Leserumfrage Mein VATER und ICH
Wir hatten ein ganz normales Verhältnis zueinander; allerdings war das zu meiner Mutter immer besser, weil mein Vater ja meistens arbeiten war. Er war kein Mensch, dem ich etwas anvertrauen könnte. Kurz bevor sich meine Eltern trennten, habe ich mich geoutet. Meine Mutter hatte das geahnt: mein Vater sagte energisch: „Mein Sohn ist nicht schwul!" verzog sich ins Badezimmer, wo er sich für eine längere Zeit einschloss. Er hatte damit eindeutig ein Problem, und ich zog danach relativ schnell aus.
Heute besuche ich meine Mutter und meinen Vater vielleicht drei Mal im Monat. Ich würde mir wünschen, mal ein ernsthaftes Gespräch mit meinem Vater zu führen. Ich würde ihn fragen, ob für ihn mein Schwulsein okay ist; aber es ist bisher nie zu diesem Gespräch gekommen. Er ist jetzt 75 Jahre alt geworden und das Thema schwul wurde immer ausgeklammert. Ich erinnere mich an ein Erlebnis, als ich noch zu Hause wohnte und heimlich einen Jungen mitgebracht hatte: Als der nachts im Bad stand, wurde er von meinem Vater überrascht. Vor Aufregung und Schock fiel mein Vater fast tot um. Aber es wurde nicht darüber gesprochen. Ich weiß, irgendwann kommt der Tag, wo es ihn nicht mehr gibt und wir nicht mehr miteinander reden können. Die Zeit läuft, aber bisher hatte ich auch nie den Mut, ihn darauf anzusprechen. Ich weiß nicht, wie er reagieren würde, wenn ich ihn frage, ob wir mal ein Bierchen zusammen trinken und miteinander über Dinge reden, die uns beiden wichtig sind. Ich habe es nie versucht, finde es aber wichtig und verspreche, dass ich das in naher Zukunft unbedingt machen werde. Wenn ich es jetzt nicht umsetze, werde ich das irgendwann bereuen.
Arne aus Hamburg
Ich komme ursprünglich aus Freiburg/Unstrut in Sachsen-Anhalt und hatte nie ein enges Verhältnis zu meinem Vater. Meine Eltern haben sich ein halbes Jahr nach meiner Geburt getrennt. Er hat uns manchmal abgeholt und wir haben irgendetwas gemacht und einmal habe ich bei ihm die Sommerferien verbracht, aber da er gearbeitet hat, so haben wir auch da nicht viel miteinander gemacht. In den Arm genommen als Vater hat er mich schon. Als wir noch im Osten lebten, war er liebenswert, als meine Mutter 1999 mit meiner Schwester und mir nach NRW zog - ist er ruppig geworden. Vielleicht hatte er das Gefühl, dass meine Mutter mich ihm entreißt. Seitdem haben wir nur noch sporadisch Kontakt und unser Verhältnis hat sich merklich abgekühlt. Mein Vater ist auch kein Mensch, der gut im Telefonieren ist und wir haben uns nicht viel zu sagen, besucht hat er auch nie. Noch bevor ich mich bei ihm outen konnte, hat er meine Schwester gefragt, ob ich schwul sei. Als ich es ihm persönlich am Telefon sagte, reagierte er sehr unschön mit den Worten: „Früher hätte man Menschen wie dich vergast.“. Heute weiß ich, dass mein Vater auch Rechtswähler ist.
Hätte ich mir einen Vater wünschen können, hätte ich mir gewünscht, dass er zugänglicher wäre und dass er mir irgendwie zeigt, dass er stolz auf mich ist. Ich habe ihn zu seinem 50. Geburtstag besucht und auch auf der Hochzeit von meinem Halbbruder getroffen. Da habe ich bemerkt, dass er sich mit meinem Schwulsein auseinandergesetzt hat. Er hat auch einen schwulen Arbeitskollegen und kann heute besser damit umgehen. So hat er zu mir gesagt: „Du bist mein Sohn und das ist auch gut so.“
David aus Köln
Ich kenne meinen Vater – sprich: Erzeuger – gar nicht, da ich in einer Pflegefamilie aufgewachsen bin und somit einen Pflegevater hatte.
