Drag-Queens in Ungarn Die Szene boomt als Reaktion auf Angriffe gegen LGBTIQ+
Trotz des großen Sieges der Community beim Budapest Pride in Ungarn blicken Schwule, Lesben, Bisexuelle und queere Menschen mit Sorge darauf, wie sehr der vermutlich gekränkte Ministerpräsident Victor Orbán in den kommenden Monaten des neuen Jahres bis zur Wahl im April 2026 LGBTIQ+-Menschen angreifen wird. Schon jetzt wird auch queere Kultur immer mehr bekämpft und versucht, die Stimmen zum Schweigen zu bringen. Andererseits wird gerade die Drag-Kunst immer politischer und erlebt einen neuen Boom.
Homophobie auf dem Land
Eine dieser Stimmen ist die Drag-Queen Valerie Divine alias Szabolcs Farkas (35). Seit rund fünf Jahren tritt Farkas in seiner Alter-Ego-Rolle auf, wie er im Interview mit dem News-Portal watson verraten hat. Im „normalen“ Leben arbeitet der junge Mann als Tourguide in Budapest. Im Jahr 2020 wurde er zur Drag Queen Hungary gewählt, da war er 30 Jahre alt. Möglich geworden war auch dies nur durch seinen Umzug von seinem kleinen Heimatort nach Budapest. „In der Gegend, wo ich herkomme, war das einfach kein Thema. Es hätte gar keinen Raum dafür gegeben. Selbst mein Coming-Out als schwuler Mann war schon schwierig genug, auch wenn meine Familie da ganz großartig reagiert hat. Meine Mutter war es sogar, die mich gefragt hat, ob ich schwul sei. Das ist ein großes Glück, das ich habe, viele haben das nicht.“
In die alte Heimat geht der heute 35-Jährige indes selten zurück, trotzdem ist ihm klar, dass Budapest eine Blase sei und völlig anders im Vergleich zum ländlichen Osten, wo Ministerpräsident Orbán bis heute große Zustimmungswerte feiert. Angriffe und Beschimpfungen als „pervers“ habe er allerdings auch in der Hauptstadt bereits erlebt. „In einem Land wie Ungarn, wo LGBTIQ+-Personen von der Regierung immer mehr eingeschränkt werden, wird Drag zwangsläufig auch politisch. Aber für mich und viele meiner Kollegen ist es in erster Linie Kunst und Ausdruck unserer Persönlichkeit. Ich will zeigen, dass Drag mehr ist als eine Gay-Bar-Show, es ist Unterhaltung für alle. Und ich trete inzwischen auch in ´normalen´ Bars auf, nicht nur in queeren Spaces.“ Als seine Vorbilder nennt er so auch neben seiner Mutter bekannte Namen wie Zsa Zsa Gabor, Prinzessin Diana, Cate Blanchett oder Meryl Streep.
Drag als Zeichen des Kampfes
Große Damen also, die für Freiheit kämpften und kämpfen. Und so zeigt sich auch in Ungarn: Je mehr die Community von außen angegriffen wird, desto mehr wächst der Widerstand und die Szene, so Farkas weiter: „Trotz, oder vielleicht gerade wegen des politischen Drucks, ist sie explodiert. Es gibt doppelt oder dreimal so viele Queens, wie noch vor drei Jahren. Die Community hält mehr zusammen, die Shows sind gut besucht und das Publikum ist zu 80 Prozent hetero. Das zeigt: Die Menschen sind bereit, sich auf Drag einzulassen, auch wenn die Regierung etwas anderes behauptet. Die Menschen in Ungarn sind offener, als man von außen denkt und das Problem ist die Regierung, nicht das Volk.“
Und gerade deswegen blickt er sowohl privat wie auch als Drag-Queen Valerie Divine positiv in die Zukunft und betont mit Blick auf junge queere Menschen im Land: „Niemals aufgeben. Und vor allem: Seid ihr selbst. Habt keine Angst, weder vor anderen noch vor euch selbst. Ich weiß, wie lange es dauern kann, sich selbst zu akzeptieren. Ich habe Jahre gebraucht, um mir selbst einzugestehen, dass ich schwul bin. Also: Gebt euch Zeit. Wenn eure Eltern nicht sofort akzeptieren, wer ihr seid: wartet. Die meisten Eltern lieben ihre Kinder und brauchen manchmal einfach länger.“