Ungewissheit beim ESC Wer boykottiert den Musikwettbewerb, wer überlegt noch?
Kurz nach der Generalversammlung der Europäischen Rundfunkunion (EBU) ist weiterhin offen, wie viele Länder tatsächlich beim Eurovision Song Contest 2026 in Wien antreten werden. Vier Staaten haben ihre Teilnahme bereits letztgültig zurückgezogen, weitere wanken noch immer – gleichzeitig gibt es neue Zusagen und Spekulationen über mögliche Rückkehrer. Die Diskussionen um Israels Teilnahme dominieren das Geschehen wie nie zuvor.
Georgien ist dabei, Zweifel in Island und Polen
Aus dem Kaukasus kommt die jüngste Bestätigung: Der georgische Sender GPB hat zugesagt, 2026 an den Start zu gehen. Gleichzeitig erklärte GPB, man unterstütze die Teilnahme Israels ausdrücklich. Wie Georgiens Beitrag ausgewählt wird, ist noch unklar, eine interne Entscheidung gilt jedoch als wahrscheinlich. Abgesehen vom Finaleinzug von Nutsa 2024 war Georgiens Bilanz in den vergangenen Jahren ernüchternd. Armenien ist nun das einzige Land der Region, das sich zur Teilnahme noch gar nicht geäußert hat.
Polen wiederum hat seine zuvor klare Zusage plötzlich relativiert. TVP hatte einen großen Vorentscheid angekündigt, doch nach der EBU-Generalversammlung scheint der Sender jetzt zu zögern, ein kurzfristiger Rückzug ist denkbar. Auch in Island ist die Lage unsicher. Obwohl der Vorentscheid bereits vorbereitet wurde und die Bewerbungsphase abgeschlossen ist, stellt der Sender RÚV die Teilnahme erneut infrage. Island gehört zu den lautesten Kritikern des israelischen Starts. Eine endgültige Entscheidung soll wahrscheinlich diese Woche fallen.
Gerüchte um neue Länder – Rückkehrer möglich
Unklar ist, ob sich neben Rumänien, Bulgarien und Moldau weitere Länder für ein Comeback entscheiden könnten. Spekulationen über mögliche Debüts von Kanada und Kasachstan halten sich beständig. Monaco schweigt weiterhin, und ein Wiedereinstieg Nordmazedoniens wird immer unwahrscheinlicher. Der von ORF-Generaldirektor Roland Weißmann angestrebte Teilnehmerrekord ist nicht mehr erreichbar. ESC-Direktor Martin Green sagte zuletzt, er erwarte „um die 35 Länder“ in Wien.
Bis Anfang dieser Woche liegen 33 offizielle Zusagen vor, darunter Deutschland, Österreich, Großbritannien, Italien, Frankreich, Schweden, Australien und Israel. Nach Angaben des israelischen Senders KAN haben sich insbesondere Zypern, Malta, Griechenland sowie Deutschland und Österreich bei der Abstimmung über die neuen ESC-Regeln für Israels Teilnahme ausgesprochen. Auch Portugal, Frankreich, Italien und Schweden bestätigten öffentlich, dass sie für die neuen Regeln gestimmt haben. Polens Abstimmungsverhalten wurde nicht bekannt.
Mehrere Länder – darunter Spanien, Irland, Slowenien und die Niederlande – kündigten als Reaktion auf die israelische Teilnahme ihren Rückzug an. Die EBU versuchte zuletzt gemeinsam mit dem austragenden ORF, den Wettbewerb zu entpolitisieren, hat dieses Ziel jedoch klar verfehlt. Die Dimension der Boykottaufrufe gilt als beispiellos in der ESC-Geschichte.
In Israel wird die Entscheidung positiv aufgenommen. Präsident Izchak Herzog lobte das Vorgehen. Der israelische Sender KAN erklärte, der Versuch eines Ausschlusses könne „nur als kultureller Boykott verstanden werden. Ein Boykott mag heute beginnen – mit Israel –, aber niemand weiß, wo er enden wird und wem er noch schaden könnte“.
Folgen für die Show
Noch ist offen, wie die Absagen das Event beeinflussen werden. Der ORF erklärte, man wolle zunächst abwarten. Die endgültige Teilnehmerliste soll vor Weihnachten veröffentlicht werden. „Einzelne Absagen sind bedauerlich, doch der ESC ist ein starkes, etabliertes Format. Der ORF ist zuversichtlich, dass er auch 2026 ein großartiges Event auf die Beine stellen wird“, teilte der Sender mit.
Finanziell bleibt das Projekt stabil – auch bei weniger Teilnehmern. Die EBU erklärte: „Die endgültige Anzahl der teilnehmenden Sender hat keinen Einfluss auf das geplante Produktionsbudget und den finanziellen Beitrag der EBU an den ORF.“ Man rechne weiterhin mit rund 35 Ländern. Die Gesamtkosten für die Veranstaltung belaufen sich auf rund 36 Millionen Euro, wovon die Stadt Wien den größten Teil trägt. Der ORF steuert etwa 16 Millionen Euro bei. ORF-Intendant Roland Weißmann kündigte an, die Show werde „sparsam, aber spektakulär“.
Die Registrierung für den Vorverkauf der rund 90.000 Tickets läuft bereits. Die EBU versichert, dass die Vorbereitung „wie geplant“ voranschreite. Trotz der Absagen rechnet Wien weiterhin mit einem erheblichen touristischen Effekt. Während der ESC-Woche erwartet die Stadt rund 88.000 zusätzliche Übernachtungen.
Reaktionen der Teilnehmerländer
Deutschland unterstützt die Entscheidung der EBU. Kulturstaatsminister Wolfram Weimer sagte: „Israel gehört zum ESC wie Deutschland zu Europa.“ Dass Israel 2026 dabei sei, halte er für richtig. „ESC ist ein Anlass, mit Freundinnen und Freunden einen tollen Abend zu verbringen und die Vielfalt der Musik zu feiern.“ Auch die Schweiz befürwortet die israelische Teilnahme. Die SRG betonte, der Wettbewerb habe eine „friedensfördernde, verbindende und verständnisbildende Wirkung“ und müsse „jenseits jeder Politik und Parteinahme“ stehen.
Österreich als Gastgeber zeigt sich ebenfalls offen. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig erklärte, er sei „skeptisch, was den Boykott von Künstlern angeht – insbesondere, wenn es ihre Herkunft betrifft.“ Auch der ORF sieht die israelische Teilnahme positiv, gleichzeitig zeige sie eine tiefe Spaltung innerhalb der EBU. Auch Frankreich sprach sich klar gegen einen Boykott aus. Außenminister Jean-Noël Barrot schrieb: „Das Land werde niemals den Weg des Boykotts eines Volkes, seiner Künstler oder seiner Intellektuellen einschlagen.“ Kultur öffne Horizonte, so Barrot: „Gibt es einen besseren Weg, Frieden zu fördern?“