Wahl in Bayern und Hessen Wie blicken Verbände und die LGBTI*-Politik auf die Wahlergebnisse?
Nach der Wahl ist der vor der Wahl – wenigstens, wenn man die ersten Stimmen von politischen Vertretern der Bundesparteien hört, die seit gestern Abend selbst herben Wahlverlusten offenbar noch etwas Positives abgewinnen können. Die beiden Landesverbände des Lesben- und Schwulenverbandes blicken dabei kritisch auf die kommenden Jahre in Bayern und Hessen.
Kommt ein Aktionsplan in Bayern?
In Bayern konnte die CSU ihr Ergebnis von der letzten Landtagswahl mit 37 Prozent praktisch halten und wird nun wohl erneut mit den Freien Wählern (15,8 Prozent) eine Regierung bilden. Ministerpräsident Markus Söder hatte hier im Frühjahr als letztes Bundesland in Deutschland einen Aktionsplan für mehr LGBTI*-Akzeptanz versprochen, diesen aber nicht wie angekündigt bereits im Sommer umgesetzt. Zuletzt erklärte Söder hier im September, er wolle sich darüber nach der Wahl mit dem Koalitionspartner beraten.
Der nächste Schritt jetzt wird sein, dass rund 70 LGBTI*-Organisationen aus ganz Bayern den, im September erarbeiteten Maßnahmenkatalog für den Aktionsplan in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Justiz, Kultur, Lebenslagen und Partizipation an die neue Staatsregierung übergeben werden. Markus Apel vom LSVD Bayern dazu gegenüber SCHWULISSIMO: „Dieser Maßnahmenkatalog muss das fachlich-inhaltliche Fundament für den Aktionsplan bilden. Wir werden aufmerksam verfolgen, wie viel von diesen Inhalten am Ende Realität werden. Queere Menschen und alle Wähler*innen in Bayern haben es verdient, konkrete politische Strategien im Bereich Gleichstellung und Antidiskriminierung zu erfahren. In unseren Wahlprüfsteinen zur Landtagswahl hat sich gezeigt, dass gerade die Regierungsparteien planlos bleiben, wenn es beispielsweise um flächendeckende queere Bildungsarbeit oder die Unterstützung von Regenbogenfamilien geht. Man setzt auf öffentliche Image-Pflege bei CSDs oder Parteiveranstaltungen statt auf echten Dialog und entschiedenes politisches Handeln. Viele queere Engagierte sind es leid, um jeden kleinen Fortschritt in Bayern kämpfen zu müssen. Gerade in einer Zeit in der LSBTIQ* massiven populistischen Angriffen ausgesetzt sind, ist das höchst fahrlässig.“
LSVD: Bayern ist mit Wahl unsicherer für LGBTI* geworden
Generell blickt Apel dabei mit Sorge auf die kommenden Jahre und erklärt gegenüber SCHWULISSIMO: „Bayern hat sich mehrheitlich für Populismus und einen Rechtsruck entschieden. Als LSVD in Bayern blicken wir mit ernster Sorge auf die kommenden fünf Jahre Landespolitik, denn dieser gewählte Populismus und Rechtsruck wird selbstverständlich wiederholt auf dem Rücken marginalisierter Gruppen ausgetragen werden. Staatsregierung und Landtag müssen queeren Menschen in der kommenden Legislaturperiode den Rücken stärken - sowohl mit finanziellen Mitteln als auch mit wirksamen Maßnahmen gegen Queerfeindlichkeit. Bayern ist mit dieser Landtagswahl weniger sicher geworden."
Stimmenverluste bei der Ampel
Die größten Gewinne in Bayern erlangte die AfD mit einem Stimmenzuwachs um 4,4 Prozentpunkte auf 14,6 Prozent sowie die Freien Wähler mit einem Plus von 4,2 Prozentpunkten. Die drei regierenden Ampel-Parteien mussten herbe Verluste hinnehmen, am meisten verloren dabei die Grünen (minus 3,2 Prozent) an Stimmen.
Ähnlich sieht die Lage in Hessen aus, hier verloren die Grünens sogar fünf Prozentpunkte, die SPD 4,7 und die FDP 2,5. Der größte Gewinner ist die CDU mit einem Stimmenzuwachs um 7,6 Prozentpunkte auf 34,6 Prozent. Die Partei kann sich nun aussuchen, ob sie wie bisher mit den Grünen (14,8%) oder der SPD (15,1%) in eine Regierungskoalition gehen will. Zweitstärkste Kraft noch vor der SPD wurde in Hessen die AfD mit 18,4 Prozent (plus 4,4%).
Hessen – Eintreten gegen LGBTI*-Hassgewalt
Georgios Kazilas aus dem Vorstand des LSVD Hessen formulierte die jetzt anstehenden wichtigsten Ziele so: „Wir können und dürfen es nicht länger dulden, dass queere Menschen und andere marginalisierte Gruppen Diskriminierung, Anfeindungen und Hass erfahren. Wir brauchen ein engagiertes Eintreten gegen LSBTIQ*-feindliche Hassgewallt. Dazu gehört auch, dass die Hessische Landesverfassung und vor allem auch unser Grundgesetz LSBTIQ* zukünftig schützen und ein Antidiskriminierungsgesetz in Hessen auf den Weg gebracht wird. Die Empfehlungen der Innenministerkonferenz (IMK) zur Bekämpfung von queerfeindlicher Hassgewalt sollten auch in Hessen angegangen und umgesetzt werden.“
Ähnlich wie in Bayern ist auch der Aktionsplan ein wichtiges Thema in Hessen, der LSVD wünscht sich hier in der nächsten Legislatur eine Fortentwickelung mit mehr finanziellen Mitteln. Zudem bräuchten ebenso die LGBTI*-Beratungs- und Unterstützungsstrukturen in Hessen eine langfristige und gute Finanzierung, das betreffe insbesondere den ländlichen Raum.
