§175: Entschädigung für Opfer verlängert Entschädigung bisher schleppend: Nur rund 250 Anträge bewilligt
Die Ampel-Koalition hat sich dazu entschlossen, die Frist für die Entschädigungszahlungen an homosexuelle Opfer des ehemaligen §175 um fünf Jahre verlängern zu wollen. Das Kabinett beschloss nach Information des Bundesjustizministeriums eine entsprechende Formulierungshilfe für die Koalitionsfraktionen.
Bundesjustizminister Marco Buschmann erklärte dazu: "Wir wollen es Betroffenen auch weiterhin ermöglichen, ihre berechtigten Ansprüche auf eine Entschädigungszahlung geltend zu machen. Mir ist es wichtig, dass wir den Betroffenen diesen Weg weiterhin offenhalten. Das ist Ihnen der Rechtsstaat schuldig." Das früher geltende Verbot einvernehmlicher sexueller Handlungen hat Menschen bestraft, allein weil sie einen Menschen des gleichen Geschlechts liebten. Das hat bei den Betroffenen viel Leid verursacht und ganze Leben zerstört. Diese strafrechtliche Verfolgung war aus heutiger Sicht grobes Unrecht."
Das Bundesjustizministerium schätzt die Zahl der noch lebenden Opfer auf rund 5.000 Menschen und hat daher insgesamt 30 Millionen Euro veranschlagt. Bisher wurden in den letzten fünf Jahren gerade einmal rund 250 Antrage mit einer Gesamtzahlung von rund 870.000 Euro bewilligt. Die First für eine Antragsstellung wäre ohne die jetzt geplante Verlängerung Mitte Juli ausgelaufen. Warum sich bisher so wenige Homosexuelle gemeldet haben, kann nur spekuliert werden. Ein Erklärungsversuch legt nahe, dass viele betroffene Opfer vielleicht immer noch nicht mitbekommen hätten, überhaupt antragsberechtigt zu sein. Zudem wird spekuliert, dass viele Homosexuelle bis heute eine tiefe Scham über das Geschehene verspüren. Der Paragrafen 175 wurde 1871 eingeführt und stellte “widernatürliche Unzucht“ zwischen Männern unter Strafe. Die Verschärfung des Gesetzes erfolgte unter dem Nazi-Regime. Nach Ende des Krieges bestand der Paragraf fort und wurde bundesweit erst 1994 ganz gestrichen. Im Dritten Reich wurden aufgrund des §175 bis zu 50.000 homosexuelle Männer inhaftiert. Nach Ende des Krieges wurden weitere, rund 53.000 schwule Männer nach §175 verurteilt.
Das Recht auf Entschädigungszahlungen wurde im Juli 2017 beschlossen. Das Gesetz sieht dabei Zahlungen von 3.000 Euro (je aufgehobenes Urteil) und 1.500 Euro (je angefangenes Jahr erlittener Freiheitsentzug) vor. Auf den Missstand in puncto geringer Antragsstellungen hatte der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken, Jan Korte, aufmerksam gemacht und die Bundesregierung im Frühjahr aufgefordert, die Möglichkeit für eine Antragstellung durch eine Gesetzesänderung um zehn Jahre zu verlängern: „Mit einer Verlängerung der Antragstellungsmöglichkeiten und einer öffentlichen Kampagne können alle Antragsberechtigten erreicht werden und es würde ein starkes Zeichen für die Gegenwart gesetzt, dass der Staat diese Menschenrechtsverletzung tatsächlich aufarbeitet, die Entschädigung als Schuldeingeständnis ernst meint und heute aktiv gegen Queerfeindlichkeit eintritt."