Coming-Out im Bundestag Grünen-Politikerin Lührmann setzt Statement gegen Rechts
Die Grünen-Politikerin und Bundestagsabgeordnete Anna Lührmann (42) hat sich jetzt im Interview mit der taz als lesbisch geoutet – ein bewusster Schritt als Statement gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität.
Anstieg von Hasskriminalität
Die hessische Politikerin erklärte zu ihrer Motivation: „Eigentlich trenne ich berufliche und private Themen. Meine sexuelle Orientierung ist etwas sehr Persönliches, und meine Beziehung zu meiner Partnerin ist mein privates Glück. Aber ich habe gemerkt, dass sich für mich vieles verändert hat. Früher musste ich mir keine Gedanken machen, ob wir einfach so Händchen haltend durch die Straße laufen können. Heute muss ich das.“ Zudem möchte sie endlich offen auch bei CSDs mitlaufen, am Wochenende findet der Pride in ihrer Heimatstadt Hofheim statt.
Der Anstieg von Hasskriminalität gegenüber LGBTIQ+-Menschen beschäftigt die Grünen-Politikerin und ehemalige Staatsministerin für Europa besonders: „Es gab einen Moment, als ich vor dem Fernseher saß und Nachrichten über den Anstieg von Straftaten gegen queere Menschen sah. Da wurde mir klar: Damit bin auch ich gemeint. Natürlich war das ein längerer Prozess, aber ich habe verstanden, dass es wichtig ist, in der Politik als queer sichtbar zu sein. Und deswegen sage ich deutlich, ich bin lesbisch und das ist auch gut so!“
Lesbische Sichtbarkeit
Insbesondere ist ihr dabei auch die Sichtbarkeit von lesbischen Frauen wichtig: „Meine Lebenswirklichkeit verändert sich, denn die Bedrohungslage für queere Menschen hat sich spürbar verschärft. Und es gibt inzwischen zwar viele offen lebende queere Personen, aber Sichtbarkeit ist weiterhin ungleich verteilt. In der Öffentlichkeit sehen wir deutlich mehr schwule Männer, sicher auch, weil Männer häufiger in Machtpositionen sind. Deshalb ist es wichtig, mehr für lesbische Sichtbarkeit zu tun.“
Lührmann zog 2002 mit 19 Jahren als jüngste Bundestagsabgeordnete ins Parlament ein und blieb dort vorerst bis 2009. Anschließend arbeitete sie als Juniorprofessorin an der Universität Göteborg sowie als stellvertretende Direktorin des Instituts Varieties of Democracy. Seit 2021 ist sie erneut im Deutschen Bundestag vertreten, in diesem Jahr wurde sie außerdem zur Landesvorsitzenden ihrer Partei in Hessen ernannt. Lührmann hat eine gemeinsame Tochter aus ihrer früheren Ehe mit einem Mann und lebt seit Januar dieses Jahres mit einer Frau zusammen. „Meine Partnerin hat zwei Kinder aus ihrer vorherigen lesbischen Ehe. Es ist viel Liebe in unserer Patchworkfamilie. Auch das gehört für mich zu lesbischer Sichtbarkeit: zu zeigen, dass es ganz unterschiedliche Familienformen gibt. Aber gerade da gibt es rechtliche Diskriminierungen“, so die 42-Jährige weiter – insbesondere betont sie dabei die noch immer ausstehende Reform des Abstammungsrechts.
Statement gegen rechtsextreme Politik
Ihr Coming-Out will die Politikerin auch als klares Statement gegen Rechts verstanden wissen und erklärte dazu weiter: „Wie viele andere Politikerinnen erlebe ich heftige Angriffe. Gerade Frauen und queere Menschen sollen durch Hassrede mundtot gemacht werden. Aber das darf nicht sein (…) Dieser Bundestag hat so viele offen queere Politiker:innen wie noch nie, aber gleichzeitig auch so viele Rechtsextreme wie noch nie. Wir haben diesen riesigen rechtsextremen Block, der alle erkämpften Rechte wieder wegnehmen will. Teils fallen menschenverachtende Aussagen. Das macht mich wütend und trägt natürlich auch zu diesem Bedrohungsgefühl bei. Für viele ist das im Alltag vielleicht nicht sichtbar, aber ich sehe hier im Bundestag jeden Tag, wessen Geistes Kind diese Leute sind. Ihre Verachtung gegenüber allen Menschen, die anders als sie denken und sind – insbesondere queere Personen. Aber sie bekommen weder meinen Hass noch meine Angst. Im Gegenteil, es motiviert mich, jetzt erst recht laut und sichtbar zu sein.“ Mehrere Kollegen der Grünen gratulierten Lührmann inzwischen zu ihrem Coming-Out.