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Erforschung queerer Identitäten
Rubrik

Blick auf queere Identitäten Modern und hautnah dran am Publikum – „Butchposition“ hinterfragt Geschlechter und Sexualitäten

ms - 12.09.2024 - 17:00 Uhr

Das Staatstheater Darmstadt lädt zur installativen Performance „BUTCHPOSITION“ ein, die hinterfragt, wie „queere Identitäten, Geschlechter und Sexualitäten“ früher und heute erzählt werden. Das Publikum darf sich währenddessen frei im Raum bewegen. SCHWULISSIMO wollte mehr wissen und fragte nach bei Sascha Malina Hoffmann (Regie). 

Die Performance begibt sich auf die Suche nach Erzählungen und Erinnerungen von queeren Identitäten. Wie schwierig war die Herangehensweise? 

BUTCHPOSITION sucht ja vor allem nach Erzählungen und Erinnerungen von genderqueeren Menschen. Also von Leuten, die sich über die Grenzen von „Mann und Frau“ bewegen oder sich jenseits dessen befinden. Ich habe gemeinsam mit meinem Team für das Stück vor allem nach Texten, Videos, Bildern und Tönen gesucht, in denen diese queeren Menschen selbst sprechen. Das heißt, für die oft sehr problematischen Erzählungen über queere Menschen von außen, haben wir uns für dieses Projekt nicht besonders interessiert. Tatsächlich schreibt sich die Diskriminierung, die queere Menschen erfahren, aber leider auch in Selbstbeschreibungen und eigene Erinnerungen mit ein. Dazu kommt, manche von den Begriffen, die zum Beispiel trans* und nicht-binäre Menschen heute nutzen, gibt es noch nicht so lange. Das heißt aber nicht, dass es nicht Menschen mit ähnlichen Lebensrealitäten gab. Vor allem aus Zeiten oder von Orten, an denen verschiedene Formen von queerem Leben verboten waren, ist es komplizierter, Zeugnisse zu finden, weil die Menschen sich ja dem Risiko gesellschaftlicher und staatlicher Verfolgung ausgesetzt haben, wenn sie Dinge geschrieben oder aufbewahrt haben, die von ihrer queeren Identität oder Begehren zeugen.

Bei der Performance gibt es auch Verknüpfungen zu „Stone Butch Blues"; Leslie Feinbergs Roman erzählt vom LGBTI*-Alltag im New York der 1960er bis 1980er. Welche Anknüpfungspunkte gibt es?

Einige Seiten aus dem Roman werden während des Stücks gemeinsam gelesen. Und es gibt immer wieder O-Töne von Leslie Feinberg. Mindestens genauso wichtig ist uns aber Feinbergs Blick für Intersektion, also Verschneidungen von Identität und auch Diskriminierung mit anderen Kategorien. 

In der Performance wird auch thematisiert, wie LGBTI*-Menschen öfters aus der Geschichte verschwinden – ihre Leben werden gelöscht. Wie groß ist diese Gefahr heutzutage noch?

Gerade in den letzten Jahren steigt die Gefahr für sichtbar queere Menschen zum Beispiel im öffentlichen Raum statistisch gesehen wieder. Die Gefahr ist dabei glaube ich nicht für alle LGBTI*-Menschen gleich groß, sondern hat auch wieder mit diesen Intersektionen zu tun: Vor allem trans* Frauen und LGBTI*-Menschen, die nicht weiß sind, und/oder eine Behinderung haben, sind an vielen Orten auch heute weiterhin nicht sicher. Hier geht es ja auch um eine Angst vor der Zukunft, und ganz konkret vor einem noch extremeren Rechtsruck, als wir ihn eh schon erleben. Das ist eine Angst, die nicht nur LGBTI*-Menschen, sondern auch von Rassismus oder anderen Diskriminierungen betroffene Personen teilen. Und da geht es für mich und viele Freund*innen wirklich um eine Gefahr der eigenen körperlichen Unversehrtheit. Ich spüre diese Angst immer wieder.

BUTCHPOSITION will Zuschauer dazu einladen, gemeinsam mit den Performern „einen neuen Raum" zu entdecken. Wie kann das bestenfalls ablaufen?

Der Abend möchte gerne alle Menschen einladen und geht auch offen damit um, dass verschiedene Menschen unterschiedliche Erfahrungen und unterschiedliches Wissen mitbringen. Im besten Falle erfahre ich als Zuschauer*in etwas Neues, vielleicht sogar über mich selbst, oder über unser Zusammenleben, oder ich schaffe es, eine neue Perspektive zu gewinnen. Oder verschiedene Perspektiven nebeneinander anzuerkennen und auszuhalten. Manches an diesem „Entdecken“ ist vielleicht ein bisschen herausfordernd, da würde ich mir auf jeden Fall wünschen, dass das Publikum dabei bleibt, auch wenn sich etwas nicht direkt erschießt, oder vielleicht der eigenen Perspektive widerspricht.

Erinnerungen sind wichtig, um die eigene Identität zu konstruieren, so eine Kernaussage. Ist das für LGBTI*-Menschen besonders hervorstechend?

Erinnerung und Geschichte sind für jeden Menschen wichtig. Gerade Menschen, deren Geschichte nicht gut aufgehoben wird, müssen oft selbst mühsam danach suchen. Wenn gewaltvoll an der Geschichte – ich sag mal – gelöscht wird oder wurde, ist das besonders schmerzhaft. Bei mir hat es zum Beispiel ziemlich lange gedauert, bis ich überhaupt erfahren habe, dass es trans* Menschen gibt. Davor dachte ich, dass ich mit bestimmten Gefühlen ganz alleine bin. Wenn ich das früher hätte wissen dürfen, hätte ich vielleicht die Möglichkeit gehabt, anders zu leben oder mich selbst besser zu verstehen. Heute sind diese Erinnerungen wichtig für mich, weil sie mir Kraft geben, mich in einer Welt zu bewegen, in der ich mich viel erklären und dafür rechtfertigen muss, wer ich bin. Sie fühlen sich an wie ein Beweis, auf den ich mich beziehen kann, wenn jemand an meiner Identität zweifelt. Mich mit „echten“ Geschichten und Erinnerungen von anderen queeren Menschen zu beschäftigen, ist außerdem total spannend und macht oft auch großen Spaß.

Vielen Dank für das Gespräch. 

BUTCHPOSITION

14. September bis 14. Dezember 2024

Kammerspiele / Staatstheater Darmstadt 

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