Speak Low Lieder über Männlichkeiten und queere Utopien
Mit „Speak Low“ wollen Johannes Worms (Bariton) und Nasti (Klavier) das Publikum der Elbphilharmonie zu einem Liederabend über Männlichkeit und queere Utopien einladen. Was bedeutet es heutzutage, ein Mann zu sein – und wer definiert das? SCHWULISSIMO ist offizieller Medienpartner und fragte nach beim Künstlerduo.
Wie seid ihr auf die Idee zum Stück gekommen?
Johannes: Für uns als queere, klassische Musiker:innen sind traditionelle Rollenbilder in unserem Repertoire oft eine unangenehme Herausforderung. Die Musik, die wir spielen, ist meistens schon über 100 Jahre alt. Damit sind in ihr auch historisch gewachsene Rollenbilder eingeschrieben. Leider waren wir in der Vergangenheit oft aufgefordert, toxische Rollenbilder zu reproduzieren. Wir wollten mit dem Programm verstehen, wie sich Männlichkeiten in historischen Lieder zeigen, wie sie sich durch die Geschichte entwickelten und welche Möglichkeiten queere Komponist:innen nutzten, um sich davon zu befreien und sich Ausdruck zu verschaffen. Nicht zuletzt erforschen wir beim Musik machen ja auch unsere eigene Queerness.
Nasti: Uns geht es allerdings nicht nur um das musikalische Material. Wir wollen den Konzertraum nutzen, um als Community zusammenzukommen und über Rollenbilder zu reflektieren, denn Männlichkeitsbilder betreffen uns alle und wir können sie am besten gemeinsam überwinden. Und wir wollten mit diesem Programm eine Möglichkeit schaffen, um uns so auf der Bühne zu zeigen, wie wir es möchten. Leider ist das nicht immer so selbstverständlich möglich.
Ihr deckt eine große Bandbreite ab, von Gustav Mahler über Hugo Wolf, von Franz Schubert bis Kurt Weill – um nur einige zu nennen. Welche Stücke sind euch besonders wichtig?
Nasti: Die Stücke in unserem Programm sind sehr verschieden und bilden eine Art Reise vom inneren Gefängnis bis zur Befreiung und der Suche nach Gemeinschaft ab. Am Ende unseres Programmes spielen wir das Lied „George“ von William Bolcom. Es handelt vom tragischen Mord an einer Drag Queen oder einer genderfluiden Person, der:die als Opernsänger:in in einer Bar in den USA performt. Das Lied ist leider sehr aktuell. Die Zahl der Übergriffe auf Transpersonen wächst in letzter Zeit enorm, was auch mir als nichtbinäre Transperson große Sorgen bereitet.
Johannes: Mich fasziniert das Lied „Memnon“ von Franz Schubert sehr. Schuberts „Mitbewohner“, der schwule Dichter Johann Mayrhofer, verarbeitet in diesem Text die Suche nach einem Land „reiner Liebe und edler Freiheit“. Dieses Land gab es zur Zeit Schuberts nicht, aber die Utopie war trotzdem lebendig. Homosexualität stand unter Strafe, Gleichgesinnte mussten sich in private Räume zurückziehen, um sich auszuleben. Um nicht zensiert zu werden, verwendete Mayrhofer die Sagenfigur Memnon und erzählt damit eine sehr berührende Geschichte vom Nicht verstanden werden und von der Sehnsucht nach einem angstfreien, offenen Ort.

Hat euch bei der Recherche etwas besonders überrascht oder schockiert?
Johannes: Am meisten schockierte uns, wie gut toxisches und übergriffiges Verhalten in Liedern getarnt und „harmonisiert“ ist. In Hugo Wolfs Lied „Auf dem grünen Balkon“ geht es um eine direkte Grenzüberschreitung. Die Frau setzt eine Grenze, die der Mann nur als Ansporn versteht, nicht lockerzulassen. Das Ganze wird in die zärtlichste und eleganteste Musik gepackt, was die Sache für Zuhörende und Musiker:innen zur Herausforderung macht. Für uns ist das schwer zu performen, weil wir uns immer wieder fragen müssen, inwieweit wir uns auch mit diesem Repertoire Mühe geben, denn die Musik ist anspruchsvoll. Viele der „toxischen“ Lieder spielen wir deshalb auch nicht vollständig.
Nasti: Wir haben auch festgestellt, dass Queerness immer da war und sich ihren Ausdruck gesucht hat. Heute verstehen wir die damals verwendeten Codes oft nicht mehr. Aber wir können sie entziffern und uns ganz neu mit diesem Repertoire verbinden.
Wie sollten wir heute auf das Thema Männlichkeit blicken?
Nasti: Menschen suchen immer wieder nach geschlechtlichen Idealen und Normen. Alles, was von diesen Normen abweicht, wird in unserer Gesellschaft abgewertet. Somit geißeln wir uns und unsere Mitmenschen. Wir wünschen uns, mit dem Programm die Vorstellungen von Geschlechtern bei unserem Publikum zu erweitern und von gesellschaftlichen Binaritäten zu befreien. Was bedeutet es, ein Mann zu sein? Ich wünsche mir, dass es darauf unendlich viele Antworten gibt — so viele, wie es Menschen gibt, die sich dieser Identität zugehörig fkühlen.
Durch eure Interpretation der Stücke wollt ihr den Raum öffnen für Verletzlichkeit und Zärtlichkeit. Warum haben so viele von uns damit noch immer ein Problem?
Nasti: Zum Bild der traditionellen Männlichkeit gehört die Unterdrückung. Männer haben es gelernt, Gefühle zu unterdrücken und die eigene Stärke unter Beweis zu stellen. Wir setzen uns in diesem Programm als queere Personen auch zwangsläufig mit unserer eigenen Männlichkeit auseinander und fragen uns: Wo sind wir vielleicht verhärtet? Warum ist das so? Um das zu überwinden, brauchen wir eine ganz andere Wertschätzung der Verletzlichkeit in unserer Gesellschaft.
Vielen Dank für das Gespräch.
Speak Low
Johannes Worms, Bariton
Nasti, Klavier & Live-Elektronik
Montag, 7. April, 19:30 Uhr
Kleiner Saal @ Elbphilharmonie
Veranstalter: Theater-Gemeinde Hamburg & TONALiSTEN
Weitere Termine:
03. Mai @ Sendesaal Bremen, 23. Mai @ Ansgar Lounge Oldenburg, 27. Juli @ Pride Gottesdienst Wedel.