Sexhandel mit schwulen Jungen Schwule Minderjährige sind überproportional betroffen
Es ist bis heute ein Tabu-Thema: Sexualstraftaten bei Minderjähren. Das investigative Nachrichtenportal Uncloseted Media veröffentlichte jetzt eine Recherche zum Sexhandel mit minderjährigen schwulen Jungs in den USA. Das Ausmaß dieser Verbrechen wird erst schrittweise publik. Das News-Team spricht von einer landesweiten Epidemie. Parallel dazu hat die Bundesregierung heute die neuen Zahlen zur Lage in Deutschland bekannt gegeben.
Hohe Zahlen in Deutschland
Der neue Bericht für das Jahr 2024 umfasst dabei zum einen Daten zum Bereich sexueller Missbrauch sowie auch die Aspekte Kinder- und Jugendpornographie als auch Menschenhandel und Zwangsprostitution bei Minderjährigen. Einen Schwerpunkt legt der Bericht außerdem auf Straftaten, die online begangen worden sind – im Internet werden immer mehr verstärkt Jugendliche über soziale Medien angesprochen und zu Taten überredet. Immer öfter komme es dabei so auch dazu, dass Minderjährige via Live-Streaming zu Sexualstraftaten überredet werden.
2024 stellt dabei ein trauriges Jahr da, in diversen Bereichen wurden neue Höchstzahlen verzeichnet. Insgesamt gab es über 16.000 Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern und über 45.000 registrierte Fälle, bei denen Kinderpornos hergestellt, verbreitet oder erworben worden sind. Sowohl Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) wie auch der Präsident des Bundeskriminalamts Holger Münch also auch Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) bekräftigten bei der Vorstellung der neuen Zahlen heute Vormittag in Berlin, dass in Deutschland Jugendliche und Kinder dringend besser vor derartigen Straftaten geschützt werden müssen. Das sei eine der dringendsten Aufgaben unserer Zeit, so die CDU-Politikerin Prien gegenüber der Rheinischen Post: „Junge Menschen sind dem stetigen Risiko ausgesetzt, Opfer sexueller Gewalt zu werden. Die rasanten digitalen Entwicklungen eröffnen neue Räume der Gefahr – von Cybergrooming über Sextortion bis hin zu Deepfakes, in Chats oder auf Social-Media-Kanälen.“
Zudem betonte die Ministerin weiter: „Sexualisierte Gewalt geschieht auch im sozialen Nahraum, dort, wo Kinder sich eigentlich sicher fühlen sollten – bei Verwandten, Nachbarn oder anderen vertrauten Bezugspersonen. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, unsere Kinder und Jugendlichen vor Täterinnen und Tätern zu schützen, die sie im Netz rund um die Uhr manipulieren und ausbeuten, und vor jenen, die ihr Vertrauen im engsten Umfeld missbrauchen.“
Polizei fordert mehr Personal
Die Gewerkschaft der Polizei betonte, wie wichtig in diesem Zusammenhang mehr finanzielle Mittel im Bereich Technik und Personal sind, zudem bedürfe es mehr Ermittlungsbefugnisse. Nur so können verstärkt Fälle von Missbrauch in der Zukunft verhindert beziehungsweise aufgeklärt werden. Wichtig sei dabei ein „Zusammenspiel aus Prävention und effektiver Strafverfolgung“ als Abschreckungsmaßnahme für potenzielle Täter. Die Hoffnung: Je höher das mögliche Entdeckungsrisiko ist, desto mehr Personen weichen im letzten Schritt vielleicht doch vor der Tat zurück.
Die Präsidentin des Kinderschutzbundes, Prof. Dr. Sabine Andresen, benannte noch einen weiteren problematischen Punkt: Oftmals würde Kinder und Jugendlichen zunächst nicht geglaubt werden – das müsse sich ändern. Dazu sei auch wichtig, in Kitas und Schulen aber auch anderweitigen Einrichtungen wie Sportvereinen oder Jugendclubs das Thema stärker in den Mittelpunkt zu stellen und Schutzkonzepte auszuarbeiten.