Mir war aber immer bewusst, dass der Mann nicht mein leiblicher Vater war. Meine Pflegeeltern waren schon an die 50 Jahre alt, als sie mich als Baby bekommen haben. Meine Mutter hatte mich abgegeben, weil sie damals mit 20 Jahren, als sie mich bekam, noch nicht volljährig war und mich somit nicht behalten durfte.
Natürlich habe ich schon sehr früh mitbekommen, dass andere Kinder meine „Eltern“ als Oma und Opa bezeichneten, was mich schon sehr verletzt hat. Ich hörte auch oft, dass mich andere Eltern als Bastard bezeichneten; eine Bezeichnung für Kinder, die nicht in einer intakten und verheirateten Familie geboren wurden. Und sie sagten es so, dass ich das mitbekam. Da habe ich mich immer geschämt, obwohl ich gar nicht wusste, wofür eigentlich.
Allerdings hätte ich mir damals schon gewünscht, dass meine Pflegeeltern jünger gewesen wären. Schon aus Gründen, dass ich mit ihnen nicht über Dinge reden konnte, wie es gleichaltrige Kinder mit ihren Eltern tun konnten. Als ich in die Pubertät kam wurden sie krank und über gewisse Dinge sprach man damals nicht. Als ich 16 war, sind beide Pflegeeltern gestorben – aber sie hatten sich immer sehr um mich gekümmert. Mein Pflegevater war ein sehr liebevoller Mensch, so dass ich einen Vater oder eine männliche Bezugsperson nicht wirklich vermisst habe. Mit 17 hatte ich meine eigene Wohnung und konnte meine Leben so leben, wie ich wollte. Mir hat aber nie etwas gefehlt; meine Pflegeeltern haben nach bestem Willen ihr Bestes gegeben – und ich denke, das war das Beste, was mir passieren konnte.
Michael aus Bochum
Die Beziehung zu meinem Vater ist super. Wir verstehen uns gut und das hat sich auch nach meinem Outing nicht verändert. Wir machen zusammen Motorradtouren, zu zweit oder mit Freunden. Mein Vater hat sich schon immer fürs Motorradfahren begeistert und das habe ich von ihm übernommen. Als Kind habe ich vor ihm gesessen, später dann hinter ihm als Sozius. Mit 16 habe ich dann die Klasse A1, mit 18 Klasse A2 und mit 20 die "offene Klasse" gemacht, dadurch ist unsere Beziehung noch enger geworden. Er hat mir viel aus seiner Jugend gebeichtet - er war wesentlich schlimmer als ich - immer mit dem Rat, dass ich das heute nicht machen soll! Ich besuche meine Eltern mindestens ein Mal die Woche und kann jederzeit mit Sorgen zu meinem Vater kommen. Er ist nicht der Gesprächigste, aber ich kann immer mit ihm reden. Er hat mir Werte vermittelt, die mir sehr wichtig geworden sind: wie selbstbewusst und immer tolerant zu sein, zu seinen Fehlern zu stehen, Ehrlichkeit und weltoffen zu sein, auch neuen Dingen gegenüber. Ich würde, wenn ich Vater bin - als Bi-Person hätte ich ja die Möglichkeit – meine Kinder zum größten Teil auch so erziehen, wie meine Mutter und mein Vater - meine Schwester und mich - erzogen haben. Wir lernen voneinander. Vielleicht würde ich mir wünschen, dass mein Vater öfter anwesend ist; mein Vater ist Workaholic, er geht in seinem Beruf voll auf. Er hat immer sehr viel gearbeitet, oft mussten wir Kinder nur mit der Mutter in Urlaub fahren.
Selbstverständlich haben wir auch Streitgespräche, aber wir können uns auch in den Arm nehmen und uns sagen, dass wir uns liebhaben.