„Der LSVD und die queere Community in Hessen werden in der nächsten Legislatur die Parteien an ihre Versprechen aus den Wahlprüfsteinen erinnern und auf die Umsetzung drängen. Die Förderung von Akzeptanz und eines selbstverständlichen und unaufgeregten Umgangs mit Themen der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt darf nicht zum Papier-Tiger werden“, so Kazilas.
Realitätsverweigerung bei den Grünen?
Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung und Mitglied der Grünen, Sven Lehmann, erklärt online trotz der massiven Stimmenverluste der Partei in beiden Landtagswahlen: „In den letzten Monaten wurden die Grünen von mehreren Seiten zum politischen Hauptgegner erklärt. In Bayern und Hessen haben Grüne nun die Chance auf das jeweils zweitbeste Ergebnis ihrer Geschichte. Danke an alle Wähler*innen für dieses Vertrauen! Herzliche Glückwünsche an die beiden Wahlsieger Boris Rhein in Hessen und Markus Söder in Bayern. Der Rechtsruck in beiden Bundesländern kann und muss aber allen demokratischen Parteien Sorge bereiten.“
Kristian Beara, Vorstandsmitglied der CDU in Köln, kommentiert dies so: „Die Grünen feiern die Ergebnisse. Mehr Realitätsverweigerung kann man nicht generieren.“
Selbstkritik bei der FDP
Deutlich selbstkritischer blickt der queer-politische Sprecher der FDP, Jürgen Lenders, auf die Wahlergebnisse von gestern Abend und erklärt gegenüber SCHWULISSIMO: „Das Wahlergebnis kann man nicht schönreden! Das ist ein Desaster für uns als FDP. Bayern war schon immer schwierig, da ging es schon immer mal rauf und runter. In Hessen waren wir bis auf ein Jahr immer im Landtag vertreten – wenn wir da um die fünf Prozent herumdümpeln, weißt du, dass du ernsthafte Probleme hast. Das Einzige, was etwas Trost gibt, ist die Zustimmung der jungen Leute für die FDP. Junge Menschen werden auch mit queer-politischen Themen ganz anders groß, für sie ist es eine Normalität. Ältere FDP-Wähler fühlen sich da vielleicht nicht mehr wieder.“
Zuletzt war der Ampel-Regierung gerade bei LGBTI*-Themen wie dem Selbstbestimmungsgesetz auch zu wenig Kommunikation mit der Bevölkerung vorgeworfen worden, Lenders sieht das allerdings nicht so, im Gegenteil sogar. Er schließt sich auch nicht den Aussagen vieler FDP-Wähler (53%) in Hessen an, die als Grund für ihre Wahlentscheidung sich wünschen, dass die FDP den Grünen etwas entgegensetzt, gerade auch beim Thema Klima (Infratest dimap).
Trotz diverse Unterschiede in der Politik sieht Lenders die demokratischen Parteien dazu verpflichtet, miteinander arbeiten zu können. Dazu gehören auch LGBTI*-Themen, auch wenn diese laut Lenders bei den Landesparlamenten nicht so eine starke Rolle spielen wie im Bundestag. „Allerdings merkt man durchaus auch in der queeren Politik, dass wir einen starken Rechtsruck haben. Es wird immer schwieriger, für diese Themen mit offenem Visier einzutreten“, so Lenders.
Linke warnt vor Rechtsruck
Diesen Rechtsrück erkennt auch die queer-politische Sprecherin der Linken, Kathrin Vogler, gegenüber SCHWULISSIMO: „Die Wahlen in Bayern und Hessen markieren einen historischen Rechtsruck, der sich auch auf die Lebenssituation queerer Menschen negativ auswirken wird. Der Wahlkampf wurde, bis weit in demokratische Parteien hinein, mit Ressentiments gegen Minderheiten, insbesondere gegen Geflüchtete, geführt und das hat erwartungsgemäß die rechtsextreme AfD gestärkt, die immer wieder auch gegen queere Menschen hetzt. Dass auch SPD und Grüne in dieser Situation bereit sind, Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, in denen queere Menschen verfolgt werden, ist inakzeptabel."
Dabei seien auch im Wahlkampf selbst LGBTI*-Themen laut Vogler oftmals "hinten herunter gefallen". Gerade auch deswegen sei es besonders bitter, dass die Linke nun auch in Hessen aus dem Landtag herausgewählt worden ist - das liege laut Vogler vor allem an der Glaubwürdigkeit der Partei, die immer wieder aus den eigenen Reihen beschädigt werden würde. Konkret nennt Vogler dabei Sahra Wagenknecht, deren Überzeugungen mit einer linken Partei nicht vereinbar seien. "Auch wenn sie die LINKE demnächst verlässt, werden wir hart daran arbeiten müssen, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Je eher und geschlossener wir damit anfangen, umso besser", so Vogler.