Russlands Angriff auf LGBTI* Polizei geht bereits 48 Stunden nach Gerichtsurteil gegen die „extremistische“ LGBTI*-Community vor
Keine 48 Stunden, nachdem der Oberste Gerichtshof in Russland die LGBTI*-Bewegung insgesamt als extremistisch eingestuft hat, kam es am vergangenen Wochenende zu massiven Angriffen – in mehreren LGBTI*-Einrichtungen fanden koordinierte Razzien statt, ein Club wurde ganz geschlossen und ein TV-Sender zuvor mit einer Geldstrafe belegt. Ob es zu Verhaftungen gekommen ist, ist noch unklar – einige Medien berichten von Festnahmen, andere indes betonen, dass es diese nicht gegeben habe. Grundsätzlich können Personen, die unter dem Extremismusparagrafen fallen, mit einer Haftstrafe von bis zu 12 Jahren rechnen.
Razzia in Schwulen-Clubs und einer Gay-Sauna
In Moskau wurden so nach den bisherigen Erkenntnissen die drei Clubs Secret, die Mono Bar sowie die Hunters Party durchsucht, zudem führte die Polizei eine Razzia in einer Schwulensauna in der Stadt durch. Mehrere Videos kursieren seit dem Wochenende in den sozialen Medien und zeigen die Radikalität, mit der die Einsatzkräfte vorgehen.
Kurz vor den Clubdurchsuchungen sollen die Betreiber darüber informiert worden sein, berichten einzelne Medien – die Aussagen von Zeugen indes zeichnen ein anderes Bild der Lage: „Mitten auf der Party wurde die Musik plötzlich gestoppt, und die Polizei begann, in die Lounges zu gehen", so ein Augenzeuge gegenüber eines russischen Fernsehteams.
In der Sauna selbst wurden alle Gäste offenbar dazu gezwungen, sich während der Razzia mit dem Gesicht nach unten auf den Boden zu legen. Außerdem wurden ebenso wie in den Clubs alle Besucher zusammen mit ihren Pässen fotografiert, bevor sie die Lokalitäten verlassen durften.
„Queere Kristallnacht“ in Russland
Rémy Bonny, der Direktor der LGBTI*-Organisation Forbidden Colours, erklärte dazu: „Die queere Kristallnacht findet direkt vor unseren Augen statt. Und die EU-Führer Orban und Meloni unterstützen dies. Wir von Forbidden Colours verfolgen die Situation genau und stehen mit unseren russischen Kollegen in Kontakt und ihnen zur Verfügung. Sie kommen für uns alle.“
Ähnlich bestürzt zeigte sich die Direktorin für Osteuropa und Zentralasien bei Amnesty International, Marie Struthers: „Das Urteil droht zu einem pauschalen Verbot von LGBTI*-Organisationen zu führen, was weitreichende Verstöße gegen die Rechte auf Vereinigungsfreiheit, freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung sowie das Recht auf Diskriminierungsfreiheit mit sich bringt. Es wird zahllose Menschen betreffen, und die Auswirkungen könnten geradezu katastrophal sein.“
Tanya Lokshina, stellvertretende Direktorin für Europa und Zentralasien bei Human Rights Watch, wandte sich mit folgender Erklärung an die Medien: „Das Vorgehen der Behörden dient offensichtlich einem doppelten Zweck. Sie soll die Sündenbockfunktion für LGBT-Menschen verstärken, um die konservativen Anhänger des Kremls vor den Präsidentschaftswahlen im März 2024 anzusprechen, und die Arbeit von Rechtsgruppen, die sich gegen Diskriminierung und für LGBT-Menschen einsetzen, lähmen.“
Bundesregierung muss handeln, fordert die Linksfraktion
Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, erklärte: „Einmal mehr wird deutlich: Nationalistische und autoritäre Politik geht immer Hand in Hand mit der Unterdrückung und Repression von Vielfalt.“ Seine Kollegin, die queer-politische Sprecherin der Linksfraktion, Kathrin Vogler, sagte: „Die ideologische Kriegsführung gegen queere Communitys in Russland wächst sich zunehmend zu konkreter Gewalt und Verfolgung aus. Angesichts der sich verschärfenden Bedrohungslage muss die Bundesregierung sofort ein Aufnahmeprogramm für russische LGBTIQ* auflegen.“
„Nazifizierung“ von Russland
Kurz vor den Razzien hatte ein Gericht in St. Petersburg einen russischen Musik-Sender zu einer Geldstrafe von rund 5.000 Euro verurteilt, weil dieser ein Musikvideo ausgestrahlt hatte, in der liebevolle Gesten zwischen zwei Frauen zu sehen waren. Damit verstieß der TV-Sender gegen das Anti-Homosexuellen-Gesetz, das Präsident Putin zuletzt Ende 2022 hatte noch einmal verschärfen lassen. Mit dem nun beschlossenen neuen Gesetz, dass LGBTI* insgesamt als extremistisch darstellt, kann die Regierung ungehemmt und in aller Radikalität gegen Homosexuelle und queere Menschen vorgehen. Internationale Kommentatoren sprechen inzwischen von einer „Iranisierung“ oder „Nazifizierung“ des Landes.