Selbstverständlich leben mit HIV?! Fast jeder Mensch mit HIV erlebt Diskriminierung
In Duisburg wurde heute die europaweit größte Konferenz zum Thema HIV eröffnet. Unter dem Motto “Positive Begegnungen“ will das Fachtreffen von Experten dabei auch ein starkes Signal für ein selbstbestimmtes und selbstverständliches Leben mit HIV setzen. Die Deutsche Aidshilfe fordert dabei von der Politik, dass alle Menschen mit HIV ohne Diskriminierung, Ausgrenzung oder Stigmatisierung Zugang zur medizinischen Versorgung bekommen – und das auch unabhängig von einem Ausweisdokument oder dem Aufenthaltsstatus einer Person in Deutschland.
Immer wieder käme es gerade hier aber auch in der allgemeinen Versorgung zu Lücken, gerade aktuell in Nordrhein-Westfalen, wie die AIDS-Hilfe in Duisburg beklagt. So gibt es laut Marie Schellwat, Geschäftsführerin der AIDS-Hilfe Duisburg, in ihrer Heimatregion nur noch eine einzige HIV-Schwerpunktpraxis: „Wir benötigen dringend eine Perspektive für die ärztliche Versorgung HIV-positiver Menschen. Ferner ist die Finanzierung der örtlichen Aidshilfen in NRW vielfach nicht mehr gesichert, sodass Begleitungs- und Beratungsangebote in Gefahr sind.“ Die lückenlose Einnahme von HIV-Medikamenten, um die Viruslast dauerhaft unter der Nachweisgrenze halten und gesund auch mit HIV leben zu können, ist dabei eines der zentralen und wichtigsten Punkte. Das Credo des Gastgebers der Konferenz, der Deutschen Aidshilfe (DAH), ist dann auch: “Gemeinsam Unterschiede feiern – sichtbar, streitbar, stark“. Insgesamt 400 Experten sowie HIV-Betroffene werden bei der viertägigen Konferenz bis Sonntag erwartet. „Dabei ist die Vielfalt so groß wie nie: Erstmals nehmen auch geflüchtete Menschen mit HIV aus der Ukraine an den Positiven Begegnungen teil, erstmals stammt mehr als die Hälfte der teilnehmenden Menschen ursprünglich nicht aus Deutschland. „Vielfalt war schon immer eine große Stärke der HIV-Community. Uns eint das gemeinsame Ziel: eine Gesellschaft, in der HIV-positive Menschen ganz selbstverständlich leben können – ohne Berührungsängste, Abwertung und Benachteiligung“, so Winfried Holz vom Vorstand der DAH.
Schirmherrin der Konferenz ist Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, die betonte: „Keinen zurücklassen, niemanden verurteilen – mit diesem Ansatz hat die Aidshilfe deutschlandweit viel Vertrauen aufgebaut. Wer alle Betroffenen erreichen will, muss die Vielfalt unserer Gesellschaft anerkennen und in ihr einen Gewinn sehen.“ Gerade mit Bezug auf die Gesellschaft gibt es dabei noch immer massive Probleme, wie zuletzt die Studie “positive stimmen 2.0“ aufzeigte: Zwar gaben 90 Prozent der Befragten mit HIV an, gut mit ihrer Infektion leben zu können, doch beinahe alle Menschen mit HIV (95%) erklärten dabei auch, mindestens eine diskriminierende Erfahrung in den letzten 12 Monaten aufgrund von HIV gemacht zu haben. Diskriminierung gehöre für HIV-Positive noch immer zum Alltag, wobei diese sogar oft aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder durch rassistische Zuschreibung einer Mehrfach-Diskriminierung ausgesetzt sind. Für 65 Prozent aller Befragten ist dies ihre alltägliche Lebensrealität. Ein Kernanliegen der Konferenz ist es daher auch, Strategien zu entwickeln, um gegen diesen Zustand effektiv vorgehen zu können.
Eines zeigte sich allerdings bereits auch am ersten Konferenztag – nach der pandemiebedingten Zwangspause ist es für alle Teilnehmer wie auch für die Außenwirkung der Veranstaltung sehr wichtig, dass Menschen wieder im persönlichen Gespräch zusammenfinden können. „Ich freue mich sehr, dass wir nach der langen Covid-Pause endlich wieder persönlich zusammenkommen können – für die Selbsthilfe ist das sehr wichtig. Viele von uns sehen sich nur bei den Positiven Begegnungen. Hier können wir unsere Vielfalt erleben, uns kennenlernen und Akzeptanz in unserer Community durch persönliche Begegnungen entwickeln. Das ist eine wichtige Grundlage, um auch nach außen gegen Diskriminierung, Rassismus und andere Formen von Ausgrenzung einzutreten – und so das Leben von Menschen mit HIV zu verbessern“, so Lilian Petry, HIV-Aktivistin aus Saarbrücken.
In Deutschland leben aktuell laut Robert-Koch-Institut ungefähr 91.400 Menschen mit HIV. Dank hoch wirksamer Therapien haben Menschen mit HIV bei rechtzeitiger Behandlung heute eine normale Lebenserwartung. Unter Therapie ist HIV zudem nicht mehr übertragbar – der Grund für Diskriminierung sind so also oftmals unnötige Berührungsängste und falsche Vorstellungen vom heutigen Leben mit HIV, so die DAH weiter. Schirmherrin Bärbel Bas dazu: „Wir brauchen mehr Wissen über neue Therapie- und Schutzmöglichkeiten – in der gesamten Bevölkerung. Wir müssen ein realistisches Bild vom Leben mit HIV vermitteln und mit überholten Vorstellungen aufräumen.“