Schwule Jungs überproportional betroffen
Wie dramatisch die Lage auch international ist, belegte mit seiner neuen Recherche das Nachrichtenportal Uncloseted Media – in den USA ist die Rede von einer landesweiten Epidemie, von der vor allem gerade schwule Jungs besonders stark betroffen sind. Jüngste Studien gehen davon aus, dass Jungen die „am schnellsten wachsende Gruppe der identifizierten Opfer von Menschenhandel“ darstellen, so die Organisation Polaris, eine der führenden US-Vereine zur Bekämpfung von Menschenhandel. Homosexuelle und queere Jugendliche machten dabei einen überproportionalen Anteil aus – aktuell wird davon ausgegangen, dass die Hälfte aller Überlebender im Sexhandel schwule und queere Jungs sind.
LGBTIQ+-Jugendliche seien bis heute die „perfekte“ Opfergruppe, viele von ihnen landen nach ihrem Coming-Out auf der Straße, nachdem sie ihre Familien verstoßen haben. Für Menschenhändler ist es ein leichtes, jene Jungs aufzufischen und mit einem Leben jenseits der Obdachlosigkeit zu locken. Dazu kommen Vorurteile und Diskriminierungserfahrungen von queeren jungen Menschen, die die Ausgangslage weiter verschlimmern, so Polaris. Die Berichte, die Uncloseted Media dabei zusammengetragen hat, sind schockierend: Mit Gewalt und Betrug wurden alle schwulen Jugendlichen dazu gezwungen, gegen Geld Sex mit erwachsenen Männern zu haben.
Kunden durften tun, was sie wollten
Einer von ihnen ist der heute 34-jährige Jose Alfaro, der mit 16 Jahren in die Fänge des 31-jährigen Menschenhändlers Jason Gandy geriet. Nach seinem Coming-Out warfen ihn seine Eltern von zu Hause raus, sodass der Jugendliche aus Texas nach Hilfe suchte. Gandy schien die Rettung zu sein, nachdem sie über eine schwule Dating-App in Kontakt getreten waren: „Er zeigte mir enormes Mitgefühl, präsentierte mir diese Welt voller Luxus und Reichtum und sagte, dass er mich unterstützen und sich um mich kümmern wolle“, so der heute 34-Jährige. Schlussendlich zwang er den Jugendlichen zu Sex mit dutzenden erwachsenen Männern. „Die Kunden durften mit mir machen, was sie wollten. Ich fühlte mich unwohl, war traumatisiert und wurde oft sehr, sehr brutal verletzt. Ich hatte Angst und Schmerzen, aber ich traute mich nicht, wegzugehen. Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte.“
Beim ersten Mal war er 16 Jahre alt – er wurde in einem schwach beleuchteten Raum gefangen und sollte zwei nackte fremde Männer massieren und sie „tun lassen, was immer sie wollen.“ Alfaro erinnert sich: „Ich hatte Angst und mein Körper reagierte mit Zittern, ich zitterte unkontrolliert. Mir war kalt, obwohl ich nicht fror. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, als ich mit zwei erwachsenen Männern in einem Raum war und die Tür verschlossen wurde.“
Gandy schaltete danach Anzeigen auf seiner eigenen Website und auf Craiglist und warb mit dem Jugendlichen. Nachdem er drei Monate lang gezwungen worden war, immer wieder Analsex zu praktizieren, sich begrapschen zu lassen und mit über fünfzig Männern Oralsex zu haben, floh Alfaro schlussendlich mitten in der Nacht – Gandy wurde später wegen Sexhandel mit Minderjährigen zu einer 30-jährigen Haftstrafe verurteilt. Alfaro sagt dazu heute: „Ich wurde von der Gesellschaft zum Schweigen gebracht, lange bevor ich von meinem Menschenhändler zum Schweigen gebracht wurde. Die Gesellschaft sagte mir, dass etwas mit mir nicht stimmt, weil ich schwul bin. Die Gesellschaft sagte mir, dass etwas mit mir nicht stimmt, weil ich nicht männlich genug bin. Und deshalb bin ich das Problem und niemand wird mir helfen.“
Männer und Jungs dürfen keine Opfer sein
Diese fatale Denkweise bestätigten auch andere Opfer sowie auch der Gründer der einzigen Männer-Schutzunterkunft in den USA, Bob Williams. Jungs melden die Verbrechen deutlich seltener, weil es bis heute nicht ins Bild passe, dass ein Mann zum Opfer werde. Mit Scham und toxischer Männlichkeit würden viele zum Schweigen gebracht, bestätigt auch Polaris-Entwicklungsmanager Jonathan Doucette: „In unserer Kultur gibt es eine toxische Männlichkeit, die dazu führt, dass man als Junge, wenn man während des Heranwachsens verletzliche Gefühle zeigt, mit Feindseligkeit oder Wut von den Menschen in seinem Umfeld konfrontiert wird. Das Stigma kann so groß sein, dass Überlebende das Gefühl haben, sich selbst darum kümmern zu müssen.“
Lehrer verkaufte Schüler an fremde Männer
Ein weiteres Opfer, der Autor John-Michael Lander, schwieg ebenso lange aus Scham – er wurde während seiner ganzen Highschool-Zeit ab dem 14. Lebensjahr von seinem Schwimmsport-Lehrer anderen Männern zum Kauf angeboten, sein erster „Kunde“ war ein 60-jähriger Rentner. „Ich hatte noch nie Sex mit jemandem gehabt. Ich hatte wirklich Angst. Und ich erinnere mich, dass ich erstarrte, mich nicht mehr bewegen konnte. Es war, als hätte ich meinen Körper verlassen“, erinnert sich Lander. Gemeinsam mit einem Arzt und einem Anwalt leitete der Sportlehrer einen Menschenhandelsring.
