Queeres Essen?! Die queere US-Community feiert „Queer Food“
Ein Kommentar von Michael Schmucker
Der Kampf für Akzeptanz und Gleichberechtigung der LGBTI*-Community entwickelt mitunter auch etwas skurrile Stilblüten, die mancherorts durchaus mit Verwunderung oder Kopfschütteln aufgenommen werden dürften. Der neuste Trend dieser Art kommt – natürlich – einmal mehr aus den USA: Queere Restaurants und „Queer Food“.
Queere Restaurants?
Im LGBTI*-Mekka Los Angeles sprießen diese Angebote gerade wie Pilze aus dem Boden – das Restaurant „Ruby Fruit“ versteht sich so beispielsweise als Essensörtlichkeit für Lesben und beschreibt dies blümerant als Angebot für „sapphisch veranlagte Menschen“. Im anderen Mekka der Community, New York City, ist beispielsweise auch das HAGS ein Feinschmeckerrestaurant „von und für queere Menschen.“
Damit nicht genug, denn es ist nicht nur das Ambiente der Locations queer, auch die dargebotenen Speisen sollen es sein. Und genau da beginnt erneut der Twist in der Community, denn seitdem wird darüber gestritten, was denn „queeres Essen“ genau ist? Reicht es, dass es von queeren Menschen hergestellt wurde? Demzufolge müsste dann auch eine Spagetti Bolognese eine deutsche Speise werden, wenn sie nur ein deutscher Koch anrichtet.
Was ist „queeres Essen“?
Für andere wird Essen erst dann queer, wenn es in einer queeren Gemeinschaft eingenommen wird. Wieder andere sind der Auffassung, dass wahrhaft queeres Essen erst dann queer wird, wenn man Menschen „am Rande der Gesellschaft“ bedient, also jene Personen, zu denen sich auch die queere Community mitunter zählt. Oder reicht es als Definition aus, wenn vornehmlich Schwule jedes Jahr aufs Neue einen Drink oder eine Speise als „Must-Have“ einschätzen? Dann wären zumindest in New York Wodka-Soda und Sauerteigbrot dieses Jahr richtig queer. Und als Nachspeise ein Muffin in Regenbogenfarben.
Uneinigkeit in der Community
Über dieses wahrhaft wichtige Thema wurde jetzt bei der Queer Food Conference an der Boston University diskutiert. Es gab dazu zahlreiche Workshops mit Titeln wie „Queere Lebensmittel als Zeichen des Widerstands“ oder auch „Nichtbinäre Botanik – von der Kultivierung einer Bestäuber-Gemeinschaft“.
Schlussendlich war man sich einig darin, dass man sich nicht einig ist. Nur auf den Aspekt des „gemeinschaftlichen Essens“ als Zeichen für „queeres Essen“ konnte man sich weitestgehend einigen. Das dürfte jetzt viele christliche Orden oder auch Nonnen im Kloster irritieren – macht sie das gemeinschaftlich eingenommene Abendmahl bereits queer? Darauf besser gleich einmal drei Vater-Unser.
Die Gründerin der Konferenz, Alex Ketchum, Professorin am Institut für Gender, Sexualität und Feministische Studien der McGill University, betont, dass es wichtig ist, dass queeres Essen auch „seine Wurzeln in der queeren Geschichte“ hat. Als Beispiel nennt Ketchum dann eine queere Aktivistin, die in den 1980er Jahren Cannabis-Brownies für AIDS-Patienten backte, die unter Appetitlosigkeit und starkem Gewichtsverlust litten. Da hängt die moralische Latte für anderes „queeres Essen“ allerdings verdammt hoch.
Debatten in Absurdistan
NBC News wollte es trotzdem genauer wissen und startete unlängst eine Umfrage unter Köchen und Feinschmeckern aus der LGBTI*-Community. Die Antworten reichen von „Wenn du queer bist, ist dein Essen queer“ bis hin zu „Wenn die Person, die dein Essen kuratiert hat und seine Hände und Energie queer sind, dann ist das Essen auch queer.“ Das dürfte gerade im Vatikan für Aufregung sorgen – ein schwuler Koch und alle Priester schieben sich automatisch etwas Schwules in den Mund, wenn sie essen.
Das Amüsante an der absurden Debatte ist im Kern die Ernsthaftigkeit, mit der sie mit Feuereifer geführt wird. Am Ende bleibt eine Frage, besser gesagt eine Sorge, unausgesprochen: Kann die bierernste Debatte um „queeres Essen“ am Ende dazu führen, dass sich in der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft einmal mehr der Eindruck verstärkt, die Menschen unterm Regenbogen sind allesamt nicht mehr wirklich ernst zu nehmen? Darauf gleich einmal eine Currywurst – oder ist so ein fettes Teil irgendwie nicht „echt schwul“?