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Kampf gegen Online-Hass

Kampf gegen Online-Hass Ist das neue Gesetzesvorhaben gut oder schlecht für die kanadische LGBTI*-Community?

ms - 01.03.2024 - 10:00 Uhr
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Die liberale Regierung in Kanada plant eines der härtesten Gesetze weltweit gegen digitalen Hass und Hetze zum Schutz gerade auch von Minderheiten wie die LGBTI*-Community. Kritiker befürchten indes eine massive Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit.

Lebenslange Haft für digitalen Hass

In dieser Woche wurden erste Details des Vorhabens publik, vorgebracht von Justizminister Arif Virani: Mit dem „Online Harms Act“ (Bill C-63) sollen künftig Menschen geahndet werden, die online Hass verbreiten, zu gewalttätigen Extremismus oder Terrorismus aufrufen oder Gewalt fördern.

Der Gesetzentwurf sieht dabei zum einen an mehreren Stellen Änderungen im Strafgesetzbuch vor, um Hassverbrechen effektiver bekämpfen zu können – ähnlich wie in Deutschland hat auch in Kanada die Zahl der Hassverbrechen in den letzten Jahren massiv zugenommen. Zum anderen soll auch ein eigenständiger Straftatbestand für Hassverbrechen geschaffen werden. Radikal wirken dabei die Haftstrafen – sie reichen von Geldstrafen von bis zu 70.000 Dollar bis hin zu lebenslanger Gefängnishaft.   

„Ein neuer eigenständiger Straftatbestand für Hasskriminalität, der für alle Straftaten im Strafgesetzbuch und in allen anderen Gesetzen des Parlaments gelten würde, würde Strafen bis zu lebenslanger Haft ermöglichen, um dieses hasserfüllte Verhalten als eigenständiges Verbrechen anzuprangern und abzuschrecken“, so Virani.

Neu-Definition von Hass

Darüber hinaus sollen die bereits bestehenden Höchststrafen für diverse Straftaten erhöht werden, beispielsweise auch für Hasspropagandadelikte wie die Befürwortung von Völkermord – die bisherigen Haftstrafen von fünf Jahren sollen hier zu lebenslänglicher Haft ausgeweitet werden. Außerdem sieht das Gesetzesvorhaben auch vor, eine neue Definition des Begriffes „Hass“ in das Strafgesetzbuch aufzunehmen, gestützt auf eine frühere Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in Kanada.

Konkret sieht die neue Definition dabei vor, „Inhalte, die Verachtung oder Verunglimpfung einer Person oder einer Gruppe von Personen aufgrund eines verbotenen Diskriminierungsgrundes im Sinne des kanadischen Menschenrechtsgesetzes zum Ausdruck bringen und die in Anbetracht des Kontextes, in dem sie kommuniziert werden, geeignet sind, Verachtung oder Verunglimpfung einer Person oder einer Gruppe von Personen aufgrund eines solchen verbotenen Grundes zu schüren“, strafrechtlich zu verfolgen.

Im Schreiben der Regierung ergänzt diese weiter: „Zur größeren Sicherheit und für die Zwecke der Definition von Inhalten, die Hass schüren, drücken Inhalte nicht nur deshalb Verabscheuung oder Verunglimpfung aus, weil sie Verachtung oder Abneigung ausdrücken, sondern auch, wenn sie diskreditieren, erniedrigen, verletzen oder beleidigen.“

Jedermann darf Beschwerde einlegen

Zwar soll die private Kommunikation beispielsweise über WhatsApp oder ähnliche Anbieter bisher wohl nicht unter das Gesetzesvorhaben fallen, sehr wohl soll es künftig aber möglich sein, dass jede Person Beschwerde bei der kanadischen Menschenrechtskommission einreichen kann, wie sie der Meinung ist, dass jemand anderes Hassreden online gestellt habe.

Alle Menschen, die so eine Beschwerde einlegen, dürfen weiterhin auch anonym bleiben, ihre Identität soll vom Gericht geschützt werden. Zur Durchführung des neuen Gesetzesvorhabens plant die Regierung die Gründung eines neuen Gremiums, das sich aus der Kommission für digitale Sicherheit (DSC), der Ombudsperson für digitale Sicherheit und dem Büro für digitale Sicherheit zusammensetzen soll.

Auch App-Anbieter sind in der Pflicht

Neben den strafrechtlichen Änderungen sollen dann auch alle Anbieter von Webseiten und Apps in die Pflicht genommen werden. Konkret ist die Rede unter anderem von neuen Meldeverpflichtungen und Offenlegungsbestimmungen, erweiterten Verhaltensregeln bis hin zu neuen Designvorgaben und einer erweiterten Datenspeicherung. Besonders im Fokus steht dabei jede Art von Erotikposts wie auch Livestreaming-Angebote. Vieles davon soll im Namen des Schutzes von Minderjährigen geschehen, wobei erfasste Anbieter künftig angehalten sind, vorab einen Digital Safety Plan zu übermitteln.

Die neue DSC soll dabei dann entscheiden, welche Online-Angebote reguliert werden müssen und welche nicht. Deswegen soll die Behörde in der Zukunft dann außerdem dazu ermächtigt sein, weitreichende Ermittlungen einzuleiten, beispielsweise die Einsicht von Firmeninterna, die zwanghafte Mitarbeit von dritten Personen und Unternehmen sowie die Anhörung von Verdächtigen unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die DSC ist dabei nicht an „rechtliche oder technische Beweisregeln“ gebunden. Zur Kontrolle der Behörde selbst findet sich im Gesetzesvorhaben keine Erklärung.  

Ende der Meinungsfreiheit?

Ein striktes Vorhaben gegen Hassreden in Kanada ist grundsätzlich nicht neu, bereits im Jahr 2014 war ein ähnliches Gesetz in Kraft getreten, alsbald aber wieder vom damaligen Premierminister Stephen Harper aufgehoben worden, nachdem festgestellt werden konnte, dass das Gesetz eindeutig die Rechte der Kanadier auf freie Meinungsäußerung massiv beschnitten hatte.

Ähnliches befürchten Kritiker jetzt auch zehn Jahre später mit den jüngsten Plänen der Regierung. Zudem würde damit höchstwahrscheinlich dem Denunziantentum Tür und Tor geöffnet und ein feinseliges Klima geschaffen werden – wirklich hilfreich dürfte das gerade auch nicht für die kanadische LGBTI*-Community sein, die damit ja geschützt werden soll.

Konservative positionieren sich dagegen

Scharfe Kritik kommt auch von der konservativen Opposition. Der Vorsitzende der Konservativen, Pierre Poilievre, erklärte, die Regierung nutze die Thematik aus, um eine neue Form der Zensur zu erlassen und die Meinungsfreiheit zu verletzen. „Wir werden uns dem jüngsten Angriff von Justin Trudeau auf die Meinungsfreiheit widersetzen. Was meint Justin Trudeau eigentlich, wenn er sagt, die ´schlimmste Hassrede´ müsse verboten werden? Er meint die Rede, die er hasst.“

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