Vier Jahre lang wurde Lander jedes Wochenende zu einer „Messe“ gefahren, bei denen junge männliche Teenager nur in weißen Speedos bekleidet auf einer Bühne versteigert wurden. Der finale Käufer durfte dann ein Wochenende lang mit dem Jungen machen, was immer er wollte. „Ich schämte mich so sehr. Ich dachte, es wäre meine Schuld, und ich wusste nicht, wie ich mich outen sollte. Ich trug jeden Tag in der Schule das Gleiche und duschte nicht, nur damit jemand nach mir sah oder nachfragte, aber niemand tat es. Ich fühlte mich so isoliert. Als ich meiner Mutter endlich erzählte, was passiert war, sah sie mich an, schlug mir ins Gesicht und sagte: ´Es ist nicht nett, Lügen über Menschen zu erzählen. Wenn diese Person oder diese Personen das getan haben, musst du es verursacht haben.‘“, berichtet Lander seine Erlebnisse.
Toxische Bilder von Männlichkeit erschweren Hilfe
Ähnliches erlebte auch Jesse Leon, der mit elf Jahren von einem Ladenbesitzer verschleppt und im Hinterzimmer seines Geschäfts eingesperrt worden war. Immer wieder wurde Leon von dem Mann sexuell missbraucht, später auch von Freunden und Kunden des Peinigers. Sie setzten Leon unter Drogen und machten mit ihm, was sie wollten. „Manchmal war es nur jemand, der Oralsex mit mir haben wollte. Manchmal war es mehr. Der Ladenbesitzer drohte mir, dass er herausfinden würde, wo ich wohne, und mich und meine Familie umbringen würde, wenn ich nicht zurückkäme. Außerdem würde mir sowieso niemand glauben und sich außerdem für mich schämen“, so Leon gegenüber Uncloseted Media.
Das Tabu, darüber gar nicht erst reden zu dürfen, sei dabei in einer Familie wie seiner mit einer lateinamerikanischen Herkunft, in dem die Machokultur Jungen dazu ermutigt, hart zu sein, noch größer. Erst drei Jahr später konnte Leon entkommen. Auch die Organisation Child Protected Against Trafficking (CPAT) beschäftigt sich seit Jahren mit Sexhandel bei männlichen Minderjährigen. Schwule Jungs tun sich auch ungleich schwerer, aus der Situation wieder rauszukommen, weil viele Strafverfolgungsbehörden schlicht wenig Verständnis aufbringen – den Jungs wird nicht geglaubt, dass sie zum Sex gezwungen worden sind. Infolgedessen gibt es bis heute in den USA nur eine einzige Schutzunterkunft für Männer – und gar keine für männliche Jugendliche unter 18 Jahren. „Man vermittelt uns, dass Männer die Täter und Frauen die Opfer sind. Wir haben keine nationale Debatte wie beim Sexhandel von Frauen. Es gibt viele geschlechtsspezifische Vorurteile gegenüber Überlebenden von Menschenhandel und eine Menge Homophobie“, so Steven Procopio, klinischer Sozialarbeiter bei CPAT abschließend.