühlen sitzen – manchmal aber auch so, als hätte ich doppelt so viele Möglichkeiten.

Wann entstand der Wunsch Schauspieler / Regisseur zu werden?
Als kleiner Junge wollte ich alles Mögliche werden – Popstar, Superheld oder irgendwas mit Medien. Hat ja irgendwie alles mit Schauspiel zu tun.  Der Wunsch kam, als ich das erste Mal auf der Bühne stand. Später habe ich gemerkt, dass ich nicht nur Teil von Geschichten sein will, sondern sie auch selbst erzählen möchte. Deshalb kam die Regie dazu. Definitiv liebe ich beides – auf der Bühne zu stehen und Regie zu führen.

Nach Jahren in Herne lebst du heute in Köln, welche Vorteile bietet dir die Großstadt?
Köln gibt mir Freiheit. Hier kann ich sein, wer ich bin, ohne schief angeschaut zu werden. Außerdem gibt’s mehr Theater, mehr queere Community – und deutlich besseren Kaffee als in Herne

Womit verbringst du deine Freizeit?
Mit Freunden, gutem Essen und der Illusion, dass ich irgendwann mal wirklich entspannen kann – klappt mittelmäßig. Meistens lande ich doch wieder bei neuen Projekten, spontanen Theaterbesuchen oder endlosen Diskussionen über alles und nichts.

Apropos Freunde: Bist du eigentlich Single oder in fester Hand?
Die Sterne stehen gerade gut - mein Herz ist in sicheren Händen.

Wie siehst du generell deine Zukunft – vor allem bei dieser weltpolitischen Lage?
Manchmal stelle ich mir meine Zukunft ganz idyllisch vor – ein kleines Theater, in dem ich Geschichten erzähle, die Menschen bewege, viel Çay trinke und abends nach einer gelungenen Premiere mit meinem Team anstoße. Aber dann schaue ich auf die Welt, und manchmal macht mir die Welt Angst - die politische Lage, die gesellschaftlichen Spaltungen, der wachsende Hass – all das könnte einen lähmen. Aber genau deshalb mache ich Theater. Weil Kunst Räume schafft, in denen wir anders über die Welt nachdenken können – kritischer, empathischer, lauter.

Es gibt eine Zukunft - vielleicht nicht die idyllische, die ich mir ausmale, aber eine, die wir gemeinsam gestalten können.

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