Nicolas aus Saarbrücken
Meine Mutter hat sich von meinem Vater getrennt, als ich 14 war. Das kam überraschend und war anfangs für mich und meinen ein Jahr jüngeren Bruder ein Schock. Sie hatten sich auseinandergelebt und wenn ich mich erinnere, lebten sie schon in getrennten Schlafzimmern. Es gab einen Moment, wo Vater vergaß, meinen Bruder vom Bahnhof abzuholen, als der von einer Klassenfahrt zurückkam. Das war der Anlass für das Ehe-Aus. Unsere Mutter fand eine andere Wohnung und obwohl wir letztendlich in derselben Siedlung wohnten, haben wir den Vater selten gesehen. An unser Miteinander davor kann ich mich kaum erinnern; auch nicht daran, ob wir Unternehmungen mit ihm gemacht haben. Allerdings weiß ich, dass er uns öfters in den Arm genommen hat.
Natürlich ist es schwer, wenn als Kind der Vater geht. Gerade in den ersten Wochen fehlte er uns. Mit der Zeit verlor sich das; wir fanden neue Freunde und Mutter war immer für uns da. So kamen wir zurecht und er wurde uns egal. Er hat sich aber auch nicht von sich aus gemeldet, um uns zu sehen oder mit uns mal ein Eis essen zu gehen. Ich weiß nicht, mit welcher Erwartung er damals ging. Vielleicht hoffte er, dass wir uns bei ihm melden. Wäre ich in der Vaterrolle, wäre es für mich selbstverständlich, dass der Kontakt zu eigenen Kindern bestehen bleibt. Ich wüsste nicht, ob ich mich heute bei ihm outen würde; er nimmt ja gar nicht mehr an meinem Leben teil. Falls er es nicht schon von meinem Bruder weiß, der hinter meinem Rücken über mich spricht. Ich habe wenig Lust mich bei ihm zu melden. Auf der anderen Seite: Er ist und bleibt mein leiblicher Vater.
Sebastian aus Aachen
Mein Verhältnis zu meinem Vater war ausgesprochen schlecht. Ich war das älteste seiner vier Kinder; ich hatte noch zwei Brüder und eine Schwester. Mein Vater hatte aber wenig Zeit für uns, für ihn galt nur seine Arbeit. Außerdem hatte er keinen Humor, verstand keinen Spaß: er war sehr streng und er duldete keine Wiederworte. Vielleicht lag es daran, weil er selbst eine schwere Kindheit hatte: Er verlor mit zwölf Jahren seinen Vater und musste fortan für seine Mutter und seine Geschwister die Verantwortung übernehmen.
Ich verstand mich mit meinem Vater überhaupt nicht. Gespräche mit ihm, Wärme oder Zuneigung konnte ich bei ihm abhaken.
So habe ich, als ich fünfzehn war, auch nur meiner Mutter gesagt, dass ich schwul bin. Als Vater es irgendwann mitbekam, flippte er aus. Auf den Satz: „Von mir hast du das aber nicht.“ und seiner Aufforderung: „Zieh mal deine Hose runter, ich will mal sehen, ob an dir alles dran ist, was ein Mann braucht.“, habe ich voller Wut gesagt, dass er ein primitives Arschloch sei und dass er mich nicht anfassen sollte. Danach sind wir uns jahrzehntelang aus dem Weg gegangen.
Interessant war: Als ich vor 28 Jahren meinen heutigen Mann mit nach Hause brachte, hat er diesen geliebt. Vielleicht hatte er über vieles nachgedacht, denn seinen Kollegen und Freunden gegenüber hat er stolz angegeben, was ich beruflich erreicht hatte. Meine Enttäuschung allerdings blieb bestehen. Ich habe ihn ignoriert und ihm lediglich mit Genugtuung Wissen lassen, das die beiden Söhne seines Bruders ebenfalls schwul sind, mein Onkel aber wesentlich besser mit dem Thema umgegangen ist. Für mich stand damit fest: Mein Onkel war der bessere Vater!
Thomas aus Köln