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Homosexualität im Fokus bei der Jobvergabe

Spionage im Netz Facebook steht im Zentrum, wenn Bewerber durchleuchtet werden

ms - 07.10.2022 - 11:00 Uhr
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Hoffen, Bangen und dann doch die Absage – viele homosexuelle und queere Menschen erleben dies immer wieder auf der Suche nach einem neuen Job. Allzeit bekannt ist, dass immer mehr Headhunter oder Personaler sehr gezielt die Bewerber im digitalen Netz durchleuchten, meist noch, bevor es zu einem ersten möglichen Bewerbungsgespräch kommt. Neuste Zahlen zeigen dabei allerdings auf, dass diese Durchleuchtungspraxis, die sich gezielt auf das Privatleben der Bewerber richtet, zuletzt rapide zugenommen hat. Für LGBTI*-Menschen findet so oftmals ungewollt bereits vor einem Gespräch ein Zwangsouting statt, denn vermeintliche Informationen über die eigene Sexualität verbleiben nicht nur bei unbedarften Usern über lange Zeit im Internet.

Selbst immer mehr IT-Experten bestätigen, dass es nahezu unmöglich ist, alle Spuren seiner Vergangenheit oder auch seines aktuellen Privatlebens komplett abzuschirmen – oftmals reicht es, wenn Freunde ein Foto oder ein Video weiter teilen und verlinken. Oder das private Profil beispielsweise im Kreise der Freunde während einer ausschweifenden Gay-Party oder eines Schnappschusses auf einer Pride-Parade im vergangenen Sommer geteilt und via Link personalisiert wird. Natürlich lässt sich stets einwenden, dass es der Entscheidung jedes Einzelnen überlassen bleibt, wie er mit seiner Sexualität und gegebenenfalls einem Outing im Job umgeht – und ja, alle Studien der letzten Jahre stimmen darin überein, dass ein Coming Out für Homosexuelle in vielfacher Hinsicht ein Befreiungsschlag ist und das psychische Leben schlussendlich maßgeblich verbessert. Das klingt in der Theorie großartig, ist aber immer noch in der Praxis vielerorts schlicht nicht umsetzbar. Zynisch gesagt: Nicht alle Homosexuellen können “irgendwas mit Medien“ tun, viele arbeiten auch in klassischen Handwerksbetrieben, in der Dienstleistungsbranche oder im Gesundheitssektor und nicht immer ist davon auszugehen, dass Kollegen oder Vorgesetzte stets und augenblicklich Verständnis für ein gleichgeschlechtliches Sexualleben aufbringen. Sollten sie – müssten sie. Fakt ist, dass trotzdem viele homosexuelle Menschen vorzeitig aus dem Bewerbungsprozess ausscheiden und man gerne mit einer standardisierten unpersönlichen Absage abgespeist wird. Ein Grund, warum noch immer rund ein Drittel aller Homosexuellen sich nicht am Arbeitsplatz outet und versucht, auch abseits des Jobs das Privatleben möglichst privat zu halten.

Die jüngsten Untersuchungen (Meta Transparency Center) zeigen, dass vor allem Facebook gerne als Mittel der Wahl zur Spionage von Homosexuellen ausgenutzt wird – die Anfragen stiegen binnen eines Jahres um mehr als 16 Prozent an. Im Zeitraum der letzten knapp fünf Jahre haben sich die Suchanfragen sogar verdreifacht, Spitzenreiter ist neben den USA und Indien auch Deutschland – rund jede zehnte Anfrage an Facebook weltweit kommt aus der Bundesrepublik. Vor allem staatliche Behörden nutzen die Dienste von Meta sehr gerne, um mehr über die potenziellen Bewerber zu erfahren, 70 Prozent der Digital-Recherche läuft hier inzwischen über Facebook – am neugierigsten zeigen sich dabei gerade internationale Unternehmen mit einem Stammsitz in den USA, hier gehört das Ausspionieren potenzieller neuer Mitarbeiter sozusagen inzwischen zum guten Ton, auch und gerade in Deutschland.

Nach Facebook klicken Headhunter auch gerne auf YouTube, um zu erforschen, welche Spuren ein möglicher neuer Mitarbeiter hinterlassen hat (Global Consumer Survey, Statista, 2022). Wenig erstaunlich sind gerade auch YouTube und Facebook in Deutschland nach wie vor die beliebtesten, sozialen Netzwerke. Auf den weiteren Plätzen landen in absteigender Reihenfolge Instagram, TikTok, Pinterest, Snapchat und Twitter. Dabei zeigt sich auch, dass vor allem junge sowie auch LGBTI*-Menschen verhältnismäßig mehr Zeit auf sozialen Portalen verbringen (Global Web Index 2021). Im Durchschnitt sind die Deutschen rund 90 Minuten täglich auf Socia Media unterwegs, die statistisch durchschnittliche Verweildauer weltweit liegt bei zweieinhalb Stunden täglich, Spitzenreiter sind Nigeria, die Philippinen, die USA und China. In Europa surfen vor den Deutschen die Briten und die Schweizer am häufigsten in den sozialen Netzwerken – viel Zeit, um viele Spuren zu hinterlassen also.

Berufsberater legen schwulen Bewerbern dabei gerne nahe, falls möglich, offen mit der eigenen Sexualität umzugehen. Sie darf bei einem Bewerbungsgespräch nicht abgefragt werden, doch je internationaler und moderner eine Firma ausgerichtet ist, desto wahrscheinlicher ist die Chance, dass bereits eine Hintergrundrecherche stattgefunden hat. Die andere Variante wäre, künftig zu versuchen, etwas gezielter zu überlegen, welche Daten man von seinem Privatleben für immer im Internet haben will – und welche nicht